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Die Geschwister Eva und Robert Menasse sprachen im Hans Otto Theater über familiäre Verhältnisse, das Schreiben und die Gefahren des Internets. Marion Brasch (r.) moderierte. 

© Andreas Klaer

Der Abschluss von Lit:Potsdam: Gesellige Autisten

Am Sonntag ging Lit:Potsdam zu Ende. Besuche bei Natalie Wörner, Eva und Robert Menasse sowie auf dem Büchermarkt in der Schiffbauergasse.

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Potsdam - Auf zwei Flößen unterhalb der Glienicker Brücke wird abgelegt: mit Kurs auf die Pfaueninsel. Bald schon hebt sich das weiße königliche Schloss märchenhaft verträumt am Horizont ab. Doch unter den Reisenden rumort es leise: Liest denn hier keiner? Es heißt doch literarische Floßfahrt?! So steht es im Programm. Am Ende werden die Gäste diese kleine Irreführung vergessen haben: nach der Fahrt findet die Lesung zu Land statt – im Wirtshaus auf der Pfaueninsel. Natalia Wörner greift dort zu Fontane, der schließlich auch dieses Eiland besang. Doch hier ist Fontane nur Folie. Die Schauspielerin liest „Die Birnen von Ribbeck“ von Friedrich Christian Delius. Dieser Westberliner Autor hat die Ballade 1991 fortgeschrieben: als ersten deutsch-deutschen „Wenderoman“, bestehend aus einem einzigen, 70 Seiten langen Monolog mit nur einem Punkt am Ende, aber vielen Kommata. Keine leichte Kost zum Lesen und zum Vorlesen erst recht nicht. Natalia Wörner kommt zwischen zwei Drehtagen zu dieser Lesung – müde und erkältet, wie sie sagt. Die Tontechnik erschwert es ihr zusätzlich, in den Text einzusteigen. Doch sie ist Profi, versucht durch leises Sprechen, den Nachhall auszutricksen.

Natalie Wörner las auf der Pfaueninsel aus „Die Birnen von Ribbeck“ von F. C. Delius.
Natalie Wörner las auf der Pfaueninsel aus „Die Birnen von Ribbeck“ von F. C. Delius.

©  Dirk Bleicker,

Immer mehr kommt sie in Fluss und auch der Zuhörer findet hinein in diese seltsame, bittere, beinharte Wendezeit. Eine Zeit, „in der sich alles öffnet und wendet und kippt, wenn das Alte nichts gilt und nur das Neue zählt.“ Ein großartiger Text, der feinnervig durch die Jahrhunderte mäandert. Und beklemmend aktuell ist. „Ich war verstört, als ich den Text las“, sagt Natalia Wörner. Dieser Text sei wie ein Gedicht, das in seiner Zeitgenauigkeit weiterwachse. Und der auch darüber erzählt, dass die Kinder in den Schulen des versinkenden Staates der Arbeiter und Bauern nichts hören sollten von freundlichen Feudalherren, vom Ribbeck auf Ribbeck, während im Westen jedes Kind die Fontane-Ballade vom Birnbaum auswendig lernen musste. Delius sitzt selbst mit in der Zuhörerrunde. Natalia Wörner liest am Ende fast im Singsang: klangschön, ohne stärkere Akzente – wie vom Birnenschnaps ermüdet. Delius’ Birnen von Ribbeck entfalten ihre Kraft aber erst so richtig beim eigenen Lesen.

