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Paula E. Paul und Sirko Knüpfer bilden das Künstlerduo „Kombinat“. 

© Sirko Knüpfer

Das Potsdamer Tanzduo "Kombinat" feiert zehnjähriges Bestehen: Die Zukunft liegt noch in der Schwebe

Aus dem Rechenzentrum ist das Künstlerduo "Kombinat" aus Protest gegen die hohen Mieten ausgezogen. Dieses Jahr feiern Paula E. Paul und Sirko Knüpfer ihr zehnjähriges Künstler-Bestehen und arbeiten bereits an einem neuen Projekt. 

Potsdam - Gern wären Paula E. Paul und Sirko Knüpfer länger geblieben: dort im Rechenzentrum. Doch nach knapp zwei Jahren zogen sie im September 2018 wieder aus. Sie sind nach wie vor „Pro Rechenzentrum“ eingestellt, sagen sie im PNN-Gespräch, das nun in ihrem geräumigen Homeoffice nahe des Potsdamer Stadthauses stattfindet. Doch sie haben sich entschieden, den neuen Mietvertrag nicht zu unterschreiben.

2006 lernten sich die Choreografin Paula E. Paul und der Medienkünstler Sirko Knüpfer kennen. Drei Jahre später gründeten sie ihr Künstlerkollektiv „Kombinat“, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert. Und das, wie der Name sagt, Tanz und Film miteinander kombiniert. Dieser ist also abgeleitet von „Kombination“ und trotzdem eine Reminiszenz an die ostdeutschen Wurzeln der beiden: In der DDR bezeichnete man den Zusammenschluss mehrerer Firmen als Kombinat. Von Anfang an war dem Duo klar, dass Tanz und Film wie in einer guten Beziehung gleichberechtigt nebeneinander existieren und sich gegenseitig zum Leuchten bringen.

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Zu hohe Mieten im Rechenzentrum

Seit seiner Gründung hat „Kombinat“ alle zwei bis drei Jahre seinen Produktionsstandort gewechselt. Nach Stationen im Künstlerhaus Puschkin und im Kulturzentrum Freiland folgte 2016 das Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum in der Potsdamer Innenstadt.

Denn die Stadt startete das Projekt Kunst- und Kreativhaus Rechenzentrum 2015 als „Experiment“ in einem Objekt, das damals wie heute auf der Abrissliste steht, und sie lädt die aufgelaufenen Mehrkosten dieses Versuchs – so sehen es jedenfalls Paula E. Paul und Sirko Knüpfer – jetzt denen auf, die im Rechenzentrum bis 2023 arbeiten wollen. Während bis Mitte 2018 Quadratmetermieten von sieben Euro gefordert wurden, sind es inzwischen 9,95 Euro für Räume in einem Gebäude, das in den nächsten fünf Jahren wohl keine Investitionen in die Infrastruktur tätigen wird.

Raumprobleme von Künstlern

Die Nutzung der Abrissimmobilie durch Künstler und Kreativschaffende werte den Kