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Kultur: Dem Quartett fehlte es noch an Polemik

„Literaturgespräche“: Auftakt im „Kellermann“

Es war schon gewagt von der Friedrich-Ebert-Stiftung, das berühmte Fernsehformat des literarischen Quartetts aus dem flimmernden Rechteck auf die Bühne der Villa Kellermann zu holen. Aber bekanntlich gewinnt ja der, der wagt. Proppenvoll war der Saal mit Blick auf den Heiligen See, und spätestens jetzt hat sich die Villa im letzten Jahr ihrer öffentlichen Zugänglichkeit als Kulturort etabliert.

Die vier Diskutanten der kameralosen Potsdamer Variante des beliebten Streitgesprächs sollten sich zwar nicht über literarische Ergüsse, sondern über politische Literatur in die Haare bekommen, und das war dann auch eines der Handicaps des von der Sendung inspirierten Live-Ereignisses. Brav, zu brav im Vergleich zum großen Bruder waren die Teilnehmer dieser ersten Runde, denn nur selten gerieten sie miteinander in Streit. Da konnte der gleichzeitig als Moderator und Teilnehmer fungierende Jens Schneider noch so sehr auf die Unterschiedlichkeit der Standpunkte pochen, richtig in Harnisch geraten wollten die Sprecher für eine politische Literatur nur selten.

Dabei waren sie oppositionell besetzt: auf der vom Publikum aus rechten Seite saß der Publizist Alexander Gauland, Mitglied der CDU, wie er mehrmals betonte – und er sollte mit seinem Buchvorschlag auch der einzige bleiben, der die anderen allesamt gegen sich respektive seinen Autoren Udo Di Fabio aufbrachte. Am anderen Ende des Tisches hatte Klaus Ness Platz genommen, langjähriger Geschäftsführer der SPD in Brandenburg und jetzt mit dem Titel „Abteilungsleiter im Willy-Brandt-Haus“ etwas verschwommen vorgestellt, aber die große Koalition hörte man ganz schön trapsen. In der Mitte Jens Schneider von der Süddeutschen Zeitung und die eigentlich bekannt streitbare Galeristin Ute Samtleben. Ness begann die Buchpräsentation mit Jens Biskys Publikation zur deutschen Einheit, worin der Autor die 1200-Milliarden-teuren Transfer-Bemühungen samt und sonders als gescheitert erklärt und dafür plädiert, dass im Osten einige Gegenden sozialverträglich schrumpfen sollten. Zur Überraschung des Moderators gingen eigentlich alle mit Biskys Thesen konform. Zwar fand Ute Samtleben seine Art zu schreiben „nassforsch“, aber die Spaßbäder als Symbol für die Ratlosigkeit angesichts des ostdeutschen Untergangs so schön, dass sie sie gleich zitierte.

Nach einer halben Stunde hin und her stellte sie nun den Sammelband „Alles nur Theater?“ vor, nahm sich selbst gleich gegen die Autoren – „alle in der CDU“ – ein, aber empfand immerhin einen darin gedruckten Satz erwähnenswert, der in etwa lautete, dass nicht alles Kunst sei, was sich nicht finanziere. Klaus Ness outete sich als opernstreichwilliger Politiker, der der FDP zutraue, sich die Opernkarten auch ohne Subventionen leisten zu können. Da erhielt er Gegenrede von Alexander Gauland, der den erzkonservativen Udo di Fabio empfahl, der wiederum die Dreikindfamilie liebt, die Homosexuellenehe ablehnt und die 68er Generation für den Werteverfall unserer Gesellschaft verantwortlich macht. Da war es schön, zu erleben, wie die drei anderen in tatsächliche Gegenrede verfielen und sich ein wenig der sozialen Diskrepanzen endlich auch im Diskurs entluden. Doch kurz nur währte diese Freude des Zuhörers, dem mit dem Titel „Beten im Oval Office“ das Werk von Barbara Victor präsentiert wurde, das zwar eine seltsame Eigenschaft der US-amerikanischen Gesellschaft aufzeigt, aber noch nicht einmal vom vorschlagenden Jens Schneider zur Lektüre empfohlen wurde.

Weiteren solcher eigentlich sinnvoller Gespräche wünscht man die Elemente, über die ihr Vorbild zur Genüge verfügte: pointierte Polemik, Schwärmerei, Leidenschaft und ein kürzeres Zeitbudget.

Lore Bardens

Lore Bardens

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