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Sanfte Klänge. Carl Raddatz in „Unter den Brücken“.

© Filmmuseum/Sammlung Raddatz

Kultur: Der kernige Liebling der Frauen Filmmuseum würdigt Carl Raddatz im Foyer

Noch auf dem Sterbebett sang der 92-Jährige ein munteres Liedchen. Und Guido Altendorf, der von dem Schauspieler Abschied nehmen wollte, stimmte ein: „Ich hab das Fräulein Helen baden sehn, das war schön“.

Noch auf dem Sterbebett sang der 92-Jährige ein munteres Liedchen. Und Guido Altendorf, der von dem Schauspieler Abschied nehmen wollte, stimmte ein: „Ich hab das Fräulein Helen baden sehn, das war schön“. Guido Altendorf, der Filmwissenschaftler, der am heutigen Donnerstag beginnende Foyerausstellung zum 100. Geburtstag von Carl Raddatz im Filmmuseum kuratiert, weiß viele kleine Geschichten über den einst so populären, 2004 verstorbenen Star zu erzählen. Wenn er ihn in seiner Wohnung in Dahlem besuchte, durfte er nicht nur den Nachlass sichten, den Raddatz unsortiert in einer großen Holzkiste aufbewahrte und dem Filmmuseum übergab. Altendorf hörte auch von manch amourösem Abenteuer des Schwerenöters, der im hohen Alter gern im Lehnstuhl saß, die Katze auf dem Schoß, und in die Vergangenheit eintauchte.

Die meisten der Frauen, die sich nun mit ihm unter Glas auf Porträts im Foyer aufreihen, wie Gisela Uhlen, Zarah Leander oder Olga Tschechowa, hatten ein Techtelmechtel mit dem in Mannheim geborenen Schauspieler, der sich von den Ufa-Schönlingen deutlich absetzte. Er war der kernige Prolet, hart und ohne Sentimentalität. In seinem breiten Repertoire war er mal amoralischer Verführer oder adliger Gutsbesitzersohn. Man nahm ihm alle Rollen ab, auch die im Frack.

Begonnen hat er 1937 in dem Film „Urlaub auf Ehrenwort“, der zur Eröffnung der Ausstellung gezeigt wird, und in dem er einen schöngeistigen, zur Desertation entschlossenen Grenadier spielt, der aber pflichtbewusst zur Truppe zurückkehrt. Nach diesem Debüt gab es für ihn nur noch Hauptrollen. „Raddatz hat auch in Propagandaschinken gespielt, aber er war kein Nazi“, sagt Guido Altendorf. Auch mit Veit Harlan, dem Regisseur des antisemitischen Films „Jud Süß“, arbeitete er zusammen, in einem Liebesfilm. Doch als Raddatz Harlan beim Drehen als Tyrannen erlebte, hob er ihn kurzerhand mitsamt Regiestuhl in die Luft und sagte: „So nicht mit mir“.

Raddatz’ Lieblingsfilm war das Melodram „Unter den Brücken“, in dem ihm Regisseur Helmut Käutner die künstlerisch bedeutendste Rolle verschaffte. Raddatz brillierte darin als Akkordeon spielender Havelschiffer, außen rau, doch mit sanfter Seele. Dieser Film, den man 1946 beim Filmfest in Locarno als die letzte Sensation des deutschen Films feierte, wurde auch beim letzten öffentlichen Auftritt von Raddatz gezeigt: zu seinem 90. Geburtstag im Filmmuseum. „Er hat mitgesungen und dabei geweint“, erinnert sich Altendorf. Inzwischen ist das Akkordeon samt Rucksack, in dem es verstaut war, eines der wichtigsten Exponate in der Dauerausstellung des Museums. Der Film wurde 1944 vor allem an der Glienicker Brücke gedreht, während der Bombenangriffe. „Die Filmleute mussten immer wieder unter Deck und sahen, wie Berlin glühte. Das merkt man dem Film nicht an, der schlicht und ganz unzeitgemäß über eine Männerfreundschaft erzählt, die in einer Ehe zu dritt mündet“, so Guido Altendorf. Die Frau des doppelten Begehrens war Hannelore Schroth, die erste der drei Ehefrauen von Raddatz.

Dessen Karriere ging nach dem Krieg nahtlos weiter. Die Hauptrolle in „Die Mörder sind unter uns“ von Wolfgang Staudte lehnte er indes ab, da der Film nur von einer deutschen Kollektivschuld sprach. „Das war ihm zu einfach“, so Altendorf. Höhepunkt in seinem langjährigen Engagement am Berliner Schiller-Theater war der Pozzo in „Warten auf Godot“, den Autor Samuel Beckett 1975 dort selbst inszenierte. Als Raddatz 1993 Ehrenprofessor werden sollte, lehnte er diese Auszeichnung des Berliner Senats ab, aus Protest gegen die Schließung des Schiller-Theaters. 2001 heiratete Carl Raddatz seine 20 Jahre jüngere Hausärztin Helga Cartsburg, die neben ehemaligen Kollegen von Carl Raddatz zur heutigen Eröffnung kommt. Sie hatte ihren Mann dazu bewegt, mit dem Filmmuseum über seiunen Nachlass ins Gespräch zu kommen. Heidi Jäger

Eröffnung am heutigen Donnerstag, 19 Uhr, Filmmuseum, Breite Straße 1/Marstall

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