Mit Robert Menasse im Park der Villa Jacobs

Beim Anlegen am Park der Villa Jacobs geht es dann launig weiter, mit kurzen Reden auf den Writer in Residence, dem Österreicher Robert Menasse. Der kommt mit Moderator Denis Scheck ins Gespräch, „der die Aufgabe hat, immer der Eleganteste zu sein“ wie der als spitzzüngig bestens bekannte Vereinsvorsitzende von Lit:Potsdam, Richard Gaul, sagt. Denis Scheck in kariertem Anzug beginnt denn auch mit Fontane, der gesagt habe: „Wenn man einen Roman schreibt, sei das, als werfe man einen Stein in den See. Fünf Minuten gäbe es Wellen, danach sei alles vergessen.“ Der 2017 mit dem Deutschen Buchpreis gekürte EU-Roman „Hauptstadt“ von Menasse sei indes monatelang auf der Bestsellerliste gewesen. Der Schriftsteller gesteht, dass er immer Wirksamkeit haben wolle. Aber ganz sicher wohl eine andere als durch die öffentlichen Angriffe in den vergangenen Monaten. Und Menasse beginnt seine Medienschelte, die an dem lauschigen Freitagabend immer wieder hochkocht. Zu sehr fühlt er sich verletzt, nachdem er in zahlreichen Zeitungen kritisiert worden ist, weil er Walter Hallstein, dem Begründer der europäischen Kommission, ein Zitat in den Mund legte, das der so exakt nicht gesagt hatte. „Ich verwendete Gänsefüßchen statt des Konjunktivs. Doch der Inhalt stimmt.“ Genauer nachzulesen ist Menasses Sicht in seinem kürzlich erschienenen PNN-Interview

Der Schriftsteller erzählt, dass er ein Zeitungsjunkie sei und jeden Tag im Café sitze, um alle Nachrichten gründlich zu studieren. Eine Folge seiner Erziehung. Sein Vater, der nie etwas mit ihm als Kind anfangen konnte, kaufte immer den halben Traffic leer, setzte sich mit dem Sohn auf die Bank und sagte: „Es gibt nichts Schöneres“. Und so lasen sie eben die Nachrichten über Gaza. „Ich wollte die Liebe des Vaters haben und habe es ernst genommen.“ Menasse wurde nach der Trennung der Eltern mit vier Jahren zu den Großeltern abgeschoben, mit sieben kam er ins Internat und fühlte sich wie im Gefängnis. „Das Beste, was einem passieren konnte, war, wenn man mal nicht geprügelt wurde.“ 

Robert Menasse.
Robert Menasse.

© Andreas Klaer

Um wenigstens mit dem Kopf rauszukommen, begann er Romane zu lesen. Ein Buch pro Woche durfte man in der Schulbibliothek ausleihen. Also nahm er die dicksten Bücher, wie Dostojewskis „Dämonen“. Und schrieb mit 17 Jahren selbst: kafkaeske Erzählungen, obwohl er von Kafka noch nie etwas gehört hatte. Mit dem berühmten Fußballer-Vater konnte er nicht mithalten. Robert Menasse erntete nur Hohn, wenn er überhaupt mal in der Schulmannschaft aufgestellt wurde. Irgendwann als Erwachsener schloss er Frieden mit dem Vater. „Du warst der berühmte Rechtsaußen im Fußball, ich bin der berühmte Linksaußen der Literatur.“ Und mit einem köstlich-heiteren Stück dieser Literatur aus seinem Erzählband „Ich kann jeder sagen“, die mit einem überraschenden Blick auf die Wiedervereinigung aufwartet, endet der Abend unter den Linden der Villa Jacobs: mit diesem heiteren Depressiven, dem geselligen Autisten, wie er sich selber nennt. Und der sich genüsslich zum Signieren die nächste Zigarette ansteckt.

Eva und Robert Menasse im Hans Otto Theater

Auf die muss er am Sonntagmittag im Hans Otto Theater verzichten. Dort steht der Signiertisch, der nach der vorhergehenden Lesung im großen Theatersaal dicht bedrängt wird, drinnen. Für seine Schwester Eva Menasse stehen etwas weniger an, dabei ist eigentlich sie es, die die Veranstaltung richtig interessant macht. Angeleitet von Marion Braschs kluger Moderation bringt sie eine heftige Leidenschaft auf die Bühne, die im Kontrast zu der – durchaus unterhaltsamen – Behäbigkeit ihres Bruders steht. Auch sie wird nach dem fehlerhaften Zitat aus „Die Hauptstadt“ gefragt, worauf sie aber nicht lange antworten mag. Sicher wäre es besser gewesen, er hätte den Konjunktiv verwandt, statt einen zusammenfassenden Satz als Zitat auszugeben. Aber: „Mein Bruder hat einen Fehler gemacht und sich dafür entschuldigt.“ Das mediale Ausmaß stehe dazu in keinem Verhältnis. Überhaupt beobachte sie die Entwicklung der digitalen Welt mit Skepsis, der noch weitgehend rechtsfreie Raum des Internets erschrecke sie. „Ich sage nicht, wir sollen das Internet abschalten“, betont sie. „Aber wir sollten uns Gedanken darum machen.“ 

