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Kultur: Die Magie der Puppe

Figurentheaterspieler Neville Tranter lässt beim heute beginnenden „Unidram“ die Puppen tanzen

Er ist sehr präsent. Auch wenn er zusammengesunken auf einem Stuhl in der Probebühne im T-Werk sitzt. Die Rede ist von Zeno, einem alten Herrn im hellen Anzug, mit riesiger Nase im freundlichen Gesicht und blauen Augen, die gleichzeitig kindlich und erwachsen in die Welt blicken. Zeno ist eine etwa anderthalb Meter große Klappmaulpuppe, die der australische Figurentheaterspieler Neville Tranter vor fünfzehn Jahren gebaut hat und die ihn seitdem zu den zahlreichen Meisterkursen begleitet, in denen er Puppenspielereleven aus aller Welt die Geheimnisse des Figurentheaterspiels nahebringt.

„Für mich war überraschend“, sagt der Potsdamer Maskenspieler Steffen Findeisen, der am vergangenen Wochenende Neville Tranters Workshop „Die Magie der Puppe“ im Vorfeld des heute beginnednen Internationalen Theaterfestivals „Unidram“ im T-Werk besuchte, „genau auf Linie, auf Winkel zu arbeiten“. Findeisen setzte die präzisen technischen Vorgaben Tranters um und war erstaunt, wie viel „Leben“ schon allein dadurch entstand, dass er die Puppe im 45- oder 180-Grad-Winkel bewegte; das eigentliche „Spiel“ käme dann später hinzu.

Neville Tranter ist gebürtiger Australier und lebt seit über dreißig Jahren in den Niederlanden. Mit seinem 1976 gegründeten „The Stuffed Puppet Theatre“ zählt er zu den weltweit bekanntesten Figurentheaterspielern.

Unidram präsentiert in diesem Jahr Neville Tranter mit zwei Inszenierungen und einem dreitägigen Workshop als Schwerpunkt. Am Sonntagvormittag stand bei diesem Workshop das Thema Sprache auf dem Kursplan. „Warum denkst du, dass Zeno spricht?“, fragt Neville Tranter in die Runde der fünfzehn überwiegend jungen Kursteilnehmer. „Bevor er etwas sagt, wird er bewegt“, hat jemand beobachtet und ein anderer ergänzt, dass Zeno zuerst Augenkontakt mit dem Publikum herstellt. „Die Körpersprache kommt vor dem Text, denn wir - das Publikum - gehen immer nach der Bewegung“, erklärt Tranter.

Und diese Bewegungen müssen klar sein. Das wird deutlich, als einige der Kursteilnehmer Zeno auf den Schoß nehmen und mithilfe des Alphabets erste Sprechversuche mit ihm unternehmen. Zuerst die Augen, dann eine Geste, danach Stille und erst dann der Text – so lautet die Reihenfolge. Aber auch dabei kann noch viel passieren, was die Klarheit stört. Beispielsweise, wenn man mit der Puppe eine (zu) große Geste macht und diese dann während des oder nach dem Sprechen zurücknimmt – dann ist auch die Energie weg. Tranter erklärt präzise und zeigt geduldig, auf welche Feinheiten es ankommt. Er selbst ist sehr ruhig, wenn er der Puppe seine Stimme leiht.

Neville Tranter ist ausgebildeter Schauspieler und stellt sich auf der Bühne meist in den Dienst seiner selbstgebauten Klappmaulpuppen. Die bevorzugt er, „weil sie ganz direkt sind und unglaublich schnell und zupackend auf das Publikum reagieren können“, sagt der 57-jährige, in seiner ruhigen Art überaus präsente Mann, der als Student jahrelang bei einem australischen Puppenspielerehepaar in die Lehre ging.

Bei seinen heutigen Soloauftritten kann er bis zu drei Rollen gleichzeitig verkörpern, und er tritt dabei mit sich selbst und mit den Puppen in den Dialog. Der Dialog mit dem Publikum ist ihm ganz besonders wichtig, und so verwundert es nicht, dass zur Premiere erst etwa siebzig Prozent eines Stückes „fertig“ sind. „Jede Puppe ist ein Instrument und muss gut gespielt werden“, sagt er, und obwohl er seit über dreißig Jahren Erfahrungen mit ihnen hat, überraschen sie ihn immer wieder, und er lässt sich von ihnen den Weg weisen. Der alte Zeno ist ein beredtes Beispiel dafür, wurde er doch speziell für ein Stück entwickelt. Doch sein neues Leben, in dem er neben Kindern und Frauen sogar Hunde verkörpert, ist noch lange nicht zu Ende.

In Potsdam wird Neville Tranter zwei stilistisch und thematisch sehr unterschiedliche Inszenierungen präsentieren. „Mathilde“ sei neben einer Geschichte über das Sterben eine Hommage an die starken Frauen, die er in seinem Leben kennenlernen durfte, sagt Tranter. Und „Punch & Judy in Afghanistan“ von 2009 sei sein erster Versuch, sich mit einer aktuellen politischen Thematik auseinanderzusetzen. „Mathilde“ erlebt in Potsdam ihre Uraufführung. Noch vor Kurzem war die Inszenierung gerade mal halb so lang wie jetzt. Sie hat sich mithilfe des Publikums weiterentwickelt.

Neville Tranter ist am Donnerstag, 1. November, um 19 und 21 Uhr, Freitag, dem 2. November, um 21 Uhr, und Samstag, 3. November, 19 Uhr, bei Unidram im T-Werk, Schiffbauergasse, zu erleben. Karten 16/erm. 12/9 Euro

Astrid Priebs-Tröger

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