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Axel Sichrovsky. Der Schauspieler aus Österreich war von 2012 bis 2014 am Hans Otto Theater engagiert. Er wirkte hier in sieben Inszenierungen mit.

© Tim Dobrovolny/promo

Debatte am Hans Otto Theater Potsdam: „Der Zuschauer spürt die Haltung“

Schauspieler Axel Sichrovsky hatte mit anderen Ensemble-Mitgliedern des Hans Otto Theaters einen Protestbrief an den Intendanten Tobias Wellemeyer geschrieben. Im PNN-Interview spricht Sichrovsky über die Debatte - und die Gründe für den Brief.

Herr Sichrovsky, ein Zeitungsbericht erhebt Vorwürfe gegen das Hans Otto Theater. Es geht dabei auch um Sie: Sie sollen infolge eines Protestbriefs des Ensembles an den Intendanten Tobias Wellemeyer, den Sie mitinitiiert haben, gekündigt worden sein. Stimmt das?

Mir ist sehr daran gelegen, ein differenzierteres Bild der Vorgänge zu zeichnen. Wie meistens ist es auch hier nicht schwarz oder weiß. Außerdem interessieren mich mittlerweile mehr die allgemeinen strukturellen Fragen, die an den Vorgängen um den Ensemble-Brief damals sichtbar wurden.

Der Brief entstand aus der Arbeit an einem von Wellemeyer inszenierten Stücks heraus – „Komödie der Verführung“. Was ist vorgefallen?

Es gab diesen großen Unmut, weil sich in dieser Inszenierung etwas manifestiert hat, was damals ein grundsätzliches Gefühl im Ensemble war; weil es kaum Kommunikation zwischen Ensemble und Leitung gab, keine wirkliche Kultur der Auseinandersetzung. Und weil Kritik und Anregungen vonseiten der Schauspieler innerhalb der Proben und auch außerhalb oft harsch abgebügelt wurden. Viele Kollegen hatten nicht das Gefühl, dass sie als kreative, mitgestaltende Künstler gefragt sind, die ihre Persönlichkeiten und ihre Sicht auf die Welt einbringen können oder sollen. Dieses Problem ist nicht typisch für das HOT, das hört man immer wieder von Kollegen aus anderen Theatern. Der ganze Frust darüber wurde damals jedoch nur durch Lästern in der Garderobe ausgedrückt. Das war unerträglich und entwürdigend für uns. So entziehen sich ja auch die Schauspieler ihrer Verantwortung für eine Auseinandersetzung. Daraus entstand dann in einer Ensemble-Versammlung die Idee mit dem Brief.

Wie hat Wellemeyer reagiert?

Wir haben wirklich lange an dem Brief gefeilt, ihn fünfmal überarbeitet, wir wollten unbedingt, dass das konstruktiv verstanden wird. Wir wollten in einen Dialog eintreten. Und dann gab es keine Stellungnahme, keine Reaktion, nichts. Ich hätte auch verstanden, wenn Herr Wellemeyer das Ensemble zusammentrommelt und seinen Unmut über den Brief kundgetan hätte, uns aber die Möglichkeit gegeben hätte, unsere Sicht der Dinge offen und ehrlich ohne Angst um negative Folgen kundzutun. Immerhin hatten drei Viertel seines Ensembles einen Wunsch, ein Bedürfnis an ihn gerichtet.

Er soll dann aber Einzelne in sein Büro gebeten und mit Kündigungen gedroht haben. Ist das Wellemeyers Führungsstil?

Nein, so einfach ist es nicht. Das ist sehr ambivalent. Herr Wellemeyer hat ein starkes Bedürfnis nach Relevanz, nach Öffnung, nach einem gesellschaftspolitischen Dialog nach außen hin. Es ist ja kein Zufall, dass er Christopher Hanf als Dramaturgen geholt hat, der Tag und Nacht in einer bewundernswerten Weise genau für diese gesellschaftliche Öffnung arbeitet. Und wenn man alleine, mit privaten Sorgen zu Herrn Wellemeyer kommt, hat er immer ein offenes Ohr und versucht wirklich auf persönliche Probleme einzugehen.

Aber?

Aber da ist dieses massive Misstrauen Gruppen gegenüber, die sich kritisch äußern. Da wird ganz schnell ein Putsch oder eine Revolution gesehen, wo es nur um den Willen, mehr einbezogen zu werden, geht. Auch das ist nicht potsdam-spezifisch. Ähnliche Konflikte werden mir auch von anderen Häusern berichtet, da äußert sich wohl eine grundsätzliche Spannung im heutigen Stadttheater-Betrieb.

