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Kultur: Die hohe Schule des Stehgreifspiels Antonio Di Dedda beim Potsdamer Orgelsommer

Gibt es Orgelliteratur, die durch Improvisation inspiriert ist? Gewiss doch.

Gibt es Orgelliteratur, die durch Improvisation inspiriert ist? Gewiss doch. Und sicherlich reichlicher, als man denkt. Diese Frage faktensicher beantworten zu können, bemühen sich alle Konzerte des diesjährigen Potsdamer Orgelsommers. Belege dafür finden sich als notennotierte Fundstücke bei vielen Komponisten oder werden von den Interpreten als Ausdruck ihres Erfindergeistes dazugeliefert. Die Krönung eines jeden Orgelkonzerts sollen dabei die Improvisationen nach Wünschen vom Publikum sein.

Dies zu können, zeichnet einen jeden Organisten aus, der auf sich hält. Zu denen gehört zweifellos der 1992 in Mailand geborene Antonio Di Dedda, der am Mittwoch beim Preisträgerkonzert des Orgelsommers über zwei Themen aus dem bachschen „Weihnachtsoratorium“, einem Beatles-Titel und drei freien Themen frei fabulierte und daraus eine überraschungsreiche Melange kreierte. Er erspielte sich 2014 beim Tariwerdijew-Wettbewerb in Kaliningrad nicht nur den 3. Preis, sondern erhielt auch den Spezialpreis der Potsdamer Orgelbaufirma Schuke, der ihm nun diesen Auftritt an der barock disponierten Schuke-Orgel in der Erlöserkirche ermöglichte.

Doch ehe er die Hohe Schule des Stehgreifspiels zeigen kann, gibt er sich zunächst und hemmungslos der virtuosen Verführungslust von Johann Sebastian Bachs Praeludium und Fuge C-Dur BWV 545 hin. Mit strahlenden Prinzipalstimmen lässt er das volle Orgelwerk aufrauschen, in dem sich Manual und Pedal immer wieder klangbrillant mischen. Hell registriert, ohne Mätzchen, klar und überschaubar in den Strukturen spielt er die Fuge und steigert sie ohne Hektik in hymnisch-erhabene Gefilde.

Di Deddas Improvisation über das Thema B-A-C-H folgt ihr, wobei einzelne Töne zunächst im Pedal grummeln, sich dann als Bruchstücke im Hauptwerk wiederfinden, um schließlich im oberen Register zu landen, von tropfenförmigen Tonsprinklereien umhüllt. Sehr rhythmisch angelegt, kontrastieren zerfaserte Melodielinien mit pointillierten Akkorden. Das alles führt, farbenreich registriert, zu skurrilen Wirkungen à la Mussorgskis „Hütte der Baba Jaga“, indem er aus den B-A-C-H-Bausteinen klanglich schließlich das Hexenhaus entstehen lässt. Für seine „Hommage à Couperin“ – Improvisationen über Themen aus Cembalostücken – imitiert die Orgel per entsprechenden Flötenstimmen den silbrigen Klang eines Cembalo und verbreitet all die hüpfenden Notenvergnüglichkeiten auf witzige, pointierte und lautmalerische Weise. Dagegen setzen seine originellen Improvisationen über Themen von Claude Debussy auf dessen impressionistische Schreibweise. So entsteht ein floskelhafter Mix aus verschwimmenden Lichterspielen, windsäuselnden Bewegungen und Meereswiegendem.

Dagegen setzen die Spätromantiker Max Reger und Louis Vierne ganz auf ihr Können, erfundene Themen durch den eigenen Variationswolf zu drehen. Reger in der „Improvisation“, erster Satz aus der 2. Sonate d-Moll op. 60. Da rauscht es ungehemmt im vollen Orgelwerk, unterbrochen von ruhigen Passagen weichtönender Solostimmen. Nicht weniger klangprächtig setzt Antonio Di Dedda Viernes „Trois Improvisations pour Grand Orgue“ zwischen gefühlsseligem Dahinschweben und tokkatischer Direktheit in Szene. Peter Buske

Peter Buske

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