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Kultur: Der Vater des Fliegers

In der Bornstedter Kirche wird am Pfingstmontag des Pfarrers Carl Pietschker gedacht

Carl Pietschker ist in der Öffentlichkeit nicht so bekannt geworden wie sein Sohn Werner Alfred, der als Flugpionier Rekorde aufstellte und 1911 als erst 26-Jähriger bei einem Absturz den Tod fand. Sein Vater spielte jedoch als Pfarrer in Bornstedt eine bedeutende Rolle im religiösen und gesellschaftlichen Leben Potsdams. In seiner von 1878 bis 1895 andauernden Amtszeit wurde die Bornstedter Kirche um einen Anbau erweitert (1882/83) und der Friedhof dreimal vergrößert, der dadurch seine Bedeutung als Begräbnisort prominenter preußischer Adliger und Militärs weiter ausprägen konnte. In Bornstedt ließ Pietschker das Schulhaus vergrößern und die erste Volksbibliothek in der Potsdamer Region erbauen. Nach der Frühpensionierung wurde sein in der Marienstraße (heute Gregor-Mendel-Straße) am Mühlenberg erbauter Ruhesitz zu einem Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Hier fanden Konzerte und Theateraufführungen statt. Zudem legte er wertvolle Sammlungen an, so von Handschriften der Hohenzollernherrschaft. Am Pfingstmontag, 16 Uhr, wird in der Bornstedter Kirche des Pfarrers gedacht. Anlass ist sein 160. Geburtstag am 5. Juni und sein 100. Todestag am 14. Juni. Der Jurist Rainer Frommann, mit einer Pietschker-Nachfahrin verheiratet, will in der Veranstaltung den Jubilar als Menschen und Familienvater lebendig werden lassen. Dafür kann er über die von der Witwe des Pfarrers verfassten Lebenserinnerungen und die unveröffentlichte Pfarrchronik von Superintendent Willi Hanke hinaus auf zahlreiche Zeugnisse aus dem Familienarchiv zurückgreifen.

Carl Pietschker, der in Lindau als Sohn eines beim Herzog von Anhalt-Köthen dienenden Reitknechts und dann Schlosskastellans geboren worden war, hatte nach Gymnasiumsbesuch und Theologiestudium schnell Karriere gemacht. Sein Tagebuch aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 erregte die Aufmerksamkeit des Kronprinzen Friedrich Wilhelm (später Kaiser Friedrich III.) und seiner Gemahlin Victoria, die ihn fortan protegierten und schließlich auch seine Berufung nach Bornstedt durchsetzten, wo sie das Krongut bewirtschafteten. Zudem machte der Pfarrer die beste Partie, die man sich denken kann: 1884 gab ihm nach hartnäckigem Werben die 15 Jahre jüngere Käthe Siemens, die er auf Sylt kennen gelernt hatte, das Jawort. Sie war die Tochter des schwer reichen, 1888 geadelten Großindustriellen Werner (von) Siemens. Dem Ehepaar wurden sechs Kinder geboren.

Dennoch wurde Carl Pietschker kein glücklicher Mensch. In der wenig abwerfenden „Hungerpfarre“ Bornstedt zahlten die Einwohner nur schleppend die Stolgebühren (Vorläufer der Kirchensteuer) und behinderten durch hohe Preisforderungen die Inanspruchnahme von Ackergrundstücken für die Friedhofserweiterung. Zudem machte sich der neue Pfarrer bei ihnen unbeliebt, da er hart gegen den sittlichen Verfall predigte und u.a. Bräute verdammte, die keine Jungfrau mehr waren. Einmal zog sich Pietschker sogar eine Klage wegen Hausfriedensbruchs zu, nachdem er gegen ein unverheiratet zusammenlebendes Paar einschritt. Seine berechtigte Hoffnung, Hofprediger zu werden, erfüllte sich nicht, da sein Förderer Kaiser Friedrich III. 1888 schon nach 99-tägiger Regierungszeit starb.

Das marode Pfarrhaus musste Pietschker privat mit Mitteln seines Schwiegervaters instand setzen und für seine große Familie ausbauen lassen. Glücklich wurde er darin nicht, denn da die dringend notwendige Regulierung des Teufelsgrabens als Abfluss immer wieder hinausgeschoben wurde, versumpfte der Bornstedter See von Jahr zu Jahr stärker und brachte dem Pfarrgelände ein dumpf-feuchtes Mikroklima. Darauf führte der ohnehin herzleidende Pietschker malariaähnliche Anfälle und eine Nierenerkrankung zurück. Erst 48 Jahre alt, beantragte er seine Emeritierung und erreichte sie nach Verzicht auf ein Ruhegehalt. Die Gemeinde nahm ihm die „Flucht“ aus dem Pfarrhaus übel. Carl Pietschker wurde zunehmend reizbarer und nervöser, was seine Familie geduldig hinnahm. Immer neue Kuren verbesserten Pietschkers Gesundheitszustand nicht - er starb kurz nach seinem 60. Geburtstag.

Beigesetzt wurde er auf dem Bornstedter Friedhof, wo die Familiengrabstätte zu den eindrucksvollsten gehört. Hier liegen auch seine Frau, Werner Alfred Pietschker sowie der 1914 im Ersten Weltkrieg gefallene zweite Sohn Arnold. Obwohl die Pietschkers in Potdam nicht nur freudvolle Stunden erlebt haben, bleiben die Nachfahren der Stadt verbunden. So ist die Rettung des 1899 installierten Großen Refraktors, der am Mittwoch auf dem Telegrafenberg wieder eingeweiht wurde, einer hohen Spende von Gerda Neese-Pietschker zu verdanken.

Erhart Hohenstein

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