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Kultur: Die DDR als Volk der Mitläufer

Roman Grafe stellte sein Buch über „Anpassen oder Widerstehen in der DDR“ in der Kleist-Schule vor

Die Mehrheit der DDR-Bürger passte sich stärker an, als sie tatsächlich musste. Sie ließ die Möglichkeiten des gefahrlosen Widerstehens und Widersprechens ungenutzt. Dieser Meinung ist Roman Grafe. Seit Langem beschäftigt sich der 1968 in Brandenburg geborene Journalist und Filmemacher in seinen Büchern mit dem Unrechtssystem der DDR. In dem zuletzt von ihm herausgegebenen Buch „Die Schuld der Mitläufer“, das er am Mittwochabend in der sehr gut besuchten Kleist-Schule vorstellte, geht Grafe der Frage nach, ob nicht gerade durch diese Angepasstheit der Mehrheit der DDR-Bürger indirekt das Regime der SED und deren Unterdrückungsapparat gestärkt wurde.

Bekannte Autoren wie Wolf Biermann, Erich Loest oder Fritz J. Raddatz, aber auch mehrere unbekannte Zeitzeugen kommen in dieser Anthologie (Pantheon Verlag, München 2009, 14,95 Euro) zu Wort. In ihren Kurzgeschichten und Alltagsepisoden reflektieren sie durchgehend kritisch ihr Leben als einstige Bürger der DDR und ihren Zwiespalt zwischen angepasstem Mitschwimmen und offener Protesthaltung. Einer von ihnen ist der Berliner Rentner Horst Schmidt.

Seine Geschichte, die Grafe an diesem Abend vorliest, gehört sicher zu den eindrucksvollsten des Buches. Schmidt, dessen Sohn den Waffendienst an der Grenze verweigert hatte und der 1984 bei einem Fluchtversuch an der Mauer erschossen wurde, hatte sich zuvor ebenfalls angepasst und trotz Drangsalierungen nie an den Grundfesten der SED gerüttelt. Bis zum Mauerbau habe der „Drecksdampfer DDR im Hafen gelegen“. Danach war er auf hoher See, man habe ihn nicht mehr verlassen können und es sich eben gemütlich gemacht. „Man musste sich anpassen, um nicht ständig anzuecken“, sagt Schmidt. Ein häufig vorgebrachtes und auch an diesem Abend von einem Gast genanntes Argument, mit dem die Mehrheit der DDR-Bevölkerung ihr Mitläufertum zu rechtfertigen versuchte, wie Grafe festhält. Doch er lässt dies nicht gelten und macht dabei ganz klar auf den Unterschied zwischen Widerstand und Widerstehen aufmerksam. Grafe, der nach mehreren erfolglosen Versuchen schließlich im Januar 1989 in die Bundesrepublik ausreisen durfte, gibt zu, dass er selbst kein Widerständler gewesen sei, da ihm der Mut gefehlt habe. Doch habe er auch nicht zur rechten Zeit die Fahne raushängen, drei Jahre zur Armee gehen oder der Partei beitreten müssen, da ja immer die Möglichkeit bestanden habe, entweder Ja oder Nein zu sagen, wie er betont – wenngleich ohne eine an dieser Stelle vielleicht sinnvolle Differenzierung der Mitläuferkategorie vorzunehmen. Zwischen Anpassen und Widerstehen, ist sich Grafe sicher, habe jeder sein eigenes Maß finden können, nur hätten nicht viele DDR-Bürger ernsthaft danach gesucht. Vielmehr habe die Mehrheit, statt stillen Protest zu üben, aus purer Bequemlichkeit, aus Angst vor einem Statusverlust oder in der Hoffnung auf Privilegien, sich mit dem Regime arrangiert und geschwiegen, worauf sich das DDR-Regime jahrzehntelang verlassen konnte, so die auch vom Publikum fast einhellig geteilte Meinung Grafes.

Und auch auf den verklärenden Satz „Es war nicht alles schlecht“ kommt Grafe gegen Ende der fast zweistündigen Lesung zu sprechen. Für ihn bedeutet diese Redewendung nichts anderes, als dass man es sich gut gehen ließ, während es anderen schlecht ging. Im Prinzip habe sich die Situation ja nicht verändert, so Grafe. Denn um zu erkennen, dass Mitläufertum nicht nur ein Phänomen in Diktaturen ist, müsse man sich nur ehrlich fragen, was man heute hinnimmt und wo man lieber wegschaut. Daniel Flügel

Daniel Flügel

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