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Kultur: „Der Blick der Künstler ist doch erstaunlich vielfältig“

Jutta Götzmann über historische Ereignisse, die den Malstil verändern können und warum Kunst aus der DDR jahrelang im Giftschrank verschwand

In der Ausstellung „Stadt-Bild/Kunst-Raum“ zeigt das Potsdam Museum noch bis einschließlich Sonntag erstmalig Werke aus der hauseigenen Sammlung mit Kunst aus der Zeit der DDR, darunter auch zahlreiche Arbeiten von Potsdamer Künstlern zum Thema Stadt. Die PNN befragten in den vergangenen Wochen einige dieser Potsdamer Künstlerinnen und Künstler zu ihren Werken, ihrem Verhältnis zu dieser Stadt und ihrem Dasein als Künstler in der DDR. Nach Barbara Raetsch, Peter Rohn, Wolfgang Liebert, Christa und Peter Panzner, Manfred Butzmann und Wolfram Baumgardt kommt in dieser Interviewreihe zum Abschluss die Museumsdirektorin Jutta Götzmann zu Wort.

Frau Götzmann, welches ist Ihr Lieblingsbild in der am Sonntag zu Ende gehenden Ausstellung?

Es fällt mir schwer, mich festzulegen, denn ich habe mehrere Lieblingsbilder in der Ausstellung. Eines davon ist das Triptychon von Ulla Walter, das direkt am 9. November 1989 entstanden ist. Ich kenne die Künstlerin seit vielen Jahren und auch ihr Werk sehr gut. Am „November ’89“ überrascht mich, wie sie sich hier aus einem sehr gegenständlichen Malstil löst und sich zu einem Ereignis, das die Welt verändert hat, malerisch äußert. Ulla Walter hat ein überaus emotionales und impulsives Bild geschaffen.

Ein gesellschaftlicher Umbruch, der sich in einem stilistischen Umbruch bei der Künstlerin widerspiegelt?

Ja, und sie schafft ein Werk, das kein Abbild und auch keine Verarbeitung eines Geschichtsereignisses ist, sondern ein Erlebnis, ein ganz persönliches Statement zum Thema Mauerfall. Wolfram Baumgardts Gemälde „Potsdam“ ist ein weiteres Lieblingsbild. Der Künstler wählte einen Panoramablick auf Potsdam mit einer Vision von Stadtschloss und Garnisonkirche als Bildmotiv. Erstaunlich ist, dass sich Baumgardt noch 1982 mit der Zerstörung des Stadtschlosses und der klaffenden Wunde im Zentrum auseinandersetzte. Seine Verarbeitung im Gemälde hat mich bewegt.

Die Diskussionen um die Ausstellung „Sechzig Jahre – Sechzig Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von ’49 bis ’09“ vor über fünf Jahren hatten es noch einmal deutlich gemacht, dass Kunst aus der DDR bis auf wenige Ausnahmen ein Schattendasein fristet. Woran liegt es, dass diese Werke so lange im Giftschrank lagen und so der Vergessenheit preisgegeben wurden?

Ich glaube, das lag an der Unsicherheit der ersten Jahre nach dem Mauerfall, wie man mit dem schwierigen Erbe der DDR umgehen soll. In diese Zeit fällt hier in Potsdam auch die Gründung des Zentrums für Zeithistorische Forschung, das ZZF. Es war eine ganz einmalige Situation, dass unmittelbar nach dem politischen und gesellschaftlichen Umbruch eine Institution gegründet wurde, die sofort mit der Aufarbeitung begann. Auch hier herrschte eine gewisse Unsicherheit; im Umgang und in der Bewertung der Kunst der zurückliegenden vier Jahrzehnte war diese Unsicherheit aber noch viel größer.

Warum?

Weil es die Befürchtung gab, sich über das öffentliche Ausstellen dieser Kunst zum System zu bekennen oder zumindest keinen entsprechenden Abstand zu halten. Die Kunst wurde unmittelbar nach dem Umbruch als immanenter Bestandteil des Systems gesehen, künstlerische Qualitätskriterien schienen nicht zu existierten.

