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Kultur: Den Nebel von den Dingen nehmen

Neun Themen, neun Bilder: Die PNN begleiten die Ausstellung „Hinter der Maske. Künstler in der DDR“ mit einem Rundgang durch die Themenkreise der Schau. Teil 1 der Serie: Norbert Wagenbrett in „Malerbilder. Der Künstler und seine Rollen“

Mehr Distanz auf weniger Raum könnte kaum sein. Da stehen zwei Männer eng beieinander, fast berühren sie sich. Und doch trennen sie Welten. Das beginnt schon in der Haltung der beiden. Der eine hat die Arme verschränkt, den Körper hält er gerade. Der Blick, der eine Brücke zum Gegenüber sein könnte, ist keine. Er ist ein Taxieren. Ein Blick, der so etwas sagt wie: Was willst du, Wurm? Der andere taxiert ihn zurück. Und er will tatsächlich was. Er hält eine Mischpalette in der Hand, und einen Pinsel. Warte nur, sagen der Blick und die fest geschlossenen Lippen des zweiten Mannes zum ersten: Du entkommst mir nicht.

„Selbstporträt mit Arbeiter“ hat Norbert Wagenbrett das Bild von 1983 genannt, das als Blickfang im ersten Raum der Ausstellung „Hinter der Maske“ im Museum Barberini hängt. Der Mann mit der Palette in der Hand, das ist Norbert Wagenbrett selbst. Oder vielmehr, das war er. Damals, vor über 30 Jahren. Der andere, der „Arbeiter“, war Wagenbretts Ofensetzer. Ein „Jugendbild“ nennt es der 1954 in Leipzig geborene Maler heute. Als es entstand, war er kaum 30, hatte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Arno Rink studiert. Wenig später wurde er Meisterschüler bei Willi Sitte. Ein Bild von Meister Sitte hängt in der Ausstellung nur wenige Schritte entfernt von Wagenbrett. Sitte schaut Wagenbrett mit seinem „Selbst mit Tube und Schutzhelm“ von 1984 gewissermaßen über die Schulter. Bei Sitte sind Arbeiter und Maler zu einer kraftstrotzenden Figur verschmolzen. Bei Wagenbrett stehen sie einander distanziert gegenüber – oder sind vielleicht auch nur zwei Facetten einer Gestalt? Die beiden Männer auf seinem Bild sehen sich verblüffend ähnlich.

„Malerbilder. Der Künstler und seine Rollen“ heißt dieser Raum im Museum Barberini. Dass das Thema der Malerbilder den Auftakt des Rundgangs durch die Kunst aus der DDR bildet, ist kein Zufall. Die Ausstellung will den Künstler und seine Kunst zurück ins Zentrum der Betrachtung von Kunst aus der DDR holen. Sie sucht die kunstgeschichtliche Einordnung der zwischen 1949 und 1989 entstandenen Werke – und nicht, wie in der Vergangenheit geschehen, die politische. Daher der Versuch, sich der Kunst aus der DDR über Gattungsbetrachtungen zu nähern. Selbstporträts gehören zu den ältesten Kunstgattungen überhaupt, schreibt die Kunstwissenschaftlerin Valerie Hortolani im Katalog zur Schau: Seit der Renaissance diene es Künstlerinnen und Künstlern „der physiognomischen Studie und reflexiven Innenschau, der Dokumentation und Stilisierung, der Fiktion und Projektion.“ Sitte, Rink und Wagenbrett sollen jetzt betrachtet werden wie die Alten Meister, wie Cranach, Dürer und Rembrandt. Von Wagenbrett gibt es eine „Fischverkäuferin“ von 1984, ein schon von den flämischen Meistern vielfach variiertes Motiv.

„Was die Malerbilder, die wir hier zeigen, gemeinsam haben ist: Sie lassen sich nicht festlegen“, sagt Valerie Hortolani, die gemeinsam mit Michael Philipp die Ausstellung kuratiert hat. „Sie sind extrem mehrdeutig – und wurden zur Entstehungszeit sicher anders rezipiert als heute.“ An Wagenbretts Bild von 1983 mag sie, dass es sich nicht vollständig erklären lässt. Der Arbeiter auf der linken Seite könnte auch eine Leinwand sein, findet sie. „Aber das ist dem Betrachter überlassen.“ Die scharfe Trennung der beiden Männer wird durch die Bruchkante zwischen hell und dunkel im Hintergrund betont. So kann das Bild aus heutiger Sicht wirken wie eine endgültige Absage an den Bitterfelder Weg. Die 1959 nach einer Konferenz in der Industriestadt Bitterfeld benannte Doktrin besagte, dass Künstler im Arbeiter- und Bauernstaat bevorzugt Arbeiter und Bauern zeigen sollten. Und zwar „in der positiven, ‚der Zukunft zugewandten‘ Auseinandersetzung“, schreibt Valerie Hortolani. Kunst sollte erziehen, Künstler ihre Arbeit in den Dienst des Staates stellen. Von einer positiven Auseinandersetzung ist Wagenbretts Bild weit entfernt. Auch war er damals nicht an der Zukunft interessiert, wie es der Bitterfelder Weg wollte. Und nicht an der Vergangenheit, wie die Älteren, die den Krieg noch selbst erlebt hatten, es wollten. Wagenbrett bezeichnet sich in der Tradition von Otto Dix als Verist. Was ihn 1983 interessierte und 2017 noch immer interessiert: Wie ist es wirklich? Wagenbrett nennt es: den Nebel von den Dingen nehmen.

„Selbstporträt mit Arbeiter“ zeigt, was er Anfang der 1980er Jahre hinter dem Nebel sah: eine gespaltene Gesellschaft. Einen Künstler, der fast verbissen versucht, einen Arbeiter aufs Bild zu bannen. Und einen Arbeiter, den das herzlich wenig zu interessieren scheint. „Kunst hat für die meisten Menschen keine große Bedeutung“, sagt Wagenbrett heute. „Dessen war ich mir als Künstler immer bewusst.“ Wagenbrett begriff seine Bilder immer schon als Gesellschaftsbilder, als Versuche, der Gesellschaft und ihren Menschen unter die Haut zu sehen. Damals wie heute, sagt er, müssen sich Künstler fragen: Will ich in einer Zeit sein oder über eine Zeit hinausgehen? Sein „Selbstporträt mit Arbeiter“ scheint den Test bestanden zu haben. Er hatte das Bild, das zur Sammlung des Brandenburgischen Landesmuseums für moderne Kunst gehört, viele Jahre nicht gesehen. Als er es am Tag der offiziellen Eröffnung von „Hinter der Maske“ dann wiedertraf, war er erleichtert. Er erkennt sich noch.

nbsp;Lena Schneider

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