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Kultur: Der Abgrund hinter den gelben Wimpern

flunker produktionen feiern mit „Das Bestiarium der Emotionen“ Premiere in der Schiffbauergasse

Von Sarah Kugler

Ihren Platz hat sie schon eingenommen: die Liebe. Divenhaft liegt sie auf ihrem samtroten Kanapee, schaukelt leicht im Wind, und für einen Moment sieht es sogar so aus, als würde ihr felliger Fischschwanz ungeduldig hin- und herwippen. Um das zu tun, bräuchte er allerdings eine helfende Hand – denn die seejungfräulich anmutende Diva ist eine Puppe und gehört zum Ensemble flunker produktionen. So nennt sich das mobile Theaterduo aus Teltow Fläming, das am morgigen Samstag mit seiner Produktion „Das Bestiarium der Emotionen“ im Rahmen von „Stadt für eine Nacht“ in der Schiffbauergasse Premiere feiert.

Bespielt wird dabei – passend zum diesjährigen Wasser-Thema – der Tiefe See. Auf einem motorisierten Floß wird die Bühne aufgebaut, die Zuschauer verfolgen das Stück am Samstag von der Seebühne aus, die gegenüber vom Hans Otto Theater liegt. Die Entscheidung, mit ihrer Produktion auf das Wasser zu gehen, hängt vor allem mit dem Wunsch zusammen, die Tradition des Wandertheaters wieder aufleben zu lassen, wie Matthias Ludwig erklärt. Gemeinsam mit Claudia Engel hat er flunker produktionen im Jahr 2004 gegründet, kennengelernt haben sie sich während des Puppenspiel-Studiums an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin. Beide agieren als Darsteller, Texteschreiber, Puppenspieler und -bauer. Denn die Puppen sind wesentlicher Bestandteil der Produktionen. Fast immer werden sie in Stücke eingebunden, für die jeweilige Produktionen werden immer neue Puppen gefertigt. Sowieso schon als mobiles Theater angelegt, soll die Fahrt über Wasser das Ensemble nun noch näher an die Wandertheatertradition zurückführen. „Früher sind die Puppenspieler mit der Postkutsche umher gefahren“, so Ludwig. „Wir wählen eben das Floß.“ Die Reisestrecke bleibt zunächst kurz: Von der Schiffbauergasse geht es am Sonntag zur Freundschaftsinsel, auf der „Das Bestiarium der Emotionen“ noch einmal gespielt wird. Im August gibt es eine Tour von Eberswalde nach Schwedt.

Das Fahren auf dem Wasser bedeutet den Theatermachern aber weitaus mehr als die Annäherung an alte Traditionen, es steht auch symbolisch für das Thema des neuen Stückes. Darin geht es viel um Flüsse, wie Claudia Engel erklärt. Den Fluss von Emotionen vor allem. Aber auch das Ineinanderfließen von Gedanken, Charakteren, Biestern und Menschen. Zunächst scheint alles einfach: Zwei Dompteure – gespielt von Engel und Ludwig – stellen ihre fünf Bestien vor. Alle verkörpern verschiedene Emotionen, vereinen dabei mehrere gleichzeitig, oft solche, die konträr zueinander sind. Die Diva auf ihrem Kanapee ist die Liebe und Selbstliebe. Es ist ihr anzusehen mit dem grazilen Fischkörper, dem glänzenden Fell und einer kleinen Brust, die sie keck nach vorne reckt. Wenn Matthias Ludwig aber die langen gelben Wimpern über den grünen Augen klimpern lässt, kommen ihre anderen Charakterzüge zum Vorschein. Neid etwa. Und auch die Trauer.

Überhaupt lösen die Puppen, die aus Schaumstoff und Stoff bestehen, sofort konträre Gefühle aus. Gruselig sehen sie aus mit den großen, etwas verzerrten Köpfen und den grotesken Körpern, die teilweise nur aus fädengleichen Stofffetzen bestehen. Gleichzeitig erscheinen sie aber niedlich, fast schutzbedürftig. Eine Symbiose aus Mensch und Bestie eben, in der sich schließlich auch die Handlung des Stückes entwickelt. Wenn die Bestien nicht mehr nur mit den Dompteuren interagieren, sondern auch untereinander. Sich befruchten, sich immer weiter in die Gefühle reintreiben, ja, sich manchmal sogar dem Gegenüber überstülpen, wie Claudia Engel es beschreibt. „Sie dürfen Emotionen in einer Intensität ausleben, wie es Menschen nur selten möglich ist“, erklärt sie. Die Art und Weise, wie die Puppen dabei zum Leben erwachen, fasziniere sie selbst immer wieder.

Angetrieben wird diese Lebendigkeit auch von den Liedern, die den „Bestien“ in den Mund gelegt werden. Ausgehend von ihnen habe sich das Stück erst entwickelt, wie Engel erklärt. Die Texte sind selbst geschrieben, die Musik hat Matthias Petzold komponiert. Oft holen sich flunker produktionen Hilfe von außen. Etwa bei der Regie, die diesmal Schauspielerin Andrea Post übernommen hat. Oder auch beim Bühnenbau, den Kulissenbauer Heiko Lehmann konzipiert hat. Mechanische Tricks gibt es dort: etwa ein Rollo und das schwingende Kanapee. Aber auch flatternde Spitzenvorhänge, die das Schauspiel umrahmen – und die klimpernden Augen der selbstliebenden Fischschwanz-Diva noch besser in Szene setzen. Sarah Kugler

„Das Bestiarium der Emotionen“ am Samstag um 18.30 Uhr und 22 Uhr an der Seebühne sowie am Sonntag um 18 Uhr an der Freundschaftsinsel gegenüber vom Barberini. Der Eintritt ist frei

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