Was ja doch recht kurz gedacht ist.

Aber es gab die Tendenz, die Kunst als Auftragskunst zu klassifizieren und ihr damit eine eigene Wertigkeit abzusprechen – eine differenzierte Auseinandersetzung erfolgte in den 1990er-Jahren nicht oder höchstens in Ausnahmen. Und wenn man bedenkt, wie viele Werke in dieser Zeit aus den öffentlichen Sammlungen der neuen, aber auch der alten Bundesländer verschwanden, erkennt man, dass sich die Unsicherheit in eine komplette Ablehnung verwandelte. Entsprechend hatten Künstler, deren Ausbildung und Etablierung in den Jahrzehnten der DDR wurzelte, unmittelbar nach der deutschen Einheit keine oder nur geringe Möglichkeiten, ihre Werke zu präsentieren. Es waren nur wenige, die in den Jahren zuvor einen gewissen Status und eine Akzeptanz auf dem Kunstmarkt erreicht hatten, darunter Künstler wie Harald Metzkes, Wieland Förster oder Bernhard Heisig. In der Gesamtbetrachtung fiel der Leipziger Schule eine Sonderrolle zu.

Wie kam es zu der Idee für die Ausstellung „Stadt-Bild/Kunst-Raum“?

Schon bei meinem Amtsantritt im November 2008 hatte ich die Idee, mich intensiv mit der Kunstsammlung nach 1945 auseinanderzusetzen, deren Bestände einen Schwerpunkt in den 1970er- und 1980er-Jahren aufweisen und wie in Frankfurt/Oder oder Cottbus auf Galeriegründungen für zeitgenössische Kunst der DDR zurückgehen. In den Jahren davor hatte es in Potsdam kaum Ausstellungen aus diesem Sammlungsbestand gegeben, es gab Vorbehalte, die auch ein Sammlungsgutachten aus den 1990er-Jahren nicht wesentlich reduzierte. Mit dem Ausstellungsprojekt „Freiheit der Idee. 7 mal Kunst vor ’89“ im Jahr 2009 versuchte ich in Kooperation mit der Galerie Ruhnke eine erste Annäherung an junge künstlerische Positionen, die sich in unserer Sammlung befanden und von der Potsdamer Galerie vertreten wurden. Über das Begleitprogramm knüpfte ich Kontakte zum Zentrum für Zeithistorische Forschung, deren Arbeit am Bundesverbundprojekt „Bildatlas. Kunst in der DDR“ begonnen hatte. In der Phase der intensiven Zusammenarbeit, die die Aufnahme der Gemäldesammlung in eine digitale Datenbank des Bildatlas-Projektes ermöglichte, entwickelte ich die Ausstellungsidee zu „Stadt-Bild/Kunst-Raum“. Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls sollte in Potsdam eine große Ausstellung mit einem Schwerpunktthema unserer Sammlung entstehen, die beabsichtigte, viele interessante Künstler zu berücksichtigen – da bot sich das facettenreiche Thema „Stadt“ wunderbar an. Gemeinsam im Team haben wir das Konzept konkretisiert und entschieden, über den Tellerrand hinauszublicken und Potsdam in seinen zahlreichen Verbindungen zu Berlin zu betrachten. Weitere in der Sammlung vertretene Positionen aus Halle, Leipzig und Dresden wurden in das Konzept eingebunden.

Stadt als gegebene und idealisierte Landschaft in der Kunst?

Ja, dabei haben wir geschaut, wie sich die Stadt in der DDR veränderte und wie sie von Künstlern wiederum in ihren Werken rezipiert wurde. Wir folgten der Annahme, dass Stadtbilder ein Gradmesser für gesellschaftliche und politische Veränderungen sind, die durch die Künstler auf eigene Weise wahrgenommen werden. Die Ausstellung beginnt mit der Sektion „Konstruktionsorte“ und stellt dem Besucher die Utopien des Sozialismus vor, die sich unter anderem auf die Idealplanung der Stadt niedergeschlagen haben. Dabei ist uns bewusst geworden, dass weniger die Topografie für das Bildgenre „Stadt“ wichtig ist, als vielmehr Themenfelder, die sich aus einer solchen Auseinandersetzung ergeben. Zu nennen sind Themen wie „Parallelwelten, Repressionsorte oder Rückzugsorte“. Denn der Blick der Künstler ist doch erstaunlich vielfältig, zumal bei einer Schau, die 60 Künstlerinnen und Künstler berücksichtigt.

