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Er lässt sich nicht von ersten Eindrücken täuschen. Matt Sweetwood geht seinen Themen gern genauer nach – auch wenn die ihn in die Untiefen der deutschen Bierzelt-Kultur treiben.

© Manfred Thomas

Kultur: Der Hingucker

Matt Sweetwood ist US-Amerikaner, lebt in Potsdam und drehte einen Film über die Bierkultur. Beim ersten Internationalen Filmfest der Stadt sitzt er in der Jury

Von Sarah Kugler

Ihn interessieren die Menschen hinter den Vorurteilen – und dafür klettert er auch schon mal in einen Gärtank: Matt Sweetwood erzählt kleine Geschichten, solche von Träumen, Hoffnungen. Von dem, was die Menschen antreibt, was sie erleben und wie sie leben. Der Potsdamer mit US-amerikanischen Wurzeln erzählt diese Geschichten in seinen Filmen genau so wie in seinen Liedern. Dafür geht er mit Menschen nach Hause oder begleitet Familien über mehrere Monate. In seinem jüngsten Film, der Dokumentation „Beerland“, die 2013 in die Kinos kam, ging er der Bierkultur in Deutschland auf den Grund und versuchte herauszufinden, was sie eigentlich für die Menschen bedeutet.

Beim Internationalen Filmfest Potsdam, das im Oktober dieses Jahres stattfinden wird, ist er nun Jury-Mitglied. Eine Aufgabe, die ihn mit besonderem Stolz erfüllt und ihm wieder eine neue Perspektive des Geschichtenerzählens vermittelt. „Es ist einfach cool, mal auf der anderen Seite zu sein, schon die fertigen Storys zu sehen und darüber nachzudenken", sagt er und blickt dabei – das macht er gerne – gedankenverloren lächelnd in die Ferne. „Und ich finde es toll, dass ich somit die Potsdamer Filmkultur unterstützen kann, das ist wichtig an diesem Ort hier.“

Überhaupt ist Potsdam für ihn ein Ruhepol. „Ich bin kein Großstadtmensch“, sagt Sweetwood, der 1971 in Kansas City, Missouri geboren wurde. Potsdam, findet er, ist ein guter Ort, um seine Kinder großzuziehen. Im Jahr 1997 ist er mit seiner Frau, die aus Hessen stammt, hierhergezogen. Kennengelernt haben sich die beiden an der Universität in San Diego, an der Sweetwood Film im Haupt- und musikalisches Theater im Nebenfach studierte.

Zwei Welten sind das, die in seinem Leben zu einer werden. „Ich war irgendwann an diesem Punkt, wo ich mich für einen Weg entscheiden musste“, erzählt er – und entschied dann, beide Wege miteinander zu verbinden. So spielt er seit sieben Jahren zusammen mit fünf weiteren Musikern in der Band Folkadelic Hobo Jamboree, die eine Art Alternative Folk machen. Sweetwood, der in der Band singt, Gitarre und Klavier spielt, vergleicht den Stil mit einem Mix-Tape. Im Grunde sei es eine musikalische Reise, sagt er und seine Augen blitzen fast spitzbübisch hinter der schwarzen, eckigen Brille: amerikanischen Jazz, modernen Pop und viele funkige Sachen drin, zu denen man auch gut tanzen kann. Besonders wichtig sind ihm die Texte, von denen er viele selber schreibt. Mit ihnen wolle er Folk-Geschichten erzählen, die eher unbekannt sind, Seelenzustände beschreiben und Träumen eine Gestalt geben.

Was er an der Musik besonders schätzt, ist der direkte Kontakt zum Publikum. „Bei einem Film hast du nie diese direkten Reaktionen wie bei einem Konzert“, sagt er. Er aber braucht es, die Leute direkt zu treffen, mit ihnen zu reden. Musik und Film, das eine geht für ihn kaum ohne das andere, deshalb plant er, zukünftige Auftritte mit Filmmaterial aufzupeppen. Trotzdem bleibt die Musik eher ein Hobby, der Film ist der Hauptberuf. „Es nimmt einfach beides enorm viel Zeit in Anspruch“, sagt Sweetwood. Genug Zeit, um beides gleichwertig zu betreiben bleibt da nicht.

Noch in seiner Zeit in Amerika arbeitete er in San Diego und Los Angeles als Produktionsmanager, Drehbuchautor und Regieassistent bei mehreren Independent-Projekten mit. Als er 1995 nach Berlin zog, stellte er sich beim Verlag der Autoren in Frankfurt Drehbuchideen vor und arbeitete sowohl an Spiel- als auch an Dokumentationsfilmen mit. Irgendwann lernte er dann den Filmemacher Rick Minnich kennen, mit dem er zusammen „Homemade Hillbilly Jam“ drehte – eine Dokumentation über die Vorurteile gegenüber der Folk-Musik-Szene, die für viele Außenstehende oft wie eine Gruppe durchgeknallter Hillbillys wirke. Er selbst war dabei für Drehbuch und Schnitt verantwortlich. Auch für „Forgetting Dad“ arbeiteten Sweetwood und Minnich zusammen, die Geschichte handelt von Minnichs unter Amnesie leidendem Vater und gewann den Special Jury Award des International Documentary Film Festivals Amsterdam.

Neben anderen Projekten, an denen Sweetwood mitwirkte, folgte 2013 dann seine komplett eigene Produktion „Beerland“. An der deutschen Bierkultur hat ihn vor allem die Frage nach einer gemeinsamen Identität interessiert, die dahintersteckt: „Es ist so ein Ding bei den Deutschen, dass sie immer auf der Suche nach ihrer Nationalität sind, aber sich doch nicht so richtig trauen“, sagt er. Das liege natürlich an der deutschen Geschichte, „aber es hat auch eine gewisse Absurdität, die mich gereizt hat“.

Genau deshalb macht er Dokumentarfilme: um soziologische Portraits zu zeichnen, echte Menschen zu zeigen und dabei mit Vorurteilen aufzuräumen. „Mich nervt es immer total, wenn man sagt: Die Menschen sind so und so“, sagt Sweetwood und sein Gesicht wird kurz ernst. „Jeder ist anders, es gibt so viele Aspekte, niemand passt in eine große Schublade.“ Er sei zwar kein Michael Moore, wie er sagt, aber möchte mit seinen Filmen den Menschen schon einen Spiegel im Kleinen vorhalten und ihnen zeigen, wie sie eigentlich sind. Dabei reizt ihn immer das, was er nicht kennt, und wenn ihm dann noch jemand sagt, dass das nicht zu verwirklichen sei, macht er es erst recht. „Natürlich ist das nicht immer leicht, es gibt viele unbezahlte Stunden, viele verbrauchte Nerven“, gibt der Filmemacher zu.

Aber für das, was man liebt, muss man doch kämpfen: „Man muss einfach machen und nicht immer zu viel darüber nachdenken.“ Natürlich gebe es furchtbares Unglück in der Welt – „aber es sind doch die kleinen, funkelnden Geschichten, die uns antreiben, uns inspirieren. Es sind diese Geschichten, die uns am Leben halten“.

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