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Kultur: Der disziplinierte Wilde

Volker Bartsch ließ einst die heißen Nächte der 80er zu Eis erstarren. Heute lebt er in Wildenbruch

Auch er warf sich in die Nächte hinein, als gäbe es kein Morgen. Es wurde getanzt, getrunken, gekifft – und manche Schöne entführt. Volker Bartsch war kein Kostverächter. Er studierte sie genau: die weiblichen Körper. Und erhob sie zur Kunst! Trotz durchzechter Nacht stand er pünktlich um 9 Uhr wieder an der Staffelei oder ging gleich nach dem letzten Absacker in die Werkstatt der Hochschule, um die pulsierenden Eindrücke jungfräulich ins Bild zu setzen. Diese langen Beine, die wohl geformten Oberkörper, die festen Brüste – sie alle drängten auf die Leinwand. Die Hitze der Nacht erstarrte unter seinen Händen zu Eis. Unter der Discokugel spiegelte sich für ihn hundertfach die Einsamkeit. Ja, alles war möglich auf dieser Insel: in diesem freien Westberlin der 80er, die keine Polizeistunde kannte.

„Die drei Grazien“ von Volker Bartsch, die derzeit in der Ausstellung „Die wilden 80er-Jahre in der deutsch-deutschen Malerei“ im Potsdam Museum gezeigt werden, sind solche Disco- Queens. Gebannt bleibt man vor dem „Eisberg“ nackter Seelen stehen: vor diesem kühlen, kantigen Blau mit den grau-weißen Figuren, die sich selbst zu fesseln scheinen. Viele der von Bartsch gemalten Nachtgestalten kamen wie der Künstler aus dem Mief der Kleinstadt und stimmten nun ein Hohelied auf die scheinbar ewige Jugend an.

Vor seinem Studium an der Hochschule der Künste hatte er bereits eine Lehre absolviert. Von der Mutter aufgezwungen. Kunst studieren ohne sicheres Unterpfand – das gab es mit ihr nicht. Also wurde Volker Bartsch in Goslar Industriekaufmann, was ihm später durchaus zugutekam, auch wenn er nicht einen Tag in diesem Beruf gearbeitet hat. Aber er wusste nun, wie das große Getriebe läuft und schaffte es, ohne Schulden durchs Leben zu kommen. „Wenn ich etwas verkauft hatte, soff ich nur zwei Tage. Meine Kollegen meist die ganze Woche. Bild weg, Kohle weg. Ich legte immer zwei Drittel der Einnahmen beiseite, um sie zu reinvestieren: in mich und meine Arbeit.“ Er hat es gut angelegt, dieses schwer verdiente Geld, das ihn auch körperlich oft an Grenzen führte. Bei meterhohen Plastiken, die weltweit von ihm zu finden sind. Wie seine erste, der Ammonitenbrunnen am Ku’damm, für die er sich extra einen Smoking kaufen musste, weil die Queen sie einweihte. Mit diesem Brunnen aus Schiefer setzte der langhaarige Newcomer dem Trend des Glatten, Polierten etwas Sprödes entgegen, etwas, das aneckte. Obwohl der stimmgewaltige Berliner Zoodirektor lieber einen Goldenen Hirsch gehabt hätte, überzeugte Bartsch den Senat von seiner Idee.

Wenn der Grenzgänger, der autark zwischen Underground und etablieren Schichten wandelt, über die weite Wiese hinter seinem Vierseitenhof schaut, mischt sich ins Erinnern sofort der Blick aufs nächste Projekt. Er ist voller Pläne, dieser 63-jährige Sehnsuchtsmensch, der sich immer wieder neue Orte erschließt und sich doch mehr und mehr erdet: in der Sackgasse in Wildenbruch, mit dem See vor der Haustür, um den er regelmäßig joggt. Im Garten gibt es unter selbst gepflanzten Bäumen eine Boule-Bahn für richtige Turniere. Er nimmt es genau, dieser Einzelgänger, der sich gern mal Freunde einlädt, aber das große Getümmel inzwischen meidet. Auch aus Angst vor Anschlägen. Schon lange.

In den 80ern zog in die wilde Unbekümmertheit plötzlich ebenfalls eine dunkle Gefahr. Sie hieß Aids. Ein enger Freund steckte sich bei einer Frau an und starb sehr schnell. Alle wurden vorsichtiger. „Vorher gab es keine Tabus, man war frei und ungebunden. Die Frauen nahmen die Pille, und damit war alles erledigt.“ Plötzlich interessierte man sich für den Lebenswandel des anderen. In Bartschs Atelier entstand „Der Teufel jagt die Vernunft“. Ein Bild aus dieser Reihe ist ebenfalls im Potsdam Museum zu sehen und zeigt das überbordende Spiel mit dem Tod. „Obwohl man wusste, dass es ohne Kondome gefährlich ist, ließen sich viele dennoch darauf ein. Bei einer schönen Braut setzt die Vernunft eben aus.“

Von all diesen Auf- und Umbrüchen erzählen kraftvolle Bilder, zarte Radierungen, widerborstige Plastiken, die heute seinen Ort der Ruhe überziehen. Er hat ihn sich nach der Wende gesucht, als die Mieten in Westberlin nicht mehr bezahlbar waren. Dieser einstige Schulzenhof ist seine größte Skulptur. Drei Jahre baute er an ihr: mit alten Materialien auf die Zukunft hin. Hier gibt es die eigene Gießerei, das große Mal-Atelier, die „Wohnzimmergarage“ für seinen Vacel Vega Coupé, Baujahr 1960. Bartsch sammelt alte Dinge, er kennt ihren Wert. Auch von Häusern, die verschwinden. Gentrifizierung ist sein Oberthema: die Umwandlung von Städten. Er erlebte sie mit im Berliner Club-Viertel „Kater Holzig“, das 2014 pleiteging. Jetzt entsteht es neu am gegenüberliegenden Spreeufer und heißt „Holzmarkt“. Volker Bartsch bezog dort ein zweites Atelier: unter einem der Bahnbögen, wo es über ihm rumpelt, wenn er seine Holzschnitte fertigt.

In gut einem Jahr wird er sich von seiner „Kommandozentrale“ in Wildenbruch aus ein neues Atelier suchen, mit neuen Themen, die ihm manchmal selbst überraschen. So als er 2007 mit seiner Frau nach Rom zog, um sich von der Arbeit an einer neun Meter hohen Skulptur für die Freie Universität Berlin zu erholen. Sie bezogen die ehemalige Wohnung Fellinis und Volker Bartsch aquarellierte den Garten. Bis er im Fernsehen eine Dokumentation über Frauen mit eingefrorenen Gesichtern sah: mit Botox gespritzt. Plötzlich entdeckte er überall in den Straßen diese Mumien, Opfer ihres Schönheitsehrgeizes, gemeinsam einsam wie damals seine Disco-Queens. Volker Bartsch hat sich längst von unten nach oben gearbeitet: von den langen Frauenbeinen zu den vielsagenden stummen Gesichtern.

Heute um 18 Uhr führt Kuratorin Anna Havemann durch „Die wilden 80er-Jahre“ im Potsdam Museum (Am Alten Markt 9)

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