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Kultur: Der Geheimnisonkel

Klaus Stanjeks drehte einen Film über Willi Heckmann, der als Homosexueller acht Jahre KZ überlebte

Es war der 90. Geburtstag. Plötzlich fiel in die gemütliche Kaffeerunde ganz nebenbei der Satz: „Erstaunlich, dass er auch die Lagerzeit so gut überstanden hat.“ Gemeint war damit der lebenslustige Jubilar Onkel Willi, der Jahrzehnte lang als Musiker durch die Lande getingelt war, mit seinem glockenreinen Tenor, sich selbst auf Akkordeon und am Klavier begleitend.

Der Neffe Klaus Stanjek, damals 40 Jahre, war wie elektrisiert. Ja empört. Es war eine Zeit, in der er selbst sehr politisiert war, mit den westdeutschen Linken gegen die unzureichende Aufarbeitung der Nazizeit protestierte. Und nun in der eigenen Familie eine Vertuschung? Wusste nur er nichts vom Doppelleben des Onkels, der mit in der Familie gelebt hatte? Seine Nachfragen stießen auf Widerstand. Doch Klaus Stanjek ließ nicht locker. Was er nicht von seinem plötzlich so schweigsamen Onkel selbst erfuhr oder von seiner Mutter, die während der Nazizeit im Bund deutscher Mädchen eine Führungsrolle hatte, erfragte er bei ehemaligen Häftlingen von Mauthausen. Und er spürte in alle möglichen Archiven die raren Dokumente auf. Entgegen eigener emotionaler Widerstände, die er in Loyalität gegenüber der Familie empfand.

Am kommenden Montag stellt der Filmemacher Klaus Stanjek seinen 90-minütigen Film „Die Klänge des Verschweigens“ in einem halbstündigen Auszug vor. Diese Preview vor der Premiere im Herbst ist eingebettet in dem Abend „Rosa Winkel – Beiträge zur Erinnerungskultur“ im Filmmuseum, an dem auch der Dokumentarfilm „Paragraph 175“ gezeigt und über einen Filmworkshop von Schülern berichtet wird, der die konzentrierte Mordaktion an Homosexuellen im Klinkerwerk Oranienburg 1942 aufgreift.

Wilhelm Heckmann, der Geheimnisonkel Klaus Stanjeks, war homosexuell, was er ebenso wie seine Lagerzeit immer verschwiegen hatte. Offensichtlich führte er vor seiner Festnahme ein verdecktes zweites Leben in einer homosexuellen Welt, die sich tarnen musste. Wer ihn verriet, ist unbekannt. Der noch 1935 in einer Fachzeitschrift gelobte Musiker kam 1937 ins KZ, ohne Anklage, ohne Prozess. Er gehörte zu den geschätzten 7000 bis 15 000 Männern in deutschen Konzentrationslagern, die den rosa Winkel als Zeichen ihrer verfolgten Sexualität trugen. Etwa 60 Prozent von ihnen kamen ums Leben. „Warum hatte gerade Onkel Willi diese acht Jahre KZ erst in Dachau, dann in Mauthausen überlebt, was die meisten keine drei Monate schafften?“ Fragen, die den in Babelsberg lebenden Regisseur umtreiben und auf die er noch immer nicht alle Antworten kennt. Seit 2001 arbeitet er an dem Thema, und noch immer spürt man die große Aufgewühltheit, während er über den bereits fertig geschnittenen Film spricht. Er spielt selbst in der künstlerisch gestalteten Dokumentation mit: als Kind in Gestalt animierter Fotos und als erwachsener Erzähler. Man sieht Klaus Stanjek mit dem Auto durch eine Idylle fahren: nach Mauthausen, in der Nähe von Linz, mit Nebel im Gehirn und einem diffusen Unbehagen. Dazu ist „Eine kleine Frühlingsweise“ zu hören, ein argloser Schlager, den der Onkel ebenso wie Arien aus „Rigoletto“ oder „La Boheme“ sang.

Doch so arglos erwies sich dessen Musik nicht. Im ehemaligen KZ Mauthausen entdeckte Klaus Stanjek vier Fotos, die eine musizierende Häftlingsgruppe zeigen. Mittendrin sein Onkel. „Das hat weh getan.“ Die Fotos dokumentieren, wie ein Häftling aus Wien, der fliehen wollte, zur Hinrichtung gebracht wurde. Stundenlang fuhr man mit ihm durchs Lager und die Kapelle spielte zum Hohn „Alle Vögel sind schon da“.

