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Poesie der Physik. Jérôme Ferrari hat einen Roman über Heisenberg geschrieben.

© M. Bothor/Secession Verlag

Kultur: „Die Kunst der Komplexität“

Der französische Prix-Goncourt-Preisträger Jérôme Ferrari über sein Buch „Das Prinzip“ und den Physiker Werner Heisenberg

In Ihrem jüngst erschienen Buch „Das Prinzip“ nähert sich der Ich-Erzähler der Persönlichkeit des deutschen Physikers Werner Heisenberg. Heisenberg gilt als einer der Begründer der Quantenphysik, als der Entdecker der sogenannten Unschärferelation. Was hat Sie an Heisenberg fasziniert?

Ich habe Heisenbergs Texte während des Philosophie-Studiums an der Universität kennengelernt und seitdem haben sie mich nicht losgelassen. Mein Interesse galt nicht unbedingt der Person Heisenbergs, sondern der Quantenmechanik im Allgemeinen. Heisenberg war aber einer derjenigen, die die meisten nicht-technischen Texte geschrieben haben, Texte, die auch Nichtphysiker, Leute wie ich, hätten schreiben können. Das hat ihn mir sehr sympathisch gemacht. Ich war immer auch sehr fasziniert von der Jugend Heisenbergs. Als ich später mehr über sein Leben wusste, über seine schwierige Haltung in den 30er-Jahren, hat das mir ihn nähergebracht, ihn mir menschlicher gemacht.

Heisenberg gehörte zu jenen deutschen Wissenschaftlern, die nicht emigrierten, die für die Wehrmacht sogar weitergearbeitet haben, im Wettlauf um die Atombombe mit den Amerikanern. Ihre Lesungen in Berlin und Potsdam fallen fast auf den Tag genau auf den 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs. Ist dieses zeitliche Zusammentreffen beabsichtigt gewesen?

Nein, der historische Aspekt hat mich zu Beginn überhaupt nicht interessiert. Irgendwie musste ich mich damit beschäftigen, denn Heisenberg lebte zu dieser Zeit und spielte eine gewisse Rolle. Als mir bewusst wurde, dass ich nicht umhinkomme, mich mit den historischen Problemen auseinanderzusetzen, war ich nicht gerade begeistert. Später hat diese Arbeit mich doch sehr gefesselt.

Für die einen war Heisenberg ganz klar der Mitläufer, für andere, wie auch Sie, sind die Antworten auf moralische Fragen viel komplexer. Gab es Momente beim Schreiben, wo Sie geneigt waren, über ihn zu urteilen?

Nein, niemals. Das hätte mich auch vor ein Problem gestellt: Ich glaube nicht, dass der Roman der geeignete Ort ist, Urteile zu fällen. Natürlich ist in manchen Fällen das moralische Urteil klar und eindeutig. In derart komplexen Fällen wie bei Heisenberg wäre es aber ein Fehler, alles in einem Roman um das moralische Urteil herum zu gruppieren, das wäre kein Roman mehr, sondern ein Plädoyer. Ich habe versucht, die unterschiedlichsten, gegensätzlichsten Blickwinkel einzunehmen. Denn ich bin überzeugt davon, dass die Wirklichkeit niemals so einseitig ist, dass sie ein endgültiges Urteil erlaubt.

In Ihrem Roman erscheint Heisenberg manchmal schwach, unentschlossen, gar blind gegenüber der Realität, die ihn umgibt. Andererseits kann man ihm nicht wirklich etwas vorwerfen.

Das sehe ich auch so: Heisenberg hatte sich nicht viel vorzuwerfen. Aber ich habe mir auferlegt, auch diese spontane Haltung zu ihm einer anderen möglichen Sichtweise zu unterziehen. Die Literatur ist für mich eine Kunst der Komplexität.

Der Roman geht über die Biografie Heisenbergs jedoch weit hinaus. Das Heisenbergsche Prinzip, die Unschärferelation, besagt, dass es nicht möglich ist, gleichzeitig die Geschwindigkeit und die präzise Position eines Atoms zu bestimmen. Diese Ungleichzeitigkeit hat für Sie auch eine metaphysische, mystische Dimension. Wie passen Quantenphysik und Literatur zusammen?

