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Händchen für Laienchöre. Dirigent Nils Jensen ist der neue Leiter der Singakademie Potsdam. 

© Manfred Thomas

Der neue Chef der Singakademie Potsdam: Musiker, Psychologe, Dompteur

Gutmütig hartnäckig: Nils Jensen ist der neue Künstlerische Leiter der Singakademie Potsdam. Im Nikolaisaal stellte er sich mit „Carmina Burana“ vor.

Welch ein musikalisches Spektakel: Carl Orffs Kantate „Carmina Burana“ aus dem Jahr 1937 mit ihrer direkten Musiksprache, dem rhythmischen Überschwang, den romantisch warmen und opulenten Passagen entfaltet immer wieder eine faszinierende Wirkung. Das beherrschende Thema des Mittelalters vom Rad des Lebens, das immer wiederkehrt und den Menschen Glück und Unglück bringt, bildet den Rahmen des Werkes. Einige der Verse, die Mönche und fahrende Sänger im 13. Jahrhundert gedichtet haben, sind humoristisch, andere traurig, dann auch wieder derb. Es gibt Christliches und Heidnisches. Doch aus allen spricht tief empfundene Menschlichkeit.

200 Mitwirkender auf einer Bühne

Rund 200 Mitwirkende waren am Mittwochabend auf der Bühne des Nikolaisaals versammelt, allen merkte man die unbändige Freude am Musizieren nach zwei überlangen Pandemiejahren an. Die Gesamtleitung lag bei Nils Jensen, der Anfang des Jahres als Nachfolger von Thomas Hennig die Künstlerische Leitung der Potsdamer Singakademie übernommen hatte. 

Für das Konzert, begleitet vom Deutschen Filmorchester Babelsberg, hatten sich die Sängerinnen und Sänger der Singakademie Verstärkung vom Kinder- und Jugendchor der Singakademie geholt (Einstudierung: Konstanze Lübeck), ebenso vom Märkischen Jugendchor (Einstudierung: Ulrike Schubach) – und vom Neuruppiner A-cappella-Chor. Letzteren leitet ebenfalls Nils Jensen. „Carmina Burana“ war vor einigen Tagen bereits in der Neuruppiner Kulturkirche zu hören gewesen.

Begeisterung für Laienchöre

Seit mehr als zwei Jahren leitet Jensen in der Fontanestadt den A-cappella-Chor, der vor gut 50 Jahren vom legendären Neuruppiner Dirigenten Hans-Peter Schurz gegründet wurde. Jensen arbeitet mit Begeisterung mit Laienchören. Neben der Singakademie Potsdam und dem A-Cappella-Chor Neuruppin betreut der 37-Jährige Berliner auch den Bessiner Kammerchor, das Vocalkolleg Berlin sowie die Chorschule Canzonetta Berlin, die vor allem Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine musikalische Aus- und Weiterbildung anbietet. 

„Meine Arbeit mit Laienchören hat das Ziel, musikalische Grenzen stetig nach oben zu verschieben“, sagt Nils Jensen im Gespräch. Durch eine gutmütige Hartnäckigkeit möchte er die Chorsängerinnen und -sänger motivieren, über sich selbst hinauszuwachsen. „In den Facetten dieser Arbeit reizt es mich – irgendwo zwischen Musiker, Psychologe und Dompteur – eine Balance im Umgang mit dem immateriellen Weltkulturerbe zu erreichen.“ Auch die Gemeinschaft in den Chören sind für ihn eine Motivation, die gesteckten Ziele zu erreichen.

Der fünfte Dirigent in 70-jähriger Chorgeschichte

Nils Jensen war schon als Kind von der Musik begeistert. Er wirkte im Staats- und Domchor Berlin mit. Das gab ihm eine gute Grundlage für sein späteres Studium der Chor- und Orchesterleitung an der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien. Zusätzlich studierte er Musik und Philosophie auf Lehramt an der Universität in Potsdam.

Nils Jensen ist der fünfte Dirigent in der 70-jährigen Geschichte des Chores. Der Stabwechsel von Thomas Hennig, der zehn Jahre die Singakademie geleitet hatte, hat sich fern der öffentlichen Aufmerksamkeit zugetragen. Auf die Zusammenarbeit mit den Choristen, die unter dem Dach der traditionsreichen Singakademie singen, freue er sich, sagt Jensen. Die Außenwirkung der Singakademie möchte er gern auf einen neuen Stand bringen, um sie für die Zukunft fit zu machen. Die fünf Klangkörper sollen stärker miteinander kooperieren.

Die akustischen Grenzen des Nikolaisaals

Auch beim Konzert am Mittwoch war es eine Freude, den Kinder- und Jugendchor der Singakademie inmitten der anderen und vor allem älteren Sängerinnen und Sänger zu erleben. Er gab der Aufführung mit seiner ansonsten sehr ausladenden Lesart einen fein schimmernden Glanz. Mit dem Nikolaisaal traf der große Aufführungsapparat jedoch auf akustische Grenzen: Es blieb der Eindruck, Chor und Orchester wollten sich gegenseitig in der Lautstärke übertrumpfen.

Dadurch wirkte das pointiert rhythmische Musizieren oftmals eingeschränkt, obwohl Nils Jensen sich immer wieder um Differenzierungen bemühte. Am besten gelang ihm dies mit den Männern des großen Chorverbandes: Sie sangen die Sauforgie in der Taverne präsent und kernig. 

Ein gebratener Schwan und stehende Ovationen

Auch die Gesangssolisten überzeugten. Die Sopranistin Georgia Tryfona sang ihren Part mit der vorgesehenen Extremhöhe schlank, glasklar und sinnlich. Der Tenor Christoph Leonhardt interpretierte den gebratenen Schwan hintersinnig humorvoll und der Bariton Sebastian Bluth sang zwar, wie erwartet, sehr kultiviert, doch wäre ihm manchmal eine etwas großspurigere, markantere Kraft zu wünschen gewesen. Zu oft wurde er auch vom Filmorchester zugedeckt.

Das Publikum aber war begeistert, der Beifall steigerte sich zu Ovationen. Nils Jensen hätte man einen besseren Start für seine künstlerische Arbeit in Potsdam gewünscht. Doch Ende Oktober gibt es eine weitere Möglichkeit, Ergebnisse seiner Arbeit mit der Singakademie zu erleben: mit Joseph Haydns „Schöpfung“.

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