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Lieber Herrndorf als Brecht. Der „gelernte Leipziger“ Lars Werner ist einer der Studierenden der Berliner UdK, die heute und morgen ihre Texte beim „Wildwuchs“-Festival im Hans Otto Theater vorstellen.

© Nicolas Lehni

Kultur: Der Selbstbefrager

Das „Wildwuchs“-Festival am Hans Otto Theater bringt zum fünften Mal neue Autoren nach Potsdam. Lars Werner ist einer von ihnen

Seit 2012 begibt sich das Hans Otto Theater einmal im Jahr in das unübersichtlich wuchernde Gelände neuer Dramatik. „Wildwuchs“ heißt das Festival konsequenter Weise, das Intendant Tobias Wellemeyer, John von Düffel, Professor für Szenisches Schreiben, und Marion Hirte, Professorin für Produktionsdramaturgie an der Berliner Universität der Künste (UdK), gemeinsam entwickelten. Herausgekommen ist ein Konstrukt, bei dem alle Seiten gewinnen: Das Theater verjüngt seinen Spielplan um die Zutat zeitgenössischer Dramatik, die jungen Autoren, die an der UdK das Schreiben für das Theater lernen sollen, erhalten eine Bühne und ein Publikum. Und die Zuschauer bekommen Texte frisch aus der Schreibstube geboten, sind also ganz nah an dem, was die jüngste Generation der Autoren bewegt.

Mit etwas Glück, und darauf hoffen alle Beteiligten, sehen die Zuschauer hier den Lutz Hübner oder die Kathrin Röggla von morgen. Mit nicht ganz so viel Glück erlebt das Publikum hier einfach zwei Tage lang eine schöne Ausnahme vom Theateralltag – diese erfrischende, in der Vielfalt der Beiträge immer auch am kreativen Chaos entlangschrammende Überforderung, die Festivals so reizvoll macht.

Wie wichtig ein Festival wie „Wildwuchs“ für junge Autoren sein kann, zeigt das Beispiel des Berliners Bonn Park, der ebenfalls an der UdK studierte. Dessen Stück „Traurigkeit & Melancholie“ war 2014 in Potsdam mit dabei, Ende des gleichen Jahres wurde es in der Fachzeitschrift „Theater der Zeit“ abgedruckt. Im gleichen Jahr erhielt er einen der renommierten Stückepreise des Else-Lasker- Schüler-Dramatikerpreises. 2016 war er für den Deutschen Jugendtheaterpreis nominiert.

So sieht also der Idealfall aus: Als man Bonn Park 2014 in Potsdam erleben konnte, war er noch ein Unbekannter, heute ist er gut dabei im Theatergeschäft.

Eines der drei Stücke, die HOT-Dramaturg Helge Hübner, John von Düffel und Marion Hirte in diesem Jahr für das „Wildwuchs“-Festival ausgewählt haben, ist von Lars Werner. „Ankommen – Umfallen“ heißt der Text, inszenieren wird ihn Fabian Gerhardt. Es ist die Geschichte um Martin und Andrea, ein Paar um die dreißig, das sich vor dem Alltag und der bequem gewordenen Beziehung zu einem Kurztrip in die Bretagne flüchtet. Dort besuchen sie Oliver, der die Ideale der Jugend noch nicht eingetauscht hat gegen Sicherheit, Einkömmlichkeit und einen Schoßhund. Durch Oliver gerät die eingespielte, gemütliche Welt des Pärchens ins Wanken. „Sie müssen verlernen, wer sie sind, um es neu lernen zu können“, sagt Lars Werner. So etwas Ähnliches ist auch das Schreiben für ihn: ein Prozess der Selbstbefragung.

Der 1988 in Dresden geborene Autor bezeichnet sich selbst als „gelernten Leipziger“ – geprägt also nicht vom Dresdner Geist des Bewahrens, sondern von dem der Messestadt, der „Lust, was zu machen“. Das Studium an der Berliner UdK, das er nächstes Jahr beenden wird, ist bereits sein zweites, nach einem Versuch in der Medienkunst. Das war auch einer der Kritikpunkte, die er im Studiengang Szenisches Schreiben zunächst immer wieder zu hören bekam: „Zu installativ!“ „In der Kunst ist ja die Idee wichtiger, im szenischen Schreiben eher die Figuren und die Story“, sagt er. Das habe er erst lernen müssen – und kam dabei offenbar so richtig auf den Geschmack: Der Text, den er in Potsdam jetzt vorlegt, folgt nicht dem in zeitgenössischen Stücken vorhandenen Trend zur Textfläche, sondern zeigt fein ausgearbeitete Dialoge in Alltagssprache. Die Poesie liegt im Rhythmus.

Als Bezugspunkte nennt Lars Werner keine deutschsprachigen Zeitgenossen, sondern eher Edward Albee („Wer hat Angst vor Virginia Woolf“), Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ – und in jedem Fall „lieber Herrndorf als Brecht“. Was er bei dem englischen Dramatiker Martin Crimp schätzt – die Schnelligkeit der Dialoge, die die Charaktere in wenigen Worten haarscharf umreißen – findet man auch in „Ankommen – Umfallen“ wieder. Wenn etwa Martin und Oliver, die alten Jugendfreunde, versuchen, die Distanz, die sich im Laufe der Jahre zwischen sie geschoben hat, zu überwinden. Martin: „Geht’s dir etwa nicht gut mit allem?“ Oliver: „Keine Ahnung, ich schau nicht so oft in mir nach.“

Am heutigen Freitag ab 19.30 Uhr und am morgigen Samstag ab 18 Uhr in der Reithalle A (Schiffbauergasse 16). „Ankommen – Umfallen“ am heutigen Freitag um 22 Uhr. Karten kosten 15 Euro, ermäßigt 7,50 Euro

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