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"Der Geizige" auf der Seebühne des Hans Otto Theaters, hier Paul Wilms als Valère und Mascha Schneider als Élise.

© Thomas M. Jauk

"Der Geizige" auf der Seebühne des Hans Otto Theaters: Paradoxe Menschen in Reinkultur

Antipodischer Schlusspunkt: „Der Geizige“ ist die letzte Premiere der Spielzeit am Hans Otto Theater. Nach viel Tiefgang will das Haus jetzt noch einmal zeigen, dass es auch leicht kann.

Potsdam - Diese Welt ist bunt und hell, aber nicht heil. Im Gegenteil. Ein übergroßer Lüster ist von der Decke gekracht und hat in den teppichbedeckten Bühnenboden von „Der Geizige“ ein Loch gerissen. Die Tatsache, dass es über der Seebühne des Hans Otto Theaters gar keine Decke gibt, sondern nur den Frühsommerhimmel (erst blau, dann rot, immer weit) lässt das Ganze arg symbolisch wirken: Wer wirft hier mit Leuchtern? Wessen Zorn hätte hier wen treffen sollen?

Aber für Metaphysik ist in „Der Geizige“ kein Platz – eher schon für Gesellschaftskritik, theoretisch. Der Klassiker von Molière, uraufgeführt 1668 und vom Hans Otto Theater zum Abschlussstück der coronageplagten Spielzeit 2021/22 erkoren, ist das Porträt eines charakterlichen Ekels: Harpagon. Harpagon ist ein tyrannischer Patriarch, ein wohlhabender Adliger, dem alles abgeht – außer seine Liebe zum Geld. Er tut alles, um Letzteres zu vermehren, aber teilen? Niemals.

Prototyp des Turbokapitalisten

Harpagon kann als Prototyp des Turbokapitalisten gelten oder, sagt das Programmheft, als „der paradoxe Mensch in Reinkultur“. Dazu dürfte zählen, dass man nachmittags womöglich nach billigstmöglicher Technik jagt („Geiz ist geil“), und abends über den „Geizigen“ im Theater lacht. Zum Beispiel.

Die locker-flockige Inszenierung von Milena Paulovics aber schert sich jenseits der zeitgenössischen Übersetzung von Frank-Patrick Steckel nicht um Bezüge zum Heute. Sie baut auf Molières Witz, auf Tempo und die komische Kraft der Spieler:innen. Die Frauen tragen wippende 50er-Jahre-Petticoats, die Männer strähnige Langhaarperücken. 

Es glimmert und glitzert – nur Harpagon (Jon-Kaare Koppe) trägt miesepetriges Schwarz. Symptomatisch: Zwischen lauter Menschen, die zwar das Geld mögen, aber das Leben und die Liebe (oder was sie dafür halten) noch mehr, geht es ihm, Harpagon, vor allen um eine Geldschatulle – die er im Garten vergraben hat. Harpagon, der Grabwächter.

Jon-Kaare Koppe als "Der Geizige" in Molières Komödie am Hans Otto Theater.
Jon-Kaare Koppe als "Der Geizige" in Molières Komödie am Hans Otto Theater.

© Thomas M. Jauk

Bitte anschnallen: Molièrsches Verwirrspiel

Ein bisschen geht es Harpagon freilich auch um die junge Mariane (Ulrike Beerbaum), in die er sich verguckt hat. Hier beginnt das molièrsche Verwirrspiel, bitte anschnallen: In die mittellose Mariane ist auch Harpagons Sohn Cléante verliebt – heimlich allerdings (er brüllt es trotzdem heraus). Ebenso heimlich und schlecht verborgen liebt Harpagons Tochter Élise (Mascha Schneider) Valère. Valère wiederum (Paul Wilms) liebt sie zurück, hat sich als Diener in Harpagons Haus geschlichen, um Élise nahe zu sein.

