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Schaurig, lebenshungrig, provokativ. „I'm not you – you need me“ von der Malerin, Zeichnerin, Videokünstlerin und Regisseurin Samira Eskandarfar ist eine von zwölf künstlerischen Positionen aus dem Iran, die ab Samstag im Kunstraum zu sehen sind.

© Sebastian Gabsch

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„Possible Worlds“ im Kunstraum Potsdam versammelt zwölf zeitgenössische Künstler aus dem Iran

Manchmal sind Stillstand und Bewegung untrennbar miteinander verwoben. „Killing of Simorq“, ein großformatiges Schwarz-Weiß-Foto des iranischen Künstlers Barbad Golshiri, ist ein bestürzendes Beispiel dafür. Vier schwarz gewandete Menschen, barfuß, tragen eine Bahre. Zwei Männer, zwei Frauen. Die Köpfe geneigt, sind die vier dabei, sich in Bewegung zu setzen. Nur: Die vier Träger gehen in entgegengesetzte Richtungen. Zwei nach links, zwei nach rechts. Sie gehen nicht, sie stehen. Die Bewegung ist nur als Idee, als Ziel da. Als Utopie?

Barbad Golshiri ist einer von zwölf iranischen Gegenwartskünstlern, deren Arbeiten ab morgen im Potsdamer Kunstraum zu sehen sind. „Possible Worlds. Aktuelle Kunst aus dem Iran“ hat die Freiburger Kuratorin Nicolette Torcelli diese Schau genannt: zwölf mögliche Welten. Zwölf Versuche von Künstlern, die alle im Iran leben, ihre Welt in Bilder, Skulpturen, Fotos, Installationen zu fassen. Zwölf Versuche also auch, eigene Welten jenseits der wirklichen Welt zu erfinden.

Diese, die wirkliche Welt, ist im Iran ziemlich anders als das, was man hierzulande davon mitbekommt, erklärt Kuratorin Torcelli. Ein gebildetes Land, das sich rühmt, keine Analphabeten zu haben. Ein Land, in dem über die Hälfte der Studierenden Frauen sind. Mit Kopftuch, ja. Aber dennoch: „Der Iran ist eben nicht nur das böseste Land der Welt“, wie Torcelli sagt. Die italienischstämmige Kunsthistorikerin lebt in Freiburg. Dass Freiburg als einzige deutsche Stadt eine Partnerstadt im Iran hat – Isfahan –, bildete den Ausgangspunkt für Torcellis Iran-Interesse. Vier Ausstellungen zu iranischer Gegenwartskunst hat sie in Freiburg bereits kuratiert, „Possible Worlds“ ist die erste außerhalb. Die Verbindung zum Waschhaus kam indirekt wieder über Freiburg zustande: Waschhaus-Chef Siegfried Dittler war zuvor Geschäftsführer im Freiburger E-Werk. Ein Glücksfall. Für Torcelli, aber auch für Potsdam.

Wie sehen sie also aus, die möglichen Welten der iranischen Künstler? Das Erstaunlichste ist angesichts der vorhandenen Zensur im Iran zunächst, dass sie eines nicht sind: geduckt. Wer die zwölf künstlerischen Positionen im Kunstraum ansieht, sieht Arbeiten, die vor politischen Statements nicht zurückscheuen, sie vielmehr suchen. Am deutlichsten Iman Izadina. Seine Arbeit „Zero Sum Game“ (deutsch: Nullpunktspiel) besteht aus 45 Guachen auf Karobögen, in denen er historische Momente grafisch in eine Art Fieberkurve überträgt: eine Erschießung, Soldaten, die Leichen mit einer Plane bedecken, Polizisten, die einen Demonstranten über den Boden schleifen. Den Achsen der Kurven ist immer die gleiche Zahl zugeordnet: die Null. Der Versuch wissenschaftlicher Exaktheit wird ad absurdum geführt. Und die gezeigten Szenen staatlicher Gewalt könnten überall stattfinden. Da helfen auch die Aktenordner nicht weiter, in denen Besucher das Ereignis nachschlagen können: Blättert man die Ordner auf, stößt man nur wieder auf neue Informationsschnipsel. Keine Ordnung, trotz Akten.

Auch die Guachen von Iman Izadina wurden im Iran ausgestellt, sagt Kuratorin Torcelli. Die Zensurbehörde im Iran sei erstaunlich flexibel – und auch unvorhersehbar. Grundsätzlich verboten seien eigentlich nur jede Form von Nacktheit. Und natürlich jede Art von ketzerischem Umgang mit Religion und dem Propheten. Aber wo beginnt das, der „ketzerische“ Umgang mit den religiösen Idealen? Das großformatige Ölgemälde „I'm not me – You need me“ der Malerin, Zeichnerin, Videokünstlerin und Regisseurin Samira Eskandarfar sieht einem gleich beim Eintreten des Kunstraums an. Es zeigt einen schwarz maskierten Kopf. Aus einem Loch in der Maske wölben sich volle, rotgeschminkte Lippen zum Kuss. Kaum zu glauben, dass nur der europäische Blick in dem verhüllten Frauenkopf die Anspielung auf eine Burka zu sehen glaubt. Bedrückend ist dieses Bild, angesichts des zu einer anonymen geometrischen Form vereinfachten Kopfes – aber auch provozierend lebenshungrig. Fast hämisch wirken die Lippen, die im Grunde aussehen, als würden sie sich aus der geometrischen Form ihren Weg sprengen.

Ähnlich irritierend, pendelnd ist die lebensgroße Skulptur von Hoda Zarbaf. „The Melancholy of Mundane“ (Die Melancholie des Alltags) heißt die kopflose Gestalt, die da auf einem Stuhl sitzt, an den Händen Gummihandschuhe, als würde hier jemand vom Putzen pausieren. Statt eines Kopfes ein riesiges Geschwür aus bunten ausgestopften Strumpfhosen und Strümpfen. Ein Wäscheberg? Ein Gedärm eigentlich.

Frauen als kopflose Wesen, die in farbrauschhafter Vehemenz ihre Präsenz einfordern – das ist ein Thema, das sich festhakt beim Rundgang durch diese „Möglichen Welten“. Ein zweites ist die unabschüttelbare Präsenz von Gevatter Tod im Alltag. In der Installation von Arya Tabandehpoor liegen unzählige kaputte iPhones miteinander verkabelt auf dem Boden. Auf ihren Displays: tote Füchse, Hunde, Katzen. Du bist noch mal davongekommen, sagen die Displays der Betrachterin. Die sich fragt: Wie oft noch?

„Possible Worlds“ im Kunstraum Potsdam ist bei „Stadt für eine Nacht“ von 13 bis 21 Uhr geöffnet. Sonntag um 16 Uhr Videoprogramm und Round Table

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