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Kultur: Das Schweigen

Klaus Stanjeks Film „Klänge des Verschweigens“

„Das wird abgehakt“, sagt die alte Dame, „wie alle anderen Sachen auch“. Spätestens hier stockte einem als Zuschauer des Dokumentarfilmes „Klänge des Verschweigens“ von Klaus Stanjek, der am Mittwoch im Thalia-Kino seine Premiere feierte, der Atem. Denn die alte Dame, die Klaus Stanjeks Tante Inge ist, hatte soeben davon gesprochen, wie Stanjeks Familie mit der Homosexualität und der KZ-Lagerhaft seines Onkels Willi Heckmann mehr als 40 Jahre lang umgegangen ist.

Klaus Stanjek, seit 1993 Professor für Dokumentarfilmregie an der Babelsberger Filmhochschule, hatte auf der Feier des 90. Geburtstags seines Onkels, durch einen Nebensatz zum ersten Mal davon erfahren. Seit dieser Zeit treiben ihn die Verdrängungsmechanismen seiner Familie schmerzhaft um. Mit nichts als zahlreichen Familienfotos und den eigenen überaus positiven Erinnerungen an den Onkel ausgerüstet, begann Stanjek seine akribische Spurensuche, die ihn über zehn Jahre lang in unzählige Archive, an frühere Lebensstationen des Onkels und ins KZ Mauthausen führte. Doch bevor er so nach außen ging, versuchte er die eigene Familie zum Reden zu bringen und fragte vor allem seine Mutter sowie Tanten und Cousinen nach dem geliebten Onkel Willi. Und diese alten Damen, sie sind inzwischen alle verstorben, sitzen vor der Kamera und dokumentieren unfreiwillig pur die Verdrängungsmechanismen der deutschen Nachkriegsgesellschaft.

Diejenigen, die die fürchterlichen Erinnerungen mit sich herumschleppten, bauten, um zu überleben, eine Mauer um sich und ihre Erlebnisse. Durch irgendetwas oder irgendwen wurden ihre Erinnerungen irgendwann angerührt, doch in dem Moment, wo sie etwas sagen wollten, trafen sie auf die nächste Mauer – die Mauer derer, die nichts hören wollten. Bei einem doppelten Tabu – wie bei Willi Heckmann das der Homosexualität und der Lagerhaft – griffen solche Mechanismen anscheinend noch viel tiefgreifender.

Klaus Stanjek ist mit „Klänge des Verschweigens“ ein ungemein berührender Dokumentarfilm gelungen. Das liegt daran, dass er nicht der nur von außen beobachtende Dokumentarist ist, sondern seine persönliche Berührung und Erschütterung nachvollziehbar werden. Der Zuschauer kann ihm dabei nicht nur einmal direkt ins Gesicht sehen. Und er kann die ungebrochene Liebe des Neffen spüren, wenn Klaus Stanjek mit animierten Schwarz-Weiß-Fotos einige sehr persönliche Kindheitserinnerungen filmisch nachstellt. Stanjek setzt mit dem Film sowohl seinem Onkel Willi ein liebevoll-persönliches Denkmal, er wirft aber auch gerade die Fragen auf, die wohl erst die Nachgeborenen so direkt stellen können.

Das Publikum im fast bis auf den letzten Platz besetzten Thalia-Kino bescheinigte dem Regisseur in der sich anschließenden Diskussion großen Mut, sich persönlich so weit zu öffnen. Besonders hervorgehoben wurde neben den animierten Fotos auch die auditive Qualität des 90-minütigen Streifens, in dem neben unterschiedlichsten O-Tönen auch musikalische Kostproben aus dem Repertoire von Willi Heckmann zu hören sind.

Knut Elstermann, der das Gespräch mit Stanjek, der Historikerin Almuth Püschel und Alexander Zinn, der unter anderem über Homosexualität im Dritten Reich publizierte, moderierte, stellte am Ende die Frage nach der Zukunft dieses Filmes. Klaus Stanjek will mit ihm Aufklärung und Bildungsarbeit auch im Hinblick auf vergleichbare Tabus leisten und konnte schon von einer ersten erfolgreichen Veranstaltung mit Stuttgarter Jugendlichen berichten. Astrid Priebs-Tröger

Astrid Priebs-Tröger

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