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Kultur: Der Ketten spotten

Der Orgelsommer sucht mit Lessing die Freiheit

Zu den erfreulichen Neuerungen des von Kantor Johannes Lang verantworteten Internationalen Orgelsommers Potsdam gehört, dass er vor jedem Konzert mit den jeweiligen Künstlern ein Gespräch über die Entstehung und inhaltlichen Absichten ihres „Reformation“-Programms führt. So am Mittwochabend auch mit Jörg-Andreas Bötticher, ein gefragter Experte in Sachen Alter Musik und in Basel unter anderem als Professor für Cembalo, Orgel und Generalbass an der berühmten Schola Cantorum Basiliensis tätig. An Cembalo und Orgel absolvierte er in der Friedenskirche auch seine überzeugend konzipierte Zusammenstellung unter dem Titel „Es sind nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten “ (Gotthold Ephraim Lessing), und reflektierte damit die „Freiheit und Gebundenheit in musikalischen Umbrüchen von Rom bis Potsdam“ in einem dialektischen Zusammenhang.

Zunächst mit Hilfe der Woehl-Orgel, die sich diesmal ganz von ihrer zarten, intim-filigranen Seite zeigen darf. Als ersten Zeugen für sein Postulat lässt Bötticher den frühbarocken Girolamo Frescobaldi zu Wort kommen. Frei fantasierend und von den Fesseln der Konvention befreit, verbreitet sich in zartsilbriger Diskantlage die verzierungsreiche „Toccata nona“. Dagegen legt das streng geformte „Capriccio cromatico“ Zeugnis davon ab, dass zuchtvolle Strukturordnung durchaus sinnreich sein kann.

Sein frühbarocker Zeitgenosse und hamburgischer Organistenmacher Jan P. Sweelinck nimmt sich in seinem „Ricercar in a“ die Freiheit, ein sechstöniges Thema 50 Mal auf die raffinierteste Weise zu verändern und dabei mit Verzierungen und nach und nach hinzutretenden charaktervollen Registern nicht zu sparen. Von gläsern bis schnarrend, von leise bis laut und an Volumen gewinnend – an Abwechslung mangelt es dabei nicht. Ähnlich verhält es sich auch bei zwei Variationen über das „Vater unser im Himmelreich“ (1627) des Johann Ulrich Steigleder. Bei der ersten kann sich eine zarte Oberstimme auf einem Teppich von Bassakkorden räkeln, während die zweite sich rauschhaft im üppigen Hauptwerk ausbreitet. Auch hier überwiegen die hellen Klangfarben.

Danach ist das Cembalo an der Reihe, um durch seine spezifischen Möglichkeiten virtuoser Trillerketten, rasanter Läufe, glitzernder Klangkaskaden noch besser von freiheitlichen Feinheiten zu künden. In Johann Adam Reinckens G-Dur-Toccata stürzt sich ein pointiertes Thema in den rauschhaft-verspielten, einst modernen „Stylus phantasticus“, dessen freie Schreibart mit der gebundenen immer wieder eine gelungene Liaison eingeht.

Mit solchem brillanten Rankenwerk warten auch Johann Sebastian Bachs G-Dur-Adagio BWV 968 und das c-Moll-Praeludium BWV 821 auf, dagegen frönt das dreistimmige Ricercar mit dem berühmten Thema von Preußenkönig Friedrich II. aus dem „Musikalischen Opfer“ BWV 1079 überaus strenger Fugenkunst. Ein Fest für Logiker. Auch zwei Polonaisen von Bach-Sohn Wilhelm Friedemann huldigen dem Kontrast: verinnerlicht die eine, sprühend vor Lebenslust die andere. Viel Beifall. Peter Buske

Peter Buske

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