Robert und Eva Menasse auf der Bühne des HOT, moderiert von Marion Brasch.
Robert und Eva Menasse auf der Bühne des HOT, moderiert von Marion Brasch.

© Andreas Klaer

Das sagt sie mit Nachdruck, so wie nach Robert Menasses Worten die meisten Pointen in ihrer Familie erzählt werden. Eva Menasse beschreibt das Phänomen als Schreien, ihr Bruder stimmt nur verhalten zu. Über Details seien sie sich oft uneinig, erzählen die Geschwister. „Ich bestehe dann immer darauf, dass meine Version die besser erzählte ist“, sagt Robert Menasse. Als der 16 Jahre ältere Bruder habe er die Schwester ja quasi von der Geburt an ans Schreiben herangeführt, sagt er mit ironischem Unterton.

Tatsächlich näherten sich die beiden aber über das Schreiben an, wie Eva Menasse erzählt: Als sie zehn Jahre alt war, weilte der Bruder in Brasilien und die beiden schrieben sich Briefe. Später empfahl er ihr Bücher, die bis heute zu ihren Lieblingsbüchern gehören, etwa „Murmeljagd“ von Ulrich Becher. Als sie 16 Jahre alt war, kam er aus Brasilien zurück und holte sie von der Schule ab. „Das war ein Moment der totalen Angeberei für mich“, sagt Eva Menasse. Das Verhältnis der beiden ist augenscheinlich gut, dass sie am Sonntag das erste Mal gemeinsam auf einer Bühne auftreten, ist ihnen nicht anzumerken. Trotzdem sei der Schatten ihres Bruders ihr natürlich immer gefolgt. Die nun auch noch gleiche Berufswahl sei aber kein Problem. Ihre Arten zu schreiben seien ganz unterschiedlich. „An der Sprache, am Satzbau merkt man schon, dass wir aus der gleichen Richtung kommen“, sagt Eva Menasse. Aber was sie jeweils daraus machen, sei eben ganz unterschiedlich. Während Robert Menasse immer etwas Exemplarisches schreiben möchte, geht Eva Menasse vor allem von ihren Charakteren aus. „Wenn ich damit irgendwann keine Bücher mehr verkaufe, muss und werde ich mir etwas anderes ausdenken“, sagt sie.

Der Büchermarkt in der Schiffbauergasse.
Der Büchermarkt in der Schiffbauergasse.

© Andreas Klaer

Büchermarkt in der Schiffbauergasse

So wie der Büchertisch vom Literaturladen Wist nach der Veranstaltung bedrängt wird, muss sich Eva Menasse wohl keine Sorgen machen. Auch der Büchermarkt in der Schiffbauergasse, auf dem neben Wist unter anderem die Potsdamer Buchhandlung Viktoriagarten und der Potsdamer vacat Verlag vertreten sind, ist am Sonntag ganz gut besucht. Um die Lesebühne, auf der unter anderem Christine Anlauff und Volker Surmann Texte vortragen versammeln sich am frühen Nachmittag immer wieder Zuhörer. 

Insgesamt wurden laut Veranstalter wie bereits im Vorjahr rund 5000 Besucher bei Lit:Potsdam gezählt. Und war dabei noch ganz aktuell: So kommentierte Robert Menasse am Sonntag den Skandal um das Strache-Video in Wien. Warum das Video nicht bereits vor der Nationalratswahl veröffentlicht wurde? „Die Antwort ist ganz klar: Es war absehbar, dass der Sebastian Kurz Stärkster wird, und er hat vorgehabt, mit den Freiheitlichen gemeinsam eine Koalitionsregierung zu bilden.“ (mit dpa)

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