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Kultur: Dialog auf Augenhöhe

Lamya Kaddor stellte beim 14. Frauenkulturfestival ihr Buch „Muslimisch, weiblich, deutsch!“ vor

Es liegt Vieles im Argen. Während Thilo Sarrazins Buch in Millionenauflage verkauft wird und manche Medien mit Vorurteilen und Stereotypen die Angst vor dem Islam weiter schüren, erreicht eine Autorin wie Lamya Kaddor, die am Donnerstagabend im Café 11-line ihr Buch „Muslimisch, weiblich, deutsch!“ vorstellte, faktisch sehr viel weniger Menschen. Zwei Dutzend Frauen kamen, um der Islamwissenschaftlerin und Pädagogin Kaddor, die 1978 in Deutschland als Tochter syrischer Einwanderer geboren wurde, zuzuhören und auch ganz alltagspraktische Fragen zu stellen: Nämlich, wie die Mitarbeiterin eines Mädchentreffs mit der „Kopftuchfrage“ umgehen solle und ob sie muslimische Mädchen in die sexuelle Aufklärung einbeziehen könne.

Kaddor hat in ihrem 200 Seiten starken Buch ein ganzes Kapitel der „K-Frage“ gewidmet und verweist darauf, um dann doch ausführlich auf diese Frage einzugehen. Sie schildert, warum sie selbst in Deutschland, anders als ihre sämtlichen weiblichen Verwandten, kein Tuch trägt, aber im 200-Seelen Dorf ihrer Eltern durchaus ihren Kopf bedeckt. Und sie erklärt vor allem die historische Bedeutung der Kleidungsvorschriften des Koran, die zur Zeit seiner Entstehung für Frauen, die sich bedeckten, bedeutete, dass sie nicht mehr „frei“ und somit verkäuflich waren, sondern eigene Rechte wie das auf Bildung oder ein Erbe hatten.

Kaddors heutige zeitgemäße Auslegung lautet jedoch: Ich muss nicht mehr als Muslima erkannt werden und auch die Schutzfunktion ist in Deutschland nicht mehr gegeben, da diese hierzulande der Staat übernimmt. Ihr Motto: „Leben und leben lassen.“ Zu dieser persönlichen Innensicht gesellen sich in Lamya Kaddors Buch viele Gedanken über das Leben der „schweigenden muslimischen Mehrheit“ in Deutschland. Die vier großen Verbände der Muslime repräsentieren nämlich höchstens 20 bis 30 Prozent aller vier Millionen Muslime hierzulande. Genauso wie an Deutschland stellt sie an ihre Glaubensbrüder und -schwestern im Buch zehn Forderungen, die unter anderem Toleranz für und Anpassung an die neue Umgebung, Verantwortung und Pflichten gegenüber dem deutschem Staat heißen. Sie selbst empfindet die „Mehrheit der Deutschen als offen, tolerant und entgegenkommend.“

Von Deutschland verlangt sie, dass der Islam den christlichen Kirchen gleichgestellt wird, dass mehr in Bildung investiert und islamischer Religionsunterricht flächendeckend eingeführt werden soll. Diese Forderung ist ihr wichtig, da die Kinder und Jugendlichen, die sie selbst an einer Hauptschule in NRW unterrichtet, sehr wenig über ihre eigene Religion wissen und auch deswegen anfällig für Islamismus seien.

In der sich anschließenden mehr als einstündigen Diskussion zeigte sich, dass es selbst bei Menschen, die sich mit dem Islam beschäftigt haben, Verständnisprobleme gibt und dass nur ein Dialog auf Augenhöhe zu einer wirklichen Verständigung führen kann.

Lamya Kaddors Buch kann genauso wie ihr „Koran für Kinder und Erwachsene“ zur Wissensvermittlung und zur Aufklärung beitragen. Denn es liegt schon Vieles im Argen, wenn sich Lamya Kaddor nach der Sarrazin-Debatte zum ersten Mal in ihrem Leben fragt, ob sie wirklich in Deutschland alt werden will.Astrid Priebs-Tröger

Lamya Kaddor: Muslimisch, weiblich, deutsch! - Mein Weg zu einem zeitgemäßen Islam, erschienen bei C.H. Beck 2010, 17.90 Euro

Astrid Priebs-Tröger

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