Diese Geschichte wurde bei den Nürnberger Prozessen verhandelt, doch erst durch die Recherche von Klaus Stanjek sind nun auch Namen der Musiker bekannt, die in der sogenannten Zigeunerkapelle spielten. Sein Onkel gehörte offensichtlich zu diesen privilegierten Häftlingen, die aufgrund ihrer künstlerischen Fähigkeiten nicht hungern mussten. Auch zur Abendbelustigung der SS spielte die Kapelle immer wieder auf. Doch bis 1942 musste Willi Heckmann im Steinbruch arbeiten, wo täglich Hunderte Männer starben. Erst danach teilte man ihm wohl leichtere Aufgaben im Lager zu, so dass er jederzeit erreichbar war für plötzliche Besuche führender Nazis, wie Himmler und Kaltenbrunner, die gern mit Musik empfangen wurden. „Vielleicht war dieses Bessergestelltsein ein Grund, warum mein Onkel seine Lagerzeit verschwiegen hat. Aus Scham. Es gibt ja Überlebende, die sich allein deswegen schämen, weil sie überlebten.“ Ein ehemaliger Häftling im Film sagt: „Er hat zu viel gesehen. Und Homosexualität war auch nach dem Krieg nicht populär.“ Als Klaus Stanjek dem Onkel die Fotos zeigte, gab er sie ihm reglos zurück, verlor kein Wort darüber. „Er schaffte es nicht, seinen Schmerz und Schrecken, den er tief in sich vergraben hatte, anzurühren.“ Mit 95 Jahren schenkte er dem Neffen schließlich Material vom KZ, das das Rätseln indes noch beflügelte. „Darunter war ein kleines Originalfoto vom Lagerleiter Bachmayer, einem üblen Bluthund. In welchem Verhältnis stand er zu meinem Onkel?“ Immer wieder neue Fragen.

Dem 63-jährigen Filmemacher geht es nicht um ein Täter-Opfer-Schema, sondern um das, was das Schweigen und Ignorieren mit der nachfolgenden Generation macht. „,Klänge des Verschweigens’ reicht in der Bedeutung über meine kleine Familie hinaus.“ So wie Knut Elstermanns Buch „Gerdas Schweigen“ zeigt er, wie sich die Nachfahren quälen, wenn sie nicht wissen, was in der eigenen Familie wirklich geschah. „Es hat mir weh getan: diese Ambivalenz. Meine Mutter machte als 19-Jährige bei den Nazis Karriere, obwohl sie vom KZ-Aufenthalt ihres Bruders wusste. Daran ändert auch nichts, dass sie versucht hat, ihn zu beschützen und ihn für vier Wochen aus dem KZ Dachau holte. Sie haftete mit dem eigenen Kopf, dass er pünktlich wieder eingeliefert wurde.“ Wenn seine Mutter in dem Film vor der Kamera spricht, fällt ihr plötzlich das Wort Konzentrationslager nicht mehr ein. Und dann ihre Äußerung: „Der hat es im Lager ja auch an sich sehr gut gehabt.“

Der Film beschreibt nicht nur die homosexuelle Verfolgung, sondern eine Familiendynamik mit aufgeladenen Tabus, die mit verdrängten Schrecken umgehen muss. Diese Last soll nicht noch auf die nächste Generation übergehen. Und so ist Klaus Stanjek froh, dass es sein Sohn begrüßt, dass er diesen Film gedreht hat. Und auch ein Film im kleineren Format plant: für die Bildungsarbeit an den Schulen. Der Professor für Dokumentarregie an der HFF möchte, dass sich junge Leute mit der Geschichte einzelner Menschen auseinandersetzen können, um das große Thema Nationalsozialismus besser zu verstehen. Dafür richtete er auch eine Webseite ein. „Gerade über Homosexuelle gibt es so wenig, weil sie nicht über sich erzählten.“ Und auch von der Gesellschaft wurden die Häftlinge mit dem rosa Winkel erst in den 90er Jahren als Opfergruppe anerkannt.

„Ich bin mir sicher, dass meinem Onkel ganz schweres Unrecht widerfahren ist und er es mit scherzhafter Leichtigkeit überspielte.“ Er sei wohl eine Art Verdrängungsassistent gewesen, der mit seiner Musik über schreckliche Erlebnisse hinwegtäuschte. Und der seine eigenen Gefühle in der Musik versenkte, um der Seele Entlastung zu verschaffen. Soweit das möglich war. So lange es Überlebende in der Familie gibt, werden die Geschichten glatter und harmloser erzählt, gibt es eine Loyalität, sagt Klaus Stanjek, der es an sich selbst beobachtete. Inzwischen sind fast alle aus der Familie verstorben. Die Wahrheit kann ungeschminkt auf den Tisch.

Der Film- und Diskussionsabend „Rosa Winkel – Beiträge zur Erinnerungskultur“ findet am Montag, dem 23. April, ab 18 Uhr im Filmmuseum, Breite Straße 1A, statt. Eintritt ist frei

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