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Raus aus der Routine, weg von der Schwerkraft: Laura Heinecke und Yannis Karalis spielen ein Paar, das schon lange zusammenlebt. Beim Tanzen folgen sie unsichtbaren Wegen.

© Bernd Gurlt

Kultur: Die Kraft des Gaga

Laura Heinecke erkundet in ihrem neuen Tanzstück „Invisible Roads“ auch unsichtbare Wege in ihrem eigenen Leben

Sie nahm einige Umwege – doch Laura Heineckes Weg scheint trotzdem direkt auf „Invisible Roads“ zugelaufen zu sein. So heißt das neue Tanzstück, das die Potsdamer Tänzerin am Freitagabend in der fabrik zur Premiere bringen wird. Das Thema – unsichtbare Wege – hat viel mit ihrer Entwicklung als Tänzerin zu tun. Eigentlich war schon früh erkennbar, dass die heute 29-Jährige tanzen würde. Schon als Zweijährige sei sie immer wieder auf einen schwarzen Koffer gestiegen, um sich darauf zu bewegen, sagt Laura Heinecke. Und doch brauchte die Tochter einer klassischen Balletttänzerin einige Umwege, um zu entdecken, dass sie eine Tanzausbildung absolvieren will.

Als Vierjährige begann sie mit Geräteturnen, acht Jahre lang blieb sie intensiv dabei. Kurz versuchte sie es mit Ballett, aber die Anforderung, binnen kurzer Zeit Spagat zu können, verleidete ihr die Lust daran. Als Jugendliche fragte sie sich in einem Jazztanzkurs, warum sie dabei eigentlich nur nach- und nicht selbst tanzen durfte. Damals riet ihr auch ihre Mutter entschieden von einer Tanzausbildung ab. Doch dann wirkte Heinecke 2005 bei den Aufführungen der „Parzival“-Adaption des Offenen Kunstvereins „Mad King Cool“ mit. Während der Proben hatte sie wenig Lust auf Sprache und funktionierte die „Gralshüter-Szene“ einfach in eine Tanzszene um. Als begeisterte Zuschauer sie darauf ansprachen, wusste sie, sie muss tanzen.

Von da an nahm sie kaum noch Umwege, um ihre eigenen Vorstellungen von zeitgenössischem Tanz zu leben. Heinecke ging nach Freiburg auf die TIP-Schule für Tanz, Improvisation und Performance, die in ihrer inhaltlichen Ausrichtung auf New Dance einzigartig in Deutschland ist. Dort wird besonderen Wert auf organische Bewegungen gelegt. Mit dem Gebrauch von Gewicht, Atem und Impuls entstehen kraftvolle und dynamische Choreografien, die dem natürlichen Bewegungsfluss folgen. Nach der dreijährigen Ausbildung und ersten eigenen Arbeiten hat Laura Heinecke im vergangenen Jahr mit ihrem Stück „Calling“ ein erstes Achtungszeichen in die Potsdamer Tanzlandschaft gesetzt. Daraus entwickelte sich die Zusammenarbeit mit der fabrik und die gemeinsamen Zukunftspläne reichen inzwischen über die Premiere an diesemWochenende hinaus.

In „Invisible Roads“ verkörpert Heinecke gemeinsam mit dem Griechen Yannis Karalis ein Paar, das schon lange zusammenlebt. Karalis, der ebenfalls die Ausbildung in Freiburg absolvierte, verfügt wie sie über eine außergewöhnliche Präsenz auf der Bühne und entwickelt eine ähnlich klare und intensive Bewegungssprache. Choreografiert hat „Invisible Roads“ die Israelin Shai Faran, die wie Heinecke selbst von Gaga, der Bewegungssprache von Ohad Naharin von der berühmten israelischen Batsheva-Dance-Company inspiriert sei, erzählt Heinecke.

Gaga ist ein spezieller Ansatz, den Körper und die Welt zu denken. Laura Heinecke verdeutlicht das am Beispiel der Schwerkraft – die kennt jeder. In der Betrachtung von Gaga kämen Kräfte hinzu die nach oben und zu den Seiten wirken. Interessant an diesem Denkansatz sei außerdem, dass man nicht nur man selber sei, sondern es Gesetze und Kräfte gebe, die außerhalb des eigenen Selbst wirken und größer sind als man selbst. Wieder hat die energiegeladene Frau ein Beispiel: „Das ist, als ob man in einer Gruppe rennt und das Gefühl hat, dass es schneller geht und man weniger Anstrengung verspürt.“ Diese nicht sicht-, aber fühlbaren Energien vergleicht sie auch mit Phänomenen aus der Pflanzen- und Tierwelt oder mit der kollektiven Intelligenz, der sogenannten Schwarmintelligenz, die beispielsweise in einem Vogelschwarm wirkt.

Eine der wesentlichen Fragen bei den aktuellen Proben hieß: Wie kann man als Individuum in der Sicherheit von Beziehung weiterwachsen? Unsichtbare Wege sind für Heinicke die verschiedenen Reaktionsmöglichkeiten, die Menschen haben, wenn sie miteinander interagieren, kommunizieren: Man kann innere Auseinandersetzungen darüber führen, ob man sich weiter in seiner Routine bewegt, sich auf das Gegenüber vollkommen einstellt oder man kann darüber reflektieren, ob man gar nicht reagiert und vollkommen bei sich bleibt. Das sei wie ein Netzwerk von Möglichkeiten, das man stets mit sich herumträgt, selbst, wenn man allein ist.

Alle Beteiligten an „Invisible Roads“ sollten sich während der Proben auch mit der Frage auseinandersetzen, in welchen Situationen sie wachsen. Es gab dazu ganz unterschiedliche Ansichten. Laura Heinecke, die, wie sie im Gespräch lachend sagte, fast jede Woche darüber nachdenkt, warum sie tanzen muss, kam für sich zu dem Ergebnis, dass sie daran das größte Interesse hat, weil sie die meiste Kraft und Inspiration daraus zieht. Sie fand aber auch heraus, dass es in ihrer eigenen Familie neben den sicht- auch unsichtbare Wege gibt, die sie auf diesen Weg brachten: Als sie ihrer 93-jährigen Urgroßmutter das Video von „Calling“ vorspielte, bekannte die alte Frau zum ersten Mal, dass es genau das sei, was auch sie in ihrem Leben immer machen wollte.

Die Premiere von „Invisible Roads“ am 6. Dezember um 20 Uhr in der fabrik, weitere Vorstellungen am 7. Dezember um 20 Uhr und am 8. Dezember um 16 Uhr.

Astrid Priebs-Tröger

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