In den Texten Heisenbergs und seinem Zugang zur Quantenmechanik gibt es offensichtlich eine poetische, mystische Dimension. Das ist es, was mich sofort berührt hat an Heisenberg. Die Probleme der Quantenmechanik hat er auch als Unzulänglichkeit der Sprache, die Wirklichkeit zu erfassen. Als ob die Konzepte der Sprache nicht geeignet sind, angemessen über die Welt zu sprechen, wenngleich man darauf angewiesen ist, die Sprache zu benutzen, um darüber zu sprechen. Diese Distanz ist für mich der metaphorische Raum. Und das war auch der Grund für das Buch.

Eine andere Verbindung ist über die Schönheit. Das Buch endet mit einer sehr schönen Szene – als Heisenberg den Ich-Erzähler fragt: „Wie finden Sie unseren See, unsere Berge?“ Und das zu einem Zeitpunkt, als Deutschland in Ruinen lag.

Das ist eine reelle Szene. Als ich das gelesen habe bei Heisenberg, war ich sehr fasziniert. Für mich war es eine große Entdeckung, zu sehen, in welchem Maße in naturwissenschaftlichen Texten – nicht nur bei Heisenberg – die Schönheit eine grundlegende Rolle spielt.

Heisenberg begleitet Sie schon sehr lange. Was war letztlich der Impuls, der Sie zum Schreiben gebracht hat?

Mein erster Roman über die Quantenphysik erschien 2002, aber es ging nicht um reale Personen. Den Roman über Heisenberg konnte ich erst schreiben, nachdem ich das erste Mal in meinem Leben in Deutschland zur Premiere dieses Buches gewesen bin. Das hat mir einen konkreteren Zugang zu Heisenberg erlaubt. Ohne diese persönliche Annäherung hätte ich diesen Roman nie geschrieben. Letztlich verdankt dieser Roman sehr viel meinem deutschen Verleger und meinen deutschen Freunden, die mir eine Realität gezeigt haben, die ich vorher nicht kannte.

Der Roman ist gleichzeitig auf Deutsch und Französisch erschienen, was ja eher außergewöhnlich ist. Wie kam es dazu?

Es war eher ein Zufall: Ich, der ein Buch schreiben wollte, das fast ausnahmslos in Deutschland spielte, hatte große, große Angst, Dummheiten zu schreiben und meinen Text mit französischen Klischees zu füllen. Ich schickte also meinem deutschen Verleger und Übersetzer, Christian Ruzicska, fortlaufend den Text, so wie er entstand. So ist es natürlich üblich mit dem französischen Verleger, aber nicht mit dem deutschen. Und ich bat ihn, mir zu sagen, wenn ich völligen Blödsinn geschrieben habe, und mir den Text zurückzuschicken.

Er hat Ihnen aber nichts zurückgeschickt?

Nein, er hat ihn zeitgleich übersetzt.

Sie haben in beiden Ländern aus Ihrem Roman „Das Prinzip“ vorgelesen. Haben Sie Unterschiede in der Rezeption bemerkt, gibt es möglicherweise andere Reaktionen, andere Fragen?

Ja, das ist eindeutig so. Ich habe den Eindruck, dass das Publikum in Deutschland sehr viel sensibler auf den metaphysischen, poetischen, mystischen Aspekt reagiert, während man sich in Frankreich eher für den historischen Aspekt interessiert.

Haben Sie eine Erklärung dafür?

Ich weiß nicht, vielleicht sind die Deutschen eher metaphysisch veranlagt (lacht).

Sie sehen darin nicht etwa eine Ablehnung gegenüber der historischen Dimension?

Nein, das überhaupt nicht, darüber wird ja gesprochen.

Ihr vorheriger Roman „Predigt auf den Untergang Roms“, für den Sie den „Prix Goncourt“, die höchste literarische Auszeichnung Frankreichs, erhalten haben, spielt in ihrem Heimatland Korsika. Nun ein Roman in Deutschland. Wohin wird Sie Ihre nächste Reise führen?

Wissen Sie, ich verlasse eigentlich nie wirklich Korsika. Selbst in „Das Prinzip“ ist es präsent, man bemerkt es vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber wenn ich Landschaften beschreibe, sind das korsische. Ich weiß überhaupt nicht, wohin mich meine nächste Reise führt. In den vergangenen drei Jahren bin ich zu viel gereist, um mich einem neuen Roman zu widmen.

Das Gespräch führte Grit WeirauchJérôme Ferrari liest in Potsdam aus seinem Roman „Das Prinzip“ am 5. Mai um 14 Uhr im Literaturladen Wist, Dortustraße 17

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