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Hypnotischer Alptraum. „Agha Mohammad Khan“ bei Unidram.

© Amata Theatre

Kultur: Die Last, die Leben sein kann

Zweiter Tag Unidram: Die iranische Amata Theatre Group hypnotisiert und Sisyphus wird erlöst

Es gibt Kunst, die die Nähe zum Gegenüber sucht, die sich weit, ganz weit in Richtung Publikum lehnt. Und es gibt Kunst, der das Publikum egal zu sein scheint, die einfach da ist, ihr Ding macht, und das Publikum darf eben dabei sein. Das Schöne an Festivals wie Unidram ist, dass hier oft beide Ansätze direkt aufeinandertreffen, dass verschiedenste Formate und Formen auf manchmal ungeheuerliche Art nebeneinanderstehen, auf engstem Raum. Die Zuschauer müssen das aushalten, und die Künstler auch.

Tag zwei des diesjährigen Festivals gab die Probe aufs Exempel. Zunächst Auftritt der Amata Theatre Group aus dem Iran im Waschhaus, der erste Beitrag aus dem Iran seit Bestehen des Festivals. Die Gruppe steht für die Kunst, die dem Gegenüber nichts schenkt. Kein Erleichterungslachen, keine Erklärtexte, nicht mal eine im Detail nachvollziehbare Geschichte. Stattdessen: ein Stück über einen persischen Herrscher des 18. Jahrhunderts, der titelgebende „Agha Mohammad Khan“. Er wurde als Kind entführt und von einem politischen Rivalen des Vaters kastriert. Später war er selbst mächtiger Herrscher, ein höchst grausamer. Es wird von einem Massaker berichtet, in dem er Hunderte köpfte, Tausende blendete.

Massaker und Massenmord: Es wäre leicht gewesen, das so zu zeigen, das auch europäisches Festivalpublikum versteht, wie sehr diese Themen hier zuhause sind. Die Amata Theatre Group geht künstlerisch einen anderen Weg, und der führt hinter die Stirn der Figuren: der Tyrann, dessen Mutter, dessen Frau und dessen Diener. „Agha Mohammad Khan“ ist keine Erzählung, es ist eine Aneinanderreihung von Zuständen extremer Verzweiflung. Die Darsteller (Amir Hossein Bahgerian, Niloofar Shayani, Nilofaar Lari) bewegen sich wie gelähmt über die Bühne, fast durchgehend begleitet von einem rauschhaften Sound. Zu Beginn ist Agha Mohammad Khan zu sehen, mit blutbefleckter Hose, schmerzversteinertem Gesicht, einen Basketball in Händen: Agha als kleiner Junge, von Amir Hossein Bahgerian allerdings dargestellt als der traumatisierte, finster dreinblickende Tyrann, der er später mal werden wird. Mit kahlem Kopf und hellgeschminkten Brauen erinnert er an Murnaus Nosferatu. Dieses Ineinander verschiedener Zeiten, von noch-nicht-schuldigem Kind und tyrannischem Erwachsenen, ist symptomatisch für diese Arbeit: Das Schlimmstmögliche ist längst geschehen und steht doch noch aus.

Die große Intensität bezieht „Agha Mohammad Khan“ aus dem ungemein körperlichen Spiel der Darsteller, bis in jede Fingerspitze stehen sie unter Strom. In unbeirrbarer, unheilvoller Langsamkeit folgen sie dem Schicksal ihrer Figuren, ferngesteuerte Wiedergänger, ein bisschen wie bei dem Theatermagier Robert Wilson, den die Iraner als Referenz nennen. Die Figuren sind ohne Sprache, ohne Worte, jeder gefangen im eigenen Alptraum. Berührungen gibt es nicht, nur einmal sucht Aghas Frau dessen Hand, und Agha schlägt sie beiseite. Begleitet wird das Zeitlupen-Panorama von bunt flimmernden Videobildern: mal orientalische Ornamentik, mal abstrakte Formen, mal dutzende, schreckgeweitete Augen. Diesem hypnotischen Alptraum kann sich niemand entziehen.

Wie viel leichter dagegen war die Last, die das Leben auch sein kann, in dem anschließenden bulgarischen Beitrag „Ich, Sisyphus“ von Veselka Kuncheva im T-Werk. Sisyphus-Darsteller Stoyan Doychev findet Trost bei Puppen mit Nylon-Beinen, die Zuschauer finden Trost im Humor des Stücks, und am Ende reißt Sisyphus in einem Befreiungsschlag die Arme hoch. Neben dem Alptraum des Traumas nimmt sich der Traum vom erlösten Dasein dann doch arg unbeschwert aus. Lena Schneider

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