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Das Warmwasserbecken am Strand von Warna ist für viele Einheimische nicht nur ein wichtiger Treffpunkt, sondern eine Wohltat für Körper und Seele.

© Filmuni Babelsberg

"Die Grube" auf der Berlinale: Filmstudenten zeigen die Vertreibung aus dem Paradies

Potsdamer Filmstudenten haben für ihren Film "Die Grube" einen sehr ungewöhnlichen Ort in Bulgarien ausgewählt. Und es damit auf die Berlinale geschafft.

Berlin/Potsdam - Ob man Schwäne eigentlich essen kann, will der grauhaarige Pensionär von seinem Bekannten wissen. Nein, das geht wohl nicht, die Tiere seien zu edel – und schmecken würden sie auch nicht, wie bei Krähen und Möwen. Das Fleisch sei zu fest, vermuten die beiden alten Männer. Ein anderer meint, das Fleisch würde nach Fisch stinken. Die Männer liegen in einem dampfenden Wasserbecken, hinter ihnen rauschen sanft die Wellen des Schwarzen Meeres heran, man hört Möwen schreien und sieht Schwäne auf den Wellen schaukeln.

Zur Bühne für Frührentner

Es ist ein recht außergewöhnlicher Ort, den die Potsdamer Filmstudentin Hristiana Raykova in ihrem Berlinale-Film „Die Grube“ in den Mittelpunkt rückt. Das Becken mit 37 Grad warmem Thermalwasser wird zur Bühne für Frührentner, Selbstdarsteller und Lebenskünstler. Sie liegen Tag für Tag in dem warmen Quellwasser am Strand der bulgarischen Hafenstadt Warna, besprechen das Leben, erzählen von verflossenen Liebschaften und davon, dass früher sowieso alles besser war.

Dann hört man eine Stimme zur Gitarre aus dem Off singen, und auch ohne Bilder ist klar, dass der Sänger zahnlos sein muss. Der 80-jährige Alexander, der einst den ganzen Ostblock als Musiker bereist hat, besingt die Schönheit Bulgariens. Und natürlich der Frauen. Stolz zählt er seine 728 Frauen auf. Beliebt sei er bei den Frauen gewesen. Seine Ehe ging dadurch zu Bruch.

In Bulgarien im Paradies auf Erden

Der aus Russland stammende Genadi meint, dass man in Bulgarien im Paradies auf Erden sei. Das sieht Taxifahrer Dimtscho ähnlich, schließlich sei es hier warm, wenn es bei seiner neuen Moskauer Freundin noch schneit. Und für kalte Tage bleibt ihnen schließlich das warme Quellwasser der „Grube“ zum Aufwärmen. Nachts, wenn die Pensionäre zuhause sind, treiben sich hier Männer wie Bobi herum, rund um das Becken vergnügen sie sich mit Zufallsbekanntschaften, mal für Geld, mal aus purer Leidenschaft. Eine Wohltat für Körper und Seele sei die Quelle, sagt einer der Dauergäste am Tag. Nicht umsonst nenne man das Becken auch die „Quelle der Aphrodite“.

Die Quelle soll bald Eintritt kosten

Doch der Friede trügt – die Vertreibung aus dem Paradies droht. Die Stadtverwaltung will die Hoheit über das illegale Becken bekommen. Weil es unhygienisch sei und auch wegen der nächtlichen Orgien. Doch dann würde die bisher frei zugängliche Quelle Eintritt kosten, etwa 10 Lew. Alexander schüttelt nur den Kopf, wie soll man das mit 150 Lew Rente bezahlen können. 

Alexander wohnt in einem ziemlich verrümpelten Haus, in der Küche türmen sich Dosen, Packungen, Töpfe und Sonstwas, auch im Garten lagert haufenweise Krimskrams. Wenn es gut läuft, kann der alte Mann Zimmer in seinem Haus an Touristen vermieten. Wenn er nicht gerade Mundharmonika spielt.

Ein soziales Sittengemälde der bulgarischen Realität

Der Dokumentarfilm in der Berlinale-Reihe Perspektive Deutsches Kino geht darüber hinaus, einfach nur zu dokumentieren, was ist. In der Beschreibung der Darsteller zeichnet er ein soziales Sittengemälde der bulgarischen Gegenwartsrealität. Geld hat hier eigentlich keiner. Und als ihr Paradies in Gefahr gerät, beschließen die Männer von der Grube, aktiv zu werden. Sie gründen eine Bürgerinitiative, sammeln Unterschriften und protestieren vor der Stadtverwaltung. Doch die Verhältnisse in Bulgarien sind nicht so eindeutig, dass demokratischer Protest Wirkung zeigt. Der zuständige Kreisverwalter verspricht zwar, dass alles gut wird – am Ende geht es aber wohl doch nur darum, die mittellosen Dauergäste von dem Thermalbecken los zu werden und nach einer Sanierung den Ort gegen Eintritt neu zu eröffnen.

