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Hamdi Dridi in seinem Solo "Tu meur(s) de Terre", der letzten Deutschlandpremiere bei den Potsdamer Tanztagen 2020.

© Cosimo Trimboli

Deutschlandpremiere aus Tunesien bei den Tanztagen: Tanz mir das Lied vom Tod

In dem Solostück "Tu meur(s) de Terre" tanzt der tunesische Choreograf Hamdi Dribi die Gegenwart seines verstorbenen Vaters herbei. Es war die letzte von sechs Deutschlandpremieren bei den von Corona geprägten Potsdamer Tanztagen 2020.

Potsdam - Der vielleicht berührendste Moment dieses Abends kommt ganz am Schluss, als das Stück schon vorbei ist. Da tritt der tunesische Tänzer Hamdi Dridi ein paar Schritte nach vorn, verbeugt sich, klopft sich dann, den Blick zum Publikum, auf die linke Brust. Zweimal. Eine Geste der Dankbarkeit, des Respekts, der Verbindung. 

Eine Geste, die auch in der zuvor gezeigten Choreografie "Tu Meur(s) de Terre" wiederkehrendes Thema war, tänzerisches Element in einem Stück über die Erinnerung an den Vater. Wie stark sich die Gesten dieses Vaters tatsächlich in die alltäglichen Bewegungen des Tänzers eingeschrieben haben, das schien sich hier, in dem Moment jenseits der Performance, zu zeigen.

Erinnerung will erobert werden

"Tu Meur(s) de Terre" ist eine Art der Totenbeschwörung. Es ist zudem die letzte von sechs Deutschlandpremieren der unter den Bedingungen des Coronavirus stattfindenden Potsdamer Tanztage 2020 - eine Ausbeute, vor der man angesichts der schwierigen Umstände schon einmal den Hut ziehen darf. Dass auch in diesem Jahr Künstler aus Spanien, Belgien, Frankreich und sogar Kanada anreisten, war absolut keine Selbstverständlichkeit. Viele andere Festivals, Tanz im August nebenan in Berlin zum Beispiel, können nur digital stattfinden. 

Entstanden ist "Tu meur(s) de Terre" in Erinnerung an den Vater des Tänzers, ein Hausmaler, der von einem Tumor befallen wurde und 2014 starb. Der Choreograf Hamdi Dridi wuchs in Tunis auf, kam dort zunächst über den HipHop und dann über Maguy Marin, eine Ikone des zeitgenössischen Tanzes, die bei den diesjährigen Tanztagen auch in einem Film vertreten war, zum Tanz. In seinem 2014 entstandenen Solo spürt Dridi den Bewegungen des soeben Verstorbenen nach. Tanzt sich gewissermaßen seine Präsenz herbei. 

Das Zwielicht, aus dem sich Dridi zu Beginn des Stückes langsam herausschält, macht deutlich, dass es eine Distanz zu überwinden gilt: Erinnerung will erobert, aktiviert werden. Behutsam schiebt sich Hamdi Dridi aus dem im Dunkel liegenden Bühnenhintergrund ins Scheinwerferlicht. Leicht gebeugt zunächst, mit kleinen Schritten, genauen Gesten: als alter Mann. Ein Mann, der sich den Staub vom Revers wischt, innehält, aufschaut, als sähe er Vögel davonfliegen. Ein zärtlicher Mann auch: Immer wieder streichelt er sich über die linke Brust, wiegt dabei den Oberkörper leicht hin und her, als hielte er eine Katze im Arm. Oder ein Kind?

Tod und Alter sind immer nur eine Sekunde entfernt

Der alte Mann verjüngt sich zusehends, die Bewegungen werden ausladender, kraftvoller, bald glaubt man die großen schwungvollen Züge eines Hausmalers zu erkennen. Bald einen Jungen beim Basketballspiel. Einen Mann, der sich inbrünstig auf die Brust schlägt, als sei er im Streit, der mit dem Finger auf Dinge oder Menschen deutet, der den Körper strafft, als stehe er stramm wie beim Militär. Ein Mann, der im Leben steht.

Alter und Tod aber, das kann so nur der Tanz, ist immer nur einen Schritt, eine winzige Bewegung entfernt. Plötzlich fährt sich Dridi mit der Hand über den Kopf, als versuche er sich zu erinnern, dann sackt er zusammen, die linke Hand krampft sich wie unter einem Anfall zusammen. Später wird er auf dem Boden liegen, als sei er aufgebahrt. Aber, auch das kann so nur der Tanz, er wird wieder aufstehen, wieder jung sein, und wieder alt. Und so weiter.

Wo es immer noch wehtut

Dazu weht der Sound des gelebten Lebens herein: Elvis Presley, ein arabisches Lied. Dridis Bewegungen wirken teilweise fast pantomimisch: Wenn er über einen unsichtbaren Faden einen davonstrebenden Arm zurückholt, den Oberkörper wie über ein unsichtbares Gummiband anspannt, und dann in sich zusammenfallen lässt. 

Manchmal, gerade gegen Ende, kann das fast ein bisschen illustrativ wirken: zu viel nachempfundene Emotion wie im Schauspiel, zu wenig verdichtete Abstraktion wie im Tanz. Dazwischen aber immer wieder das leichte Klopfen auf die Herzgegend, zweimal. Da wo es, man spürt es diesem Abend deutlich an, immer noch wehtut.

"Tu meur(s) de Terre" wird nochmals am 15.8. um 19 und um 21 Uhr im T-Werk gezeigt. Die Potsdamer Tanztage 2020 gehen am 16.8. mit dem Workshop "Lieber Tanz - Briefe an den Tanz" zum 30. Jubiläum der Tanztage zu Ende.

Lena Schneider

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