Heimlichkeiten also allenthalben, übergroße Gefühle, die sich in übergroßen Gesten Bahn brechen – ein Fest für die Schauspieler:innen. Jon-Kaare Koppe wirft sich mit Lust und Virtuosität in die Rolle des Harpagon, den „mindestmenschlichen Menschen, den zähesten unter den Sterblichen“, wie es einmal heißt. 

Seine Kinder will er vor allem gewinnbringend unter die Haube bringen, aber nach seinem Geld geht er alle paar Szenen gucken wie ein Papa nach seinem Neugeborenen. Von der Kupplerin Frosine (Kristin Muthwill) lässt er sich einreden, er sei ein schöner, stattlicher Mann. Ja, über diesen Harpagon lässt es sich trefflich lachen – nur einmal, als Koch Jacques (Henning Strübbe) ihm minutenlang den Spiegel vorhält und berichtet, wie die Welt ihn tatsächlich sieht, steht er still vorne an der Rampe, ein Schuljunge in der Schäm-dich-Ecke. 

Energetisches Triebwerk

Mascha Schneider als Harpagons Tochter gibt ihm wunderbar Kontra, geschüttelt zwischen Zornesausbrüchen und augenrollender Bewunderung für ihren Valère. Paul Wilms’ Valère, optisch zwischen letztem Mohikaner und Latin Lover, heckt wortreich fantastische Pläne für seine Liebste aus, prügelt aber auch den, der ihm in die Quere kommt – und bleibt dann mit dem Scheuerbesen im Türrahmen hängen. 

Energetisches Triebwerk der Inszenierung ist der brillante Hannes Schumacher als Cléante: körperlich wendig und flatternd wie keiner, ein kleiner Junge und großer Liebender, den es körperlich zerreißt, wenn sein Vater die Angebetete selber ehelichen will. Einer der wenigen, die an diesem Abend nicht nur unterhalten, sondern auch berühren dürfen. Dazu gehört auch Henning Strübbe als Diener, der lernen muss: Ehrlichkeit bringt ihm Prügel, Lüge auch. Menschen wie er können nur verlieren. Für die anderen aber geht alles gut aus. 

Komödiantischer Schlusspunkt einer unkomischen Spielzeit

„Der Geizige“ ist der komödiantische Schlusspunkt einer Spielzeit, die insgesamt alles andere als komisch war. Das galt für den Spielbetrieb, coronabedingte Vorstellungsänderungen und Einschränkungen. „Wir standen mehrmals kurz vor der Schließung, weil Arbeitskräfte fehlten“, hatte Intendantin Bettina Jahnke im März gesagt. Vor allem aber war diese Spielzeit inhaltlich dicht und aktuell wie selten zuvor – angesichts einiger „Überbleibsel“ aus dem Vorjahr ein in seinem Ernst erstaunlich homogenes, ambitioniert zeitgenössisches Programm. 

Der Auftakt war mit „Der Vorname“ noch eine Komödie gewesen, aber spätestens seit Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ zielte das Theater ins Herz aktueller Debatten. Es gab Thomas Melles Wohnungsmisere-Stück „Die Lage“, Kleists „Kohlhaas“-Adaption ließ sich als Nachdenken über die Entstehung von Querdenkertum lesen. 

Dann waren da Frank Abts zur Selbstbefragung einladendes Klimastück „Good. Better. Greta“, Ewald Palmetshofers starke, feministisch konnotierte Überschreibung von Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“, Sibylle Bergs beißende Turbokapitalismus-Satire „In den Gärten oder Lysistrata2“ und das hochmusikalische Schauspielfest „Stützen der Gesellschaft“ von Sascha Hawemann. „Der Geizige“ sah sich nach so vielen Schwergewichten wie ein Versuch, zu testen, ob auch sommerlich leicht noch geht. Ja, geht durchaus! Man sollte nur nicht direkt neben den Lautsprechern sitzen. Und: Im Vergleich (siehe oben) lässt es eben immer auch ein bisschen hungrig zurück. 

„Der Geizige“, bis 7. Juli 18 Mal auf der Sommerbühne am Tiefen See

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