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Kultur: Der Pakt mit dem Teufel

Ein Aussteiger erzählt Brandenburger Schülern, wie er zu DDR-Zeiten zum Rechtsextremisten wurde

Mehrfach unterbricht Frank seine Rede und kämpft mit den Tränen. Die Worte kommen nur schwer über die Lippen. Er empfindet Scham, wenn er daran zurück denkt, wie er als Rechtsradikaler andere verprügelte, stumpfsinnige Parolen schrie und jüdische Gräber schändete. Er wurde deswegen in der DDR – zwei Jahre vor Maueröffnung – zu sechs Jahren Haft verurteilt. Und ausgerechnet eine Jüdin war es, die sich für den damaligen Antisemiten stark machte, so dass er im Mai 1990 wieder auf freien Fuß kam: nunmehr im demokratischen Deutschland.

Heute sitzt der eher schmächtige Mann mit den schwarzen Haaren und den warmen dunklen Augen vor rund 30 Schülern der 10. Klasse des Saldern-Gymnasiums Brandenburg. Konzentriert hören sie in die Kunstgalerie „Sonnensegel“ dem jungen Mann zu, der den Mut aufbringt, trotz seiner Angst zu reden. Schon beim Gang durch die Ausstellung „Zweifeln immer. Rückwärts nimmer“ mit den Karikaturen von Paul Pribbernow wurden sie auf das Thema Rechtsextremismus eingestimmt. Nun sitzen Frank und der brandenburgische Künstler nebeneinander. Das Reden fällt beiden schwer.

Frank ist nicht das erste Mal in Brandenburg: Hier wurde der Berliner vom Prenzlauer Berg „an irgendeinem Denkmal“ in die FDJ aufgenommen. Und auch an ein Skinhead-Konzert Anfang der 90er kann er sich erinnern.

Paul Pribbernow ist eine Generation älter. Er hat noch am eigenen Leib die Auswirkungen des Nationalsozialismus erfahren. „Wir stammen aus Pommern und mussten unseren Bauernhof verlassen. Mein Vater hat darunter sehr gelitten.“ Vor seinem spitzen Stift finden Nazis kein Pardon.

Wie schlitterte Frank in die rechte Szene hinein, fragt Kunstlehrer Matthias Frohl, der die Gesprächsfäden der beiden Leisetreter sensibel zusammenführt. Für Frank war es vor allem eine Flucht vor dem Elternhaus, wo der trinkende Vater die Mutter prügelte. Sein zwei Jahre älterer Bruder und er hörten im Nebenzimmer die Schreie. Erst viel später waren sie stark genug, dazwischen zu gehen. Frank suchte in der Clique einen Familienersatz. Er erinnert sich, wie er als 14-Jähriger ins Ferienlager fuhr und zwei Kumpels, mit denen er sich am besten verstand, anfingen, Hitler und Goebbels zu kopieren. „Ich fand das toll und spielte mit.“ Irgendwann später gab es dann ein Fußballspiel gegen polnische Schüler. „Wir verloren, und stinksauer sangen wir die verbotene dritte Strophe der Nationalhymne. Daraufhin wurde uns die Disko gestrichen.“ Immer wieder provozierten sie, hoben zu Unterrichtsbeginn den rechten Arm und riefen statt „Freundschaft“ herausfordernd „H. H.“. In seiner Clique herrschten raue Sitten: „Wir schlugen Scheiben ein, klauten, wurden immer gewaltbereiter. Schließlich zettelten wir richtige Bandenkriege an.“ Obwohl es inzwischen im damaligen Ostberlin schon Skinheads gab, lief Frank lieber als Grufti herum: „Die schwarzen Klamotten fand ich schöner. Aber von der Einstellung war ich faschistisch und leugnete auch den Holocaust. Das, was sie uns im Staatsbürgerkundeunterricht erzählten, war aber zum Teil auch großer Mist.“ Wenn der heute 38-jährige Student der Sozialpädagogik über die DDR-Zeit spricht, sieht er die Verlogenheit viel klarer, die er damals nur fühlte. „Die angebliche Völkerfreundschaft war doch eine Farce. Die wenigen Ausländer, die in der DDR lebten, wurden weitgehend von der Bevölkerung abgeschottet.“

