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Kultur: Die Kunst guckt zurück

Eine Ausstellung als Schaufenster: „Der Brandenburg-Atlas“ kehrt das Innere nach Außen

Bertolt Brecht wusste ziemlich genau, was er an Brandenburg schätzt. „Friedlich und langweilig genug für die Arbeit“, so beschrieb er die Vorzüge des Örtchens Buckow. Pointiert zitiert hat das eine andere, eine tatsächliche Brandenburg-Expertin: die Autorin Antje Rávic Strubel, die mit ihrer „Gebrauchsanweisung für Brandenburg“ ein dem Gegenstand angemessen knurriges Liebeslied schrieb.

Auch der Brandenburgische Kunstverein Potsdam stellt sich mit seiner aktuellen Ausstellung „Der Brandenburg-Atlas“ nun die Frage, wie denn dieses Bundesland, das er im Namen trägt, eigentlich aussieht – künstlerisch. Dass die Frage ernst gemeint ist, zeigt die Genese der Schau: Tausende von Kilometer ist Kurator Gerrit Gohlke durch das Land gereist, hat auf der Suche nach Beiträgen Ateliers, Wohnungen und Scheunen besucht. Jenseits der üblichen Galerien.

Schon der Untertitel nimmt den Vollständigkeitsanspruch ein bisschen zurück: „Eine Stichprobe“, heißt es da. Eine überblickshafte Landvermessung einerseits, andererseits aber ja nichts Abschließendes? Dass sich Titel und Untertitel behutsam in die Quere kommen, ist symptomatisch für die Denkweise des Kunstvereins. Dessen Künstlerischer Leiter Gerrit Gohlke hat keine Angst vor großen Themen, großen Fragen – aber auch keine große Lust auf einfache Antworten.

Reiben soll man sich an dem, was hier passiert, nicht damit ausruhen. Kein Thema, keine These steht über dieser Schau. Stattdessen hat Gohlke eine Förderrichtlinie der Kulturpolitik wörtlich genommen, die besagt, Brandenburg als Kulturland solle bitteschön „nach außen hin sichtbar“ gemacht werden – und kurzerhand für den gläsernen Pavillon auf der Freundschaftsinsel einen riesigen Schau-Kasten bauen lassen. Die darin ausgestellten Kunstwerke sind nach außen gehängt. Was man durchaus als politischen Akt verstehen darf: Das Innere wird hier nach außen gestülpt. Kunst für alle, kostenlos sowieso. Im Museumsraum sieht man nur Rückseiten. Gucken muss man von draußen. Bleib stehen, zufälliger Spaziergänger!, sagt diese Hängung. Schau her, vorbeiziehende Welt!

Und die Kunst guckt zurück, in die Stadt. So wie die kleine Skulptur von Jörg Engelhardt. Er arbeitet in Wriezen im Oderbruch, im Atelier seines Vaters, dem 2004 verstorbenen Bildhauer Horst Engelhardt. Der Vater schuf monumentale Plastiken, der Sohn arbeitet mit Tiermotiven. Jörg Engelhardts „Die schwere rote Fahne“ (2010) ist eine zierliche Gestalt im rot-gelben Gewand mit Affenkopf, die eine rote Fahne über den Boden schleift. So wie die Skulptur im Pavillon platziert ist, schaut sie über das Wasser in Richtung Alter Markt – und wird, wenn man will, zum traurigkomischen Kommentar auf all die teilweise absurden Streitigkeiten, die es um dessen Bebauung gab.

Was ist das nun für ein Brandenburg, das sich in diesem Riesenschaufenster zeigt? Zunächst natürlich keines, das behaupten würde, eine Einheit zu bilden. Die 35 ausgestellten Objekte sind Puzzleteile, von denen man nicht weiß, ob sie überhaupt ein großes Ganzes ergeben. Vieles steht einfach für sich – und teilweise auch im Gegensatz zu seinem Nachbarn im Regal. Da hängt die klassische Öl-Malerei der gebürtigen Niederländerin und Neu-Bernauerin Mona Jas über der „Leibesdinge (Einverleibungen I)“ betitelten Arbeit von Birgit Cauer, die Pflastersteine mit Naturdarm bespannt. Und ganz oben im Fach stehen aufgereiht die Porzellangefäße von Carolin Wachter, in denen man auf den zweiten Blick ein Atomkraftwerk sehen kann. Um die Ecke ein Öl-Gemälde des bekannten Ronald Paris. Tradiertes trifft auf Konzeptkunst, Hintergründiges auf Kunstgewerbliches. Und manchmal, wie in der Arbeit „Strodisign“ (2016) von Gabriele Konsor, gebürtig in Frankfurt am Main, kommt beides zusammen: Mit ehemaligen VEB-Mitarbeiterinnen aus ihrem Wohnort Strodehne hat sie zeitgenössische Kittelschürzen entworfen, die sie neben Originalen aus der DDR-Produktion ausstellt.

Wo die Objekte so lose nebeneinander stehen, kommt einem angesichts des Aufbaus des Ganzen der Setzkasten in den Sinn, diese wohl piefigste Form des Ausstellens. Aber der „Brandenburg-Atlas“ ist viel mehr als das. Denn mit Geduld und Fantasie tun sich im Dialog der Objekte ganze Geschichten auf. Auf der Brunnenseite des Pavillons hängt etwa die Fotografie „Vollzugsangestellte“ der Potsdamerin Anne Heinlein. Freundlich, streng, geduldig blickt sie in die Kamera. Darunter liegt ein Stein – eigentlich ein Meteorit – der in Himmelpfort lebenden Künstlerin Antje Majewski. Darunter wiederum eine unbetitelte Installation von Ilse Winckler, die sie extra für den Pavillon entwickelt hat: ein Haufen aus kaputtem Glas. Militärische Strenge, Naturgewalt und Scherbenreste: Natürlich ist das nicht alles, was man über Brandenburg sagen kann. Aber für eine „Stichprobe“ geht das erstaunlich, erfreulich tief. Und zeigt, nebenbei, was wir ohnehin schon ahnten: Recht hatte Brecht nicht.

„Der Brandenburg-Atlas. Eine Stichprobe“, bis 19.2.2017 täglich von 7 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit im Pavillon auf der Freundschaftsinsel. Sonderführung am 28.12. um 15.30 Uhr

nbsp;Lena Schneider

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