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Deutsches Filmorchester Babelsberg im Nikolaisaal: Wenn Hildegard fliegen lernt

Der Nikolaisaal brummt schon im Foyer. Rauer Potsdamer und Berliner Slang gemischt mit weichem Schweizer Singsang bildet ein warmes Luftkissen zum Abheben für Hildegard und das Deutsche Filmorchester Babelsberg.

Der Nikolaisaal brummt schon im Foyer. Rauer Potsdamer und Berliner Slang gemischt mit weichem Schweizer Singsang bildet ein warmes Luftkissen zum Abheben für Hildegard und das Deutsche Filmorchester Babelsberg. Dass es sich bei Hildegard eigentlich um ein Schiff handele, erklärt der Vokalartist Andreas Schaerer bei seinem Auftritt im ausverkauften Saal. Er muss es wissen, denn er gründete vor zwölf Jahren das Sextett Hildegard Lernt Fliegen. Seither schwimmt die bläserlastige Formation zwischen den Inseln von Kammerjazz, Spelunken-Chanson, Kollektivimprovisation und anderen Stilen.

In jüngster Zeit lief das Schweizer Schiff manchmal in den Hafen der klassischen Musik ein. Im Zentrum steht stets Andreas Schaerer, ein Anfangvierziger aus den Alpen, der nach eigener Aussage ohne Klassik und Jazz, dafür aber mit den Beatles, Bob Dylan, Jimi Hendrix und Les Zeppelin aufwuchs. Nach dem Besuch des Lehrerseminars Hofwil studierte er an der Hochschule der Künste in Bern Gesang und Komposition. Dann machte er als „menschliche Trompete“, Scat-Sänger, Beat-Boxer, Sopranist und Komponist von „Überjazz“ mit diversen Ensembles eine beachtliche Karriere.

Nun steht der schlanke Schweizer mit der frisch geschorenen Glatze ganz vorn auf der Bühne des Nikolaisaals. Es gibt kaum einen freien Platz, da das groß besetzte Filmorchester Babelsberg fast die gesamte Fläche einnimmt. Dazu kommen noch die fünf Musiker von Hildegard Lernt Fliegen an

Kontrabass, Saxofon, Posaune, Bassklarinette und Percussion. Doch das Boot aus den Schweizer Bergen droht manches Mal in den rauschenden Klangwogen des Orchesters unterzugehen. Dass Gesang und Deklamation von Andreas Schaerer kaum verständlich sind, liegt nicht nur am Schweizerdeutsch. Wie eine Verbindung aus Wagners Walküre mit John Williams Sternenkriegen klingt das Preludium mit Trommelwirbeln und dräuenden Posaunen. Gleich zwei Harfen zittern und säuseln, bevor Glocken läuten und die Streicher ihre süße Soße drübergießen.

Beim Stück „Zeusler“, was so viel wie Zündler oder Brandstifter bedeutet, scattet Schaerer ein wenig im Stil von Bobby McFerrin. Zum treibenden, synkopenreichen Rhythmus mit Bläserriffs gibt es ein rockiges Schlagzeugsolo wie aus den Achtzigern. Überhaupt, neu klingt eigentlich nichts von dem, was Hildegard präsentiert. Ein bisschen Vokalartistik à la Al Jarreau, ein bisschen Beatboxing, ein bisschen sinfonischer Schmelz werden nach Tuttifrutti-Art gemischt. Dröhnende Blechbläser und perkussive Ausbrüche in den Two Colossuses erinnern an Strawinskys Werke zu Beginn des 20. Jahrhunderts, aber nur an der Oberfläche.

Was an musikalischer Substanz und Innovation mangelt, wird von gut gemachter Imitation ersetzt. Das ändert sich auch nicht, als Schaerer den Platz des Dirigenten Scott Lawton einnimmt und mit demonstrativen Gesten zu dirigieren beginnt. Da zeigt sich sein Potenzial als Selbstdarsteller von Gnaden mit einer Prise Hybris. Schließlich ertönt eine Opernparodie mit dem Titel Don Clemenza. Schaerer tremoliert im Falsett, begleitet von fetzigem Funk im Stil von Filmmusik wie bei einer Verfolgungsjagd. Für die rasante Potsdamer Bauchlandung von Hildegard gibt es reichlich prasselnden Beifall. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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