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Kultur: „Den Blick auf die Gegenwart schärfen“

Lutz Hübner und Sarah Nemitz sind das erfolgreichste Autorenteam der deutschen Gegenwartsdramatik. Für Potsdam schrieben sie das Stück „Abend über Potsdam“ – warum eigentlich?

Frau Nemitz, Herr Hübner, „Abend über Potsdam“ ist das dritte Stück von Ihnen, das in Potsdam zu sehen sein wird – und das erste, das keine Komödie ist. Hört beim Thema Nationalsozialismus der Spaß auf?

HÜBNER: Dass der Humor beim Nationalsozialismus nicht endet, haben zum Beispiel die wunderbaren Stücke von George Tabori bewiesen. Wenn Sarah Nemitz und ich ein neues Thema angehen, ist die erste Frage, welche Geschichte wir erzählen wollen. Wie hoch der Anteil der Komik ist, ergibt sich aus der Geschichte und der Atmosphäre, die sie braucht, um sich zu entfalten. Jede gute Komödie trägt in sich die Möglichkeit einer Tragödie – und umgekehrt.

Das Stück bezieht sich auf ein Bild von Lotte Laserstein aus dem Jahr 1930. Im Stück lernen wir die Malerin und all die, die auf dem Gemälde zu sehen sind, kennen. Wie nah sind die Protagonisten im Stück an den historischen Vorbildern?

NEMITZ: Es gibt zwei Figuren auf dem Bild, deren Identität bekannt ist: Traute Rose, die Muse von Lotte Laserstein, und ihr Mann Ernst Rose. Da haben wir biografisches Material verwendet. Die Geschichten der anderen Figuren sind frei erfunden, wir wollten mit ihnen ein möglichst breites Spektrum der damaligen Gesellschaft abbilden, und wie der Einzelne mit den Zumutungen der Weltwirtschaftskrise 1929/1930 und der daraus folgenden Radikalisierung umgeht.

Ihr Stück spielt zur Entstehungszeit des Gemäldes, zwischen September 1929 und September 1930. Warum die Entscheidung, es im historischen Kontext zu belassen, das Motiv nicht aus heutiger Sicht anzugehen? Das Gemälde zeigt zum Beispiel auch die Garnisonkirche, um deren Wiederaufbau in Potsdam viel gestritten wird.

HÜBNER: Wann ein Stück spielt, ist letztendlich zweitrangig, wichtig ist, dass sein Thema und seine Konflikte etwas mit dem Erfahrungshorizont des Publikums zu tun haben. Das Verhalten der Figuren muss nachvollziehbar sein und den Zuschauer mit der Frage konfrontieren, wie er in einer vergleichbaren Situation reagiert hätte.

NEMITZ: Die Perspektive aus der Vergangenheit kann den Blick auf die Gegenwart schärfen.

HÜBNER: Und für die Garnisonkirche war da leider kein Platz.

Wichtige heutige Themen springen uns natürlich auch so, im historischen Gewand, entgegen: Im Text ist davon die Rede, dass man „die Sorgen des Volkes ernst nehmen“ müsse, womit sich auch die AfD stark macht. Ist das Stück eine Warnung?

HÜBNER: Da man Warnungen unter die Kategorie Botschaft einordnen kann: Nein, das wäre zu simpel. Theater kann Konstellationen zeigen, in denen Menschen aus den unterschiedlichsten Gründen Entscheidungen fällen und wenn das, wie im Stück, dazu führt, dass manche plötzlich Nazi-Gedankengut vertreten, geht es darum, ihre Beweggründe nachvollziehbar zu machen.

NEMITZ: Wobei verstehen natürlich nicht billigen heißt. Die Hoffnung ist einfach, dass man durch eine Sensibilisierung für diese Prozesse einer möglichen Radikalisierung eher entgegentreten kann.

Im Hintergrund spielt im Stück auch die Debatte „gegenständlich malen oder nicht“ eine Rolle. Lotte Laserstein vertritt im Stück eher eine pragmatische Position. Auch Sie, der große Geschichtenerzähler der Gegenwartsdramatik, haben keine Scheu vor dem Titel „Gebrauchsdramatik“. Wie nah ist Ihnen die künstlerische Position von Lotte Laserstein?

HÜBNER: Ich weiß nicht, ob Lasersteins Position pragmatisch ist, ich denke, sie erschafft das, was sie erschaffen will und es ist ihr egal, ob sie damit die Speerspitze der Avantgarde ist oder nicht. Welches Label man verpasst bekommt, ist für die konkrete Arbeit nicht wichtig.

NEMITZ: Natürlich gibt es in allen künstlerischen Disziplinen handwerkliche Regeln, die man be- oder missachten kann. Sich Regeln aufzuerlegen und mit diesen zu spielen, ist für mich ein Wesenszug des kreativen Prozesses, das hat aber nichts mit Pragmatismus zu tun.

HÜBNER: Davon abgesehen ist ein Theaterstück ein Gebrauchsgegenstand, es wird dazu verwendet, mit Schauspielern eine Geschichte auf der Bühne zu erzählen.

Die Fragen stellte Lena Schneider

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