Wie haben die Potsdamer Künstler, deren Werke ja oftmals nach über 20 Jahren wieder einmal zu sehen waren, auf diese Ausstellung reagiert?

Ich glaube, die Ausstellung war ganz wichtig für Potsdam, vor allem aber auch für unser Haus. Denn damit haben wir gezeigt, dass wir unsere Sammlung nicht nur bewahren, sondern sie ausstellen, ihr mit neuen Fragen begegnen und sie in neue Kontexte und Zusammenhänge einbringen. Damit fördern wir die differenzierte Aufarbeitung und Reflexion der ostdeutschen Kunst. Wir haben im Vorfeld viele Kontakte zu den Künstlern aufgebaut und ich kann nur sagen, die Zusammenarbeit war einfach wunderbar. Wir haben erlebt, dass eine jahrelang vorherrschende Enttäuschung über die Wertigkeit der ostdeutschen Kunst in eine große Offenheit und Freude umgeschlagen ist. Am Herzen lagen uns nicht nur einige wichtige Leihgaben aus dem Privatbesitz der Künstler, sondern besonders ihre Sichtweisen auf die Zeit und auf die Entstehung konkreter Werke. Wir haben viele der Künstlergespräche aufgezeichnet, da sie eine persönliches Quelle, aber auch ein Zeitdokument sind und unsere Sammlung ergänzen.

Mit dem Ende der Ausstellung gehen die Bilder zurück in die Depots oder an die Leihgeber. Dann ist zu befürchten, dass lange Zeit nichts mehr aus dieser Sammlung im Museum zu sehen sein wird.

An einer meiner Kuratorenführungen durch die Ausstellung hat auch der chinesische Gegenwartskünstler Wang Shugang teilgenommen, der international bekannt ist und über Stafan Pietryga einen Kontakt zu Potsdam pflegt. Den Ausstellungskatalog, den er von mir bekam, hat er wenige Wochen später der Direktorin des Nationalmuseums in Peking vorgelegt, die sich sehr positiv geäußert und Interesse an unserer Sammlung bekundet hat. Aber das ist zunächst nur eine Resonanz, die mich erreichte. Hier im Haus haben wir schon weitere Ideen, wie wir mit unserer Sammlung inhaltlich auch in Zukunft arbeiten können. Natürlich wollen wir diese Sammlung weiter ausbauen in Richtung Gegenwart. Die Ausstellung „Stadt-Bild/Kunst-Raum“ haben wir ja mit dem Jahr 1990 klar begrenzt. Aber viele der Künstler haben danach weitergearbeitet. Und hier könnte es interessant sein, von Potsdam und Brandenburg einen größeren Blickwinkel zu eröffnen, um der Frage nachzugehen, wo heute der Status quo in der Kunst der neuen Bundesländer liegt. Oder ob es diesen überhaupt noch gibt. Die Gegenwartskunst ist in Potsdam nicht nur ein Thema der freien Szene oder der Galerien, sondern auch unseres Museums. Und da funktioniert die Zusammenarbeit mit sämtlichen Akteuren sehr gut.

Das Gespräch führte Dirk Becker

Die Ausstellung „Stadt-Bild/Kunst-Raum“ ist noch bis einschließlich Sonntag im Potsdam Museum zu sehen.

Jutta Götzmann, geb. 1965 in Ascheberg in Nordrhein-Westfalen, studierte Kunstgeschichte an der Universität Münster. Seit Herbst 2008 leitet sie als Direktorin das Potsdam Museum.

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