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Kultur: Der Norden dunkel – der Süden licht

Jürgen Gerhard und HFF-Studenten im Kulturministerium

Jürgen Gerhard und HFF-Studenten im Kulturministerium Die Sache mit dem Kaufhallenbild hat den Leipziger Maler Jürgen Gerhard nie verlassen. In Vorbereitung der Bezirkskunstausstellung 1979 stellte er ein Bild aneinander vorbeihastender Menschen zur Diskussion, die sich im Einkaufsstress des Ostens nun gar nichts zu sagen hatten. Ein Kulturfunktionär des Potsdamer SED-Kreml witterte sofort „schädlichen Einfluss auf die Gesellschaft", das Werk „gehöre zerstört", „auf einen Misthaufen". Vier Jahre zuvor hatte ihm Velten das Wohnrecht verweigert: Man brauche keine Künstler, sondern Stahlwerker! Diese traumatisierenden Erlebnisse standen dem Hohen Neuendorfer Maler wohl auch bei der Vernissage zu einer opulenten Werkschau vor Augen. Unter dem Titel „Landschaft Raum Figur" eröffnete Johanna Wanke in der Weitläufigkeit ihrer ministeriellen Flure eine Ausstellung mit Werken des 1947 geborenen Künstlers und seiner Eleven, Studenten und Absolventen der HFF im Fache Animation, wozu auch das „figürliche Zeichnen" gehört. Im Foyer dieser Etage begegnet man mehreren Großflächern mit Sujets südlicher Herkunft, das unscharfe „Athen antik" und die aufsteigende Häuserkulisse „Koúros von Melanes (Naxos)", 2003 mit Öl auf Leinwand gemalt, lichtdurchflutet, fast blendend. Gerhard hatte diese Formate in einjähriger Vorbereitungszeit extra für diesen Raum geschaffen, und sie wirken auch so hell und schön, als ob sie immer da gehangen hätten. Griechenland war ein Erlebnis, Paris, die Gärten von England und die Toscana weitere auf seinem Weg als Maler durchs Leben. Wie er sich nach 1989 die Welt mit Pinsel und Palette reisefroh eroberte, so prägten bis dahin immer wieder Ausstellungserlebnisse seine ästhetische Vita: Munch 1963 in Berlin, Lachnit zwei Jahre später, alte Holländer, die französische Moderne, auch russische Kunst. Seine wichtigsten Lehrer waren Werner Tübke und Hans Mayer-Foreyt. Für den Akt, davon manches in der Dortustraße zu sehen ist (das seltsam-poetische Bild „Zwei-Einsamkeit" von 1991 etwa) Dietrich Burger. Jürgen Gerhard malt gern in Öl, aquarelliert das Licht der Toscana und der Ägäis, zeichnet mit Bleistift, Kreide und Ölpastell, tuscht und skizziert Figürliches. Malerisches künftiger Animateure Nicht allein: Mit Lena Meyer, Alexander Isert, Torsten Schrank, Jim Albrand und Stephan Meyer erhielten auch zukünftige Animateure Gelegenheit, eigene Versuche auszustellen. Diese befinden sich im Flur linkerhand, an dessen Ende, frontal, ein weiteres Ölbild mit fünf ernst drein-blickenden Gesichtern hängt, Gerhard''s „Betroffene" (1990). Es wirkt aus der Ferne wie ein Epitaph, gespenstisch, wahr. Manches, was seine Studenten schufen, hätte er auch selbst gern gemacht, bekannte er bei seiner kleinen Eröffnungsrede, das Ding mit der „Kaufhalle" aufgreifend. Die neue Freiheit tut ihm offenbar wohl. Mehr als 90 Arbeiten hängen im Hause Wanka, mithin die umfänglichste Ausstellung des Ministeriums seit eh, das meiste stammt vom Honorardozenten an der HFF. Zur Vernissage mit über 50 Gästen spielte der Leipziger Sänger Wilfried Staufenbiel Selbstkomponiertes nach Morgenstern und Schwitters auf eigenem Cello, sehr hübsch. Wie verwaschen Gerhards Malweise wirkt, in den unlichten Paris-Bildern (Öl) von 1990 etwa, wie verwaschen, dem Figürlichen fehlt sehr oft ein Gesicht. Sein Strich ist unruhig, eher kräftig als fein, Form und Ausdruck haben bei ihm einen höheren Wert als das schöne Detail – das geht durch seine Werke hindurch, egal ob man sich dem rechten oder dem linken Flur zuwendet. Der erstere scheint ergiebiger: Hier findet man vor allem die liebreizenden Aquarelle aus der lichten Toscana (1997), die südfranzösischer Häfen (1998) – ein Verweis auf die serielle Form der Animation, welche er seine Schüler lehrt – englische Gärten (galante Miniaturen, 2000) mit weniger Licht als die Impression von Sizilien (1999), und dem märkischen Norden scheint es an Sonne gänzlich zu mangeln, wie „Bei Vehlefanz“ oder „Im Kressener Luch“ von 1989. Ein starker Formwille beherrscht den Gesamtausdruck bis in die (teils malerisch ausgeführten) Figurenskizzen hinein. Man steht und sitzt, posiert oder liegt, ruft, träumt, meditiert, sogar mit ägyptischer Frisur. Nur selten sucht man den „Kick" eines Bildes vergeblich, jenes Detail, von dem her man „liest". Landschaft-Raum-Figur, in dieser Reihung stellt sich die Ausstellung her, als Begegnung mit einem Mann, zu dessen Vita es mehr zu sagen gäbe. Seine Bilder sollte man ohne Worte betrachten: Viele Einflüsse, viele Stile. Schweres Öl und federleichtes Aquarell, „Morgenlicht" und „Nachtstück", Lehrer und Schüler, Norden und Süden. Gestern und Heute. Gerold Paul Die Ausstellung ist bis zum 15. April 2004, Montag bis Freitag 7.30 bis 17.30 Uhr im Kulturministerium, Dortustr. 24, geöffnet.

Gerold Paul

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