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Angst vor Veränderung. Der Papagei aus „Die Konferenz der Vögel“ will wieder in seinen Käfig zurück.

© Teatro Dimitri/Anna Bausch

Kultur: Der Weg ist das Ziel

Studenten der Scuola Teatro Dimitri gastierten mit „Die Konferenz der Vögel“ in der „fabrik“

Fünf blutjunge Männer, barfuß in schwarzen Anzügen, und vier junge Frauen in farbigen Kleidern, dazu ein paar Vogelschreie, weit ausgebreitete Arme und tänzerisches Schweben in der Gruppe – und die Illusion eines Vogelschwarms ist perfekt. Dieser spielt die Hauptrolle in der Aufführung „Die Konferenz der Vögel“, die neun Studenten der berühmten Schweizer Scuola Teatro Dimitri am Wochenende in der „fabrik“ zur Aufführung brachten.

In der Regie von Margarete Biereye und David Johnston vom Glindower Wandertheater „Ton und Kirschen“ erarbeiteten sie am Ende ihres dritten Studienjahres eine originelle Bewegungstheaterfassung des alten persischen Versepos „Mantiq ut-Tair“ (Die Gespräche der Vögel) des berühmten Dichterfürsten Farud Du-Din Attar aus dem 12. Jahrhundert. Das Epos erzählt eine poetische und religionsphilosophische Geschichte: Unter dem Vorsitz des Wiedehopfs, der auch im Koran und in Goethes „Westöstlichem Divan“ vorkommt, entschließt sich die Versammlung der Vögel, ihren König, den Wundervogel Simurgh, aufzusuchen.

Auf der langen und beschwerlichen Reise geht es durch die Täler der Suche, der Liebe, der Erkenntnis, der Unabhängigkeit, der Einheit, des Erstaunens und des Todes – alle sieben sind Stadien des Sufi-Einweihungspfades. Diese Reise, auf der die meisten von ihnen zugrunde gehen, wird begleitet durch unzählige Gespräche sowie eingestreuten religiösen und kuriosen Geschichten, Märchen und Gleichnissen, in denen Derwische und Scheiche, aber auch Jesus und Sokrates vorkommen. Doch für die Überlebenden hat sich die Mühe gelohnt: Sie erreichen die höchste Stufe der Vollkommenheit und erkennen sich selbst.

So die ehrwürdige literarische Vorlage, die der berühmte französische Drehbuchautor Jean-Claude Carrière in den 1970er Jahren für Peter Brook und das Theater entdeckte und bearbeitete. Auf dieser Fassung basiert auch die jetzige Inszenierung der Ton- und Kirschen-Regisseure und sie haben genauso wie Brook eine vielsprachige, multikulturelle und hochtalentierte Schauspielertruppe zur Verfügung. Denn die Studenten der Scuola Teatro Dimitri aus einem kleinen Dorf in der italienischen Schweiz haben das Glück, während ihres Studiums eine vorwiegend nonverbale, artistische, poetische, musikalische, tänzerische und burleske Ausbildung zu genießen.

Und so staunt man schon in den ersten Bildern über ihre exzellente Körpersprache und -beherrschung und wird im Laufe der gerade mal einstündigen Reise begeistert Zeuge, wie sie ihren Körper wie ein vielstimmiges Instrument benutzen und einzusetzen wissen. Das geschieht nicht, um vordergründig ihr hervorragendes Handwerk – auch Maskenspiel und Gesang gehören dazu – zu präsentieren, sondern es ordnet sich dem szenischen Geschehen unter. Und da an der Schule besonderes Augenmerk auf komödiantisches Spiel gelegt wird, schließlich ist ihr Gründer der berühmte Clown Dimitri, bekommt man auch in der „Konferenz der Vögel“ von Anfang an viele komische Momente geboten.

Wunderbar pointiert, wie Falke, Ente, Rebhuhn, Reiher, Papagei, Pfauenkönig, Nachtigall, Taube und Eule ihre Beweggründe schildern, warum sie sich nicht auf die Reise begeben wollen. Der Wiedehopf lässt ihre Ausreden nicht gelten und treibt die Jungen zur Reise an. In dieser Inszenierung ist er eine Puppe, ein dunkelhäutiger Alter, der in seinen weißen Seidenkleidern und mit dem kostbaren Halsschmuck selbst wie der legendäre König Simurgh wirkt. Die Inszenierung scheint wie ein doppeltes Gleichnis: Der Wiedehopf fördert und entfaltet die Kräfte und Talente der Vögel und der Jungen. Margarete Biereye und David Johnston, sie könnten die Großeltern der Studenten sein, tun das Gleiche. Sie schaffen Raum für all die magischen und clownesken Talente – wunderbar die kleine Tell-Szene, der Papagei im goldenen Käfig oder die Völlerei der Fliege mit anschließendem Ertrinken im Honigtopf – und sie formen die Gruppe als Ganzes. Es ist immer wieder schön, sie beim gemeinsamen tänzerischen Fliegen zu beobachten oder wenn sie erschöpft Nachtruhe halten. Je länger die Reise dauert, umso mehr entwickeln sich die Einzelnen und rücken gleichzeitig als Gemeinschaft zusammen.

Das anspielungsreiche Geschehen wird mit nur wenigen, aber sehr treffenden Requisiten (Bühnenbild: Daisy Watkiss und Nelson Leon), zumeist musikalischen Einspielungen, die den Orient und die Weltmusik zitieren, sowie immer wieder zweisprachig – deutsch und italienisch – und nicht zuletzt mit vielen Tierstimmen präsentiert. So entsteht eine geheimnisvolle, oft komische und ungemein bezaubernde Melange, die einen schon im Laufe der Reise ahnen lässt, was ihr Ziel sein wird. Die selbst in die Jahre gekommenen Reisebegleiter bauen dabei auf die ungestüme Kraft und das sprudelnde Temperament der Jungen und unterstützen diese beim Erwachsenwerden durch ihre eigene Gelassenheit.

Astrid Priebs-Tröger

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