1987 kam es dann zur Verhaftung, nachdem Frank mit seiner Gang auf einem Friedhof in der Schönhauser Allee jüdische Grabsteine umgestoßen hatte. Die zuvor weitgehend verschwiegene rechte Szene wurde jetzt in Schauprozessen abgestraft, auch in Oranienburg, Leipzig, Dresden. „Die Opposition in Ostberlin war inzwischen so groß, dass wohl nichts mehr verheimlicht werden konnte. Für die Stasi war das indes alles eine Sauce: Ob Opposition oder Skinheads.“

Frank wurde zum Rädelsführer erklärt. „Als ich mein Urteil hörte, fiel ich in ein tiefes Loch. Ich war mit meinen 18 Jahren emotional noch ein Kind.“ In der Jugendstrafanstalt Ichtershausen lernte er zuallererst, keine dieser Emotionen zu zeigen. „Sonst bist du angreifbar.“ Selbstentfremdung hieß seine Strategie zum Überleben. Irgendwann erhielt er einen Brief von Salomea Genin, einer Schriftstellerin mit wechselvoller Biografie, die bis Anfang der 70er Jahre Inoffizielle Mitarbeiterin der Staatssicherheit war. „Über Kontakte zu ihrem einstigen Führungsoffizier gelang ihr die Verbindung zu uns.“ Frank war der einzige, der sich aufgeschlossen zeigte. „Es gibt viele Möglichkeiten, um Hass abzubauen. Für mich war Salomeas Engagement ein Mosaikstein. Sie war davon überzeugt, dass 16-jährige verwirrte Jungs mit radikalen Tendenzen nicht wirkliche Nazis sein können.“

Als Frank 1990 entlassen wurde, orientierte er sich indes an seinem Bruder und war wieder mitten drin in der braunen Szene. „Ich wurde dort wie ein Märtyrer verehrt und habe mich in diesem Rampenlicht auch ein wenig gesonnt.“

Wieder muss Frank seinen Vortrag stoppen. Zwei Psychotherapien haben vieles in ihm aufgebrochen. Er kann nun sogar über die Schuld seiner Eltern sprechen. Allerdings erst später, im Zweiergespräch.

Bis 1998 sollte es dauern, dass er nach einer tiefen Lebenskrise einen Schnitt mit seiner extremistischen Vergangenheit machte. Zuvor hatte er als Isolierer auf einer Baustelle viele Ausländer kennengelernt, „mit einem Kroaten verstand ich mich prima.“ Und dann waren da Solingen und Mölln. „Anfang der 90er hätte ich bei solchen Sachen vielleicht auch dabei sein können. Klar, es gibt lang ausgetüftelte Anschläge. Aber die Mehrheit von ,Doofies, wie ich es war, handeln spontan. Im Suff. Und da kann viel passieren.“ Er selbst sei mehr der Fiese, der Anstifter in den hinteren Reihe gewesen, nicht der, der mit Fäusten voran ging. Doch seine diffusen Vorstellungen von Kameradschaft bekamen immer mehr Risse. „Die haben sich auch untereinander halb tot geschlagen. Es ist wie ein Pakt mit dem Teufel, den man eingeht: Wenn man nicht spurt, kann das Konsequenzen haben.“

Und worin sieht er heute die beste Prävention? „Die Jugend muss im demokratischen Bewusstsein erzogen werden. Nicht so wie in der DDR. Heute muss man indes aufpassen, dass man den Rechten nicht das Feld überlässt. Die eröffnen, wie in Sachsen, Jugendklubs, weil die Kommunen dafür angeblich kein Geld haben.“ Eine Schülerin erzählt von Brandenburg, wo arbeitslose Jugendliche schon vormittags mit ihrem Bier vor dem Supermarkt herumhängen. „Die werden natürlich von der DVU sofort als Wähler umworben.“

„Was soll rein in die Köpfe? Was soll raus?“. Dieser Frage standen am Ende die Schüler gegenüber. Und sie fertigten eine riesige Collage mit Scherenschnitten ihrer Köpfe an. Hielten sie sich im Gespräch noch sehr zurück, hier in der eigenen kreativen Auseinandersetzung bekannten sie Farbe. Braun hatte dabei keine Chance.

Und wo sieht Frank seinen künftigen Platz? „Ich hoffe, mitten im Leben. Doch das ist schwer, wenn man sich nicht, wie es heute angesagt ist, so schnell öffnen kann.“ Derzeit findet er als Einzelfallhelfer in der Heilpädagogik seine Herausforderung. Und er arbeitet weiter an seiner Geschichte. Die Diplomarbeit schreibt er über sich selbst. Aller Scham zum Trotz.

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