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Kultur: Der Shoah gedenken Lesung im HOT zur Wannsee-Konferenz

„Warum ermordeten Deutsche sechs Millionen Männer, Frauen und Kinder, und das aus einem einzigen Grund, weil sie Juden waren?“ Diese Frage stellt der Historiker Götz Aly gleich zu Anfang in seinem Buch „Warum die Deutschen?

„Warum ermordeten Deutsche sechs Millionen Männer, Frauen und Kinder, und das aus einem einzigen Grund, weil sie Juden waren?“ Diese Frage stellt der Historiker Götz Aly gleich zu Anfang in seinem Buch „Warum die Deutschen? Warum die Juden?“ Der deutsch-jüdische Philosoph Theodor Lessing meinte Anfang der 1930er-Jahre: „Ganze Bibliotheken sind schon über die Judenfrage geschrieben worden. Weitere Bibliotheken werden geschrieben werden. Die Judenfrage aber ist und bleibt unlösbar.“

Am 20. Januar 1942, vor 75 Jahren, trafen sich 15 hochrangige Funktionsträger aus SS, NSDAP und Ministerien in einer Villa am Großen Wannsee. Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Reinhard Heydrich, lud zu der „Besprechung mit anschließendem Frühstück“ ein. Gemeinsam mit SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann bereitete er die geheime Konferenz vor. Einziger Tagesordnungspunkt: die „Endlösung der Judenfrage“. Das bedeutete nichts anderes als die Koordination des Massenmords an den Juden.

„Geheime Reichssache!“ – so nannte das Hans Otto Theater seine sehr gut besuchte Veranstaltung am Dienstagabend im Forum der Reithalle in Erinnerung und Gedenken an die Wannsee-Konferenz. Man stellte sie nicht theatral nach, obwohl das Stück von Paul Mommertz eine Möglichkeit wäre. Chefdramaturgin Ute Scharfenberg hat eine Lesung vorgezogen, bei der schmückendes Beiwerk keinen Platz hat. Aufklärend, konzentriert und nüchtern wurden Fakten und Dokumente über die Teilnehmer der eineinhalbstündigen Konferenz und die genauen Modalitäten der Organisation des Holocaust vorgetragen. Neben den Ensemblemitgliedern des Theaters Andrea Thelemann und René Schwittay saßen am langen Vorlesetisch die Publizistin Lea Rosh, Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sowie Intendant Tobias Wellemeyer.

Bei den Passagen, in denen die Konferenzteilnehmer nach Definitionen suchten, wer Halbjude ist, wen man gebrauchen kann, wie man Vernichtungsarten und Opfergruppen bestimmt, wird der Zuhörer in der Reithalle von einer inneren Erschütterung zur anderen geführt. Da erfährt man, dass Einwände einzelner NS-Bürokraten gegen die massenhafte Erschießung von Juden natürlich nicht aus humanen Gründen erfolgten, sondern dass man praktisch argumentierte: Die Munition brauche man für die kämpfenden Soldaten. Der Bahntransport der Juden in den Osten wird akzeptiert, weil die Züge bei der Rückkehr russische Zwangsarbeiter transportieren könnten. Man plante und forderte den Tod von elf Millionen Menschen, von „minderwertigem Leben“. Im KZ Auschwitz wurde schon fünf Monate vor der Besprechung erstmals Zyklon B zur Vernichtung von Juden eingesetzt.

Ute Scharfenberg hat in ihrer Text-Collage auch den Opfern des Holocaust eine Stimme gegeben. Das holte den Abend aus der Abstraktion. Etwa mit erschütternden Briefen von zwei Schwestern, die auf dem Weg in ein Vernichtungslager waren, oder der Vers aus dem „Großen Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk“ von Jizchak Katzenelson, den er kurz vor seiner Ermordung in Auschwitz schrieb und in einer Flasche versteckte.

Dieser Tage sprach der AfD-Politiker Björn Höcke in Dresden davon, dass das Holocaust-Denkmal in Berlin eine Schande für Deutschland sei. Solche Worte sind erschreckend, und darum war die Lesung im Hans Otto Theater von enormer Wichtigkeit. Klaus Büstrin

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