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Kultur: Der arme alte Mann im Paradiese

Umjubelte Premiere von Herbert Olschoks „Der Feuerwehrball“ am Hans Otto Theater. Das komplette HOT-Ensemble fand sich im Gasthaus „Paradies“ ein, um den Löscher Erich zu ehren. Eine satte Satire.

Umjubelte Premiere von Herbert Olschoks „Der Feuerwehrball“ am Hans Otto Theater. Das komplette HOT-Ensemble fand sich im Gasthaus „Paradies“ ein, um den Löscher Erich zu ehren. Eine satte Satire. Von Gerold Paul Das Amt eines Löschmannes ist nicht leicht. Sein Los ist die Bereitschaft, sein Risiko der Tod. Feiern kann er nur, wenn er sich bei der Zentrale abmeldet. Ungerecht also, wenn man dieser wackeren Spezies eine besondere Trunksucht nachsagt, da gibt es ganz andere. Sollte „die Feuerwehr“ aber eine Parabel auf die staatsgewissen Greise post mortem sein, dann wäre das etwas anderes. Wie sehr der bekannte Regisseur Milos Forman („Amadeus“, „Kuckucksnest“) seinen Film „Der Feuerwehrball“ von 1967 tatsächlich als Exempel auf damals herrschende CSSR-Verhältnisse konzipierte, ist nicht bekannt. Angeblich weiß er von nichts. Das HOT hingegen kündigte die gleichnamige Inszenierung vom Freitag – Premiere und Uraufführung in einem – als „grandiose Metapher für das Scheitern einer ganzen Klasse“ an. Also doch, der moderne Mensch denkt eben politisch. Herbert Olschok schrieb den Film mit den Koautoren Ivan Passer und Jaroslav Papousek für die Potsdamer Bühne zu einem bissig-satirischen Zeitstück um, das totale HOT-Ensemble nebst Gästen befleissigte sich unter seiner Regie, diesen parabolischen Wurf zu einem Potsdamer Bühnenrenner zu machen, sozusagen als Anschluss an das gerade erst zugesperrte „Tanzhaus“. Wenn man dem frenetischen Jubel des Premierenpublikums in dieser Vollmondnacht folgen wollte, ging Olschoks Rechnung wohl geradezu paradiesisch auf. Für ein Ensemble, mit dem sich glatt die Schlacht bei Waterloo nachstellen ließe, brauchte man eine Bühne im Großen, wie sie sich Marianne Hollenstein ausgedacht hatte. Vorn links ein Nebenzimmer für die Sitzungen der uniformierten Feuerlöscher, rechts der Tresen, welchen Inge Noack und Katharina Voß herrlich verbiestert hüteten. Beides ließ ob seines schmierigen Flairs keinen Zweifel, welch’ ausstaffierte Zeit und Gegend man meinte, im Gasthaus „Paradies“; Spätgeborenen half ein Abbild von Ulbricht weiter. Die große Bühne war zum Saaltanz eingerichtet, im Zentrum eine Tombola, weit hinten noch ein Bühnlein für das schmalzige Gesangsduo „Moni und Horst“ (Rita Feldmeier, Robert Putzinger). Mit „Ramona“ und anderen Titeln (musikalische Leitung und Fanfarenbläser Christian Deichstetter) gab es Olschocks Ausstattungsstück Farbe und Glanz verflossener Tage, mithin den spröden Charme des ganzen Proletariats. Das Stück erzählt die vergebliche Geschichte einer umtriebigen Löschgruppe, welcher, eher unauffällig, Brand Schorschl (Gerd Staiger a. G.) vorsteht. Sie will einen Feuerwehrball ausrichten, denn „Wer gut arbeitet, soll auch gut feiern“. Doch nichts gelingt. Die Miss-Wahl gerät zum Fiasko, die raren Markenartikel werden noch vor Eröffnung der Tombola geklaut, einem flugs ausgebrochenen Brand im Hause von Opa Theo (Helmut G. Fritzsch) sieht man eher tatenlos zu, und die Hauptperson, der Löscher-Erich (ehrenvoll Günter Rüger), wird andauernd vergessen. Leider auch von der Regie, denn in all dem gut inszenierten Brimborium einer phantasievollen Inszenierung, wo jeder Gang sitzt, jede Person bis in die Sprache hinein ihren persönlichen Ausdruck findet, alles von exzellenter Satire nur so trieft, Farbe zum Chaos, Ton bis zur Stille reicht, wird des armen alten Mannes, dessen Lebensverdienst ja geehrt werden soll, dramaturgisch zu wenig gedacht. Bis in die nicht gelungene Schluss-Szene hinein: Auch das Ehren-Geschenk wurde längst gestohlen. Schade, hier hätte ein Paukenschlag inszeniert werden müssen. So gleicht Olschocks glanzvoller 150-Minuter einem festlich geschmückten Haus, darinnen eher Leere ist. Formans Stoff will die Theaterbühne, nicht das Kabarett, und sind die so herrlich unbeholfenen Feuer-Leute auch aller Taten hilflos, sie hätten mehr ins Zentrum gehört, pars pro toto Gerd Staiger, als Häuptling. Das Bühnengesetz sucht den Protagonisten. Eine Regie-Entscheidung, ganz klar, denn die Schauspieler waren allesamt in Hochform. Also blieb das Fanal satirisch, das Tragische aber wuchs nur verkümmert. So läuft diese unausgewogene Inszenierung Gefahr, sich im eigenen Glanz zu verblenden. Man ist, mit Verlaub, selbst zum Opfer der Spaßgesellschaft geworden, die man doch kritisieren wollte. Was das Premierenpublikum so heftig begrüßte, war nichts weniger als eine Inszenierung ganz im Geschmacke der Zeit: Satire voller Klugheit und köstlicher Details, enormer Unterhaltungswert, keine Ostalgie, Befriedigung auch des starken Durstgefühls der Uniformen, brillante Optik – aber was war nun mit dem armen alten Mann im „Paradies“? Viel Interessantes gab es zu entdecken, und Diffuses auch. Eine doppelt inszenierte Arie aus „Hoffmanns Erzählungen“, Mädels, die sich dem Schönheitswettbewerb erst zur Verfügung stellen, in einer Chaos-Szene dann ganz unmotiviert ausbüxen – sie müssen, Kleider überm Kopf, wieder eingefangen werden. Schaut man hin, schaut man weg? Gut gesehen: Das Unerklärte gehört in jede Inszenierung. Zum Schluss versucht Herbert Olschock mit einer gospelgestützten Allegorie die Kurve zu kriegen. Hinten die Alten im rieselnden Schnee, vorne, in Reihe, die Jungen. Das kam nun etwas zu spät.

Gerold Paul

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