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Schöner speisen. Lettrés „Tafel-Besteck der Reichs-Hauptstadt“ von 1928.

© Grisebach

Kultur: Das Silber der Goldenen Zwanziger

Der Nachlass von Emil Lettré wird versteigert

Als Kronprinz Wilhelm und Cecilie am 6. Juni 1905 heirateten, war ein wichtiges Hochzeitsgeschenk noch nicht fertig: das Kronprinzensilber. Immerhin war das Gemeinschaftsgeschenk der preußischen Städte bereits bestellt. Einer der damit beauftragten Künstler war der Goldschmied Emil Lettré aus Hanau. 1905 kam der Ruf nach Berlin, 1907 wurde er offiziell zum Entwerfer des Tafelsilbers bestimmt, von dem das Kronprinzenpaar und seine Gäste im Potsdamer Schloss Cecilienhof speisen sollten. Aber Lettré war Künstler, und der Künstler in ihm verbat sich die permanente Einmischung der Geschenke-Kommission. 1911 beendete er seine Mitarbeit an dem Projekt. Das Hochzeitsgeschenk, 2500 Teile, wurde ohnehin erst viel später fertig. Da befand sich die Monarchie bereits in Auflösung. Wilhelm und Victoria sollen nie davon gegessen haben und das Geschirr gelangte in den Besitz der Stadt Berlin.

Jetzt gibt es Gelegenheit, Tafelsilber von Lettré, das ganz dem königlichen Geschirr nachempfunden ist, für den Hausgebrauch zu erwerben. Das Auktionshaus Villa Grisebach versteigert im Rahmen seiner Herbstauktion unter anderem den umfänglichen Nachlass von Emil Lettré. Zahlreiche Stücke, Schmuck, Geschirr und Dekorationsgegenstände, konnte das Haus Grisebach nach einer aufwendigen Recherche zusammentragen zu einer Ausstellung, wie es sie bisher nicht gab – und vermutlich auch nie wieder geben wird. „Die Schmuckstücke gehen danach in alle Welt, der schriftliche Nachlass an das Goldschmiedehaus in Hanau“, sagt Stefan Körner, Kunsthistoriker bei Grisebach.

Das Thema Lettré passe wunderbar in die heutige Zeit, sagt Körner. Gerade wurde die Serie Babylon Berlin über die wilden Goldenen Zwanziger gedreht. Lettré sei damals mitten drin gewesen. Er hatte ein gut gehendes Geschäft in der Straße Unter den Linden. Bei ihm kauften Künstler, Rilke, Liebermann und Hauptmann, und auch die Ufa-Stars aus Babelsberg gehörten zu seinen Kunden.

Für Wilhelm II. fertigte Lettré immerhin Silberpokale für dessen Segelfahrten auf der Kieler Woche, die in der Matrosenstation Kongsnæs starteten. Mehrmals besuchte Wilhelm seinen Goldschmied in dessen Berliner Wohnung im vornehmen Westend. Wo es rauschende Partys gegeben haben muss. Der Krieg setzte dem ein Ende. Geschäft und Werkstatt Unter den Linden wurden noch 1945 bei einem Bombenangriff zerstört. Lettré soll laut Körner eigenhändig im Schutt nach den Resten seiner Kunstwerke gegraben haben. Was er dort noch fand, war alles, was ihm blieb – nie wieder war er so produktiv. Nach dem Krieg gab es kein Material. Lediglich einige Bären-Medaillen für die Berliner Filmfestspiele habe er später entworfen. 1954 verstarb Lettré in Berlin. Die Stücke aus seinem Nachlass gingen an Familienmitglieder in ganz Deutschland. In mühevoller Kleinarbeit hat Körner sie jetzt zusammengetragen. Aus Briefen und Akten kamen die Geschichten dazu ans Licht. Auch Skurriles: So habe Lettré damals unter anderem ein goldenes Röhrchen zum Kokain-Schnupfen gefertigt.

Heute begeistert sich beispielsweise der in Potsdam lebende Dirigent Christian Thielemann für Lettrés Kunst. Er sei leider viel zu wenig bekannt. „Heute würde man ihn als großen Designer feiern“, sagte Thielemann den PNN. Sein Stil zwischen Bauhaus und Art déco traf den Zeitgeist der 20er- und 30er-Jahre. Lettré bediente sich beim Klassizismus, vor allem bei Schinkel, aber auch bei der englischen Landhauskunst. Er entwarf elegante, glatte und klare Linien mit klassischen und antiken Einsprengseln. Schmuckstücke mit einem zurückgenommenen Schick, die heute noch und wieder absolut tragbar wären. Er werde mitbieten bei der Auktion, sagte Thielemann, die Manschettenknöpfe seien sehr interessant. Der Dirigent läge hier mit Rilke d’accord. Auch der Dichter trug damals Lettré am Handgelenk. S. Pyanoe

Ausstellung zu sehen in der Fasanenstraße 25 in Berlin bis zur Auktion am 30. November

S. Pyanoe

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