Regisseurin Hristiana Raykova (r.) und Produzentin Genia Krassnig, beide Filmuni-Babelsberg, haben mit ihrem Film „Die Grube“ ein Sittengemälde der bulgarischen Gegenwart geschaffen.
Regisseurin Hristiana Raykova (r.) und Produzentin Genia Krassnig, beide Filmuni-Babelsberg, haben mit ihrem Film „Die Grube“ ein Sittengemälde der bulgarischen Gegenwart geschaffen.

© Manfred Thomas

Wir treffen die Regisseurin Hristiana Raykova und die Produzentin Genia Krassnig vor der Weltpremiere ihres Films auf der Berlinale. „Es ist extrem überwältigend“, sagt Hristiana Raykova über das Festival – für sie ist es überhaupt das erste Mal auf der Berlinale. Jetzt sind die beiden Babelsberger Filmstudentinnen natürlich gespannt, ob sich hier ein Verleih für den Film findet. Und können es kaum abwarten, ihren Film auf der riesigen Leinwand zu sehen. „Diese Bilder sind für die große Leinwand wie geschaffen“, sagt Regisseurin Raykova. Die grandiosen, zum Teil geradezu poetischen Bilder hat Kameramann Johannes Greisle, ebenfalls von der Filmuni, eingefangen. Der Film ist Gemeinschaftswerk von sieben Studierenden der Babelsberger Filmuniversität, rbb und Medienboard haben das Projekt gefördert.

Drei Jahre hat das Team gebraucht, bis der Film fertig war. Doch das Warten hat sich gelohnt. Denn erst als das Filmteam nach den Dreharbeiten zurück in Deutschland war, erreichte sie die Nachricht von den Problemen um die „Grube“. „Das war reiner Zufall“, erzählt Regisseurin Raykova, die selbst aus Warna stammt. Sofort ist sie alleine mit einer Kamera zurückgeflogen, um an der Geschichte dran zu bleiben.

„Eine grandiose Kulisse, ein Ort wie eine Bühne"

Hristiana Raykova hatte für ihren Film nach einem spektakulären Ort gesucht. Schließlich fand sie das Thermalbecken dafür. „Eine grandiose Kulisse, ein Ort wie eine Bühne, ein Treffpunkt der Einheimischen“, sagt sie. Hier konnte sie die unterschiedlichsten Menschen treffen, bekam ganz verschiedene Einblicke in die Realitäten des gegenwärtigen Bulgarien.

Die Quelle gab es schon vor 40 Jahren. Es hieß, man sagte dem Wasser heilende Wirkung nach. Damals hatten sich die Anwohner am Strand mit Steinen provisorische Becken gebaut. Vor rund 20 Jahren half dann ein geheimnisvoller Spender, dem das Heilwasser geholfen haben soll, mit Geld für den Ausbau. Es entstand ein Provisorium, eine Nische der Gesellschaft abseits ökonomischer Zwänge – durchaus auch ein wichtiger Teil des Gemeinwohls – und letztlich ein sehr dankbares Thema für einen Film wie diesen. Nicht umsonst ist „Die Grube“ für den Dokumentarfilmpreis 2019, den Kompass- Perspektive-Preis und den Teddy Award nominiert.

Der Russe Genadi hatte sich im Konflikt um das Becken für den Erhalt des aktuellen Zustands stark engagiert. Stolz konnte er 507 Unterschriften verkünden. Doch am Ende verliert Genadi plötzlich aus unerfindlichem Grund den Pachtvertrag für seinen kleinen privaten Streichelzoo, von dem er gelebt hat. Wegen des Beckens, vermutet er. Er habe eins von oben drauf bekommen, sagt er. Die Grube interessiert ihn plötzlich nicht mehr, er ist geknickt und geht schließlich zurück in seine sibirische Heimat. Alexander weiß, dass man einen harten Hintern braucht, um die „Idioten der Regierung loszuwerden“. Dimtscho fährt weiter mit seinem Taxi durch die Stadt und hofft, noch so lange wie möglich an die „Grube“ fahren zu können. Seiner russischen Freundin hat er den Laufpass gegeben. Sie sei noch schlimmer als seine Ex-Frau gewesen, erzählt er. Aber er hat bereits eine neue Freundin. Die er natürlich an der „Grube“ kennengelernt hat.

Unklar, was dort passiert

Und die Geschichte ist immer noch nicht zu Ende. Vor drei Wochen erst wurde das Wasser abgedreht, erzählt die Produzentin Genia Krassnig. Jetzt läuft es nach erneuten Protesten wieder. „Aber es ist völlig offen, was passiert“, sagt sie. Mehr erfahren kann man nun vielleicht auf der Berlinale, zur Vorführung heute Abend werden drei der Protagonisten erwartet. Und vielleicht kann auch der Film etwas bewegen. Obwohl er noch gar nicht zu sehen war, wird in den Sozialen Medien in Bulgarien bereits rege darüber berichtet.

Do 14.02. um 12 Uhr im Colosseum 1 und um 20 Uhr im CinemaxX 1 (mit Protagonisten). 23.02. um 19.30 Uhr im Filmmuseum Potsdam (mit Filmcrew)

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