Wie meinen Sie das?

Uns ging es mit dem Brief darum, eingebunden zu werden in die Konzeption des Hauses, die Spielpläne. Auch die Frage: Welches Profil wollen wir als Haus haben? Das war – und ist – ja eine ganz allgemeine Tendenz auch in der Gesellschaft.

Sie meinen die Bürgerinitiativen in Potsdam, die auch am Aussehen, an der Gestaltung ihrer Stadt beteiligt sein wollen?

Ja, oder auch – signifikant und nur ein paar Hundert Meter vom HOT entfernt – das Hasso-Plattner-Institut, an dem es den Design Thinking Campus gibt, der sich mit progressiven Möglichkeiten ganz flacher Hierarchien beschäftigt.

Womit Kreativität gefördert werden soll.

Genau, und darum geht es. Das sollte doch auch im ureigensten Interesse eines Theaters liegen. Diese Fremdbestimmtheit – dass man als kreativer Künstler nie auch nur gefragt wird, welche Themen man zurzeit für relevant hält, für welche Positionen man sich einsetzen möchte. Das ist, meiner Meinung nach, einfach nicht mehr zeitgemäß.

Zumal bei einer Profession, die viel Einsatz und Herzblut erfordert.

Das war auch eine der Hauptthesen in dem Brief: Ein Ensemble, das politisch und gesellschaftlich relevant sein will, ist nur glaubhaft, wenn es einbezogen wird. Ich leide als Zuschauer im Stadttheater oft genau unter diesem Gefühl: Dass da auf der sprachlichen Ebene höchst aktuelle Themen verhandelt werden wie Bürgerrechte und Freiheit – das aber so übergestülpt wirkt.

Ihre De-facto-Kündigung geschah kurz nachdem das Ensemble den Brief, in dem bessere, offenere Kommunikation im Haus gefordert wurde, übergeben hatte?

Einige Wochen danach, ja. Ich möchte mich aber dazu nicht mehr ausführlicher äußern.

Ist das Theater in Potsdam zu groß? Hat es zu wenig Profil? Woran krankt es – die Auslastung könnte mit rund 60 Prozent schließlich besser sein.

Ich sehe mich nicht imstande, das wirklich zu analysieren. Ich spüre nur eben seit vielen Jahren und nicht nur am HOT diese Diskrepanz zwischen dem Anspruch, den das Theater heute nach außen hin formuliert, und der innerbetrieblichen Struktur. Es genügt nicht, einen Stoff zu nehmen, dessen Inhalt wichtig und relevant ist. Die ganze Struktur des Hauses, die Machart, die ästhetische Form – das alles muss es auch sein, auch das muss an die heutige Zeit angebunden sein. Es funktioniert einfach nicht, wenn ein Haus innen höchst feudal aufgebaut ist und das Prinzip offene Gesellschaft nur nach außen lebt.

Das Publikum merkt das sonst?

Ja, sonst überträgt sich der Geist nicht, der Funke springt einfach nicht über, auch nicht der Funke des politischen Engagements. Der Zuschauer hört ja nicht nur, dass da hehre Sätze von Schiller über Gedankenfreiheit gesprochen werden, es geht auch darum, dass er spürt, dass die Schauspieler davon beseelt sind. Das wird ihnen aber durch viele Umstände erschwert. Zu einer wirklich starken Position kommt man nur über Auseinandersetzung. Eine Meinung, eine Haltung wird nur Kraft haben, wenn sie durch Diskurs und Widerspruch und Hinterfragen entstanden ist. Und wenn sie gelebt wird und nicht aufgesetzt wird wie ein Hut.

Die Arbeitsstruktur wirkt ins Künstlerische hinein?

Ja, ich habe aber den Eindruck, dass sich in Potsdam schon Dinge zum Positiven verändern. Das Verhältnis zwischen Leitung und Ensemble ist zurzeit sicher besser, als es damals vor dem Brief war. Wie ich gehört habe, ist Herr Wellemeyer zur ersten bundesweiten Ensemble-Versammlung gereist, auch ein deutliches Zeichen, finde ich. Vielleicht hat also der Brief und mehr noch die Auseinandersetzungen drumherum doch einen Anstoß gegeben.

Das Gespräch führte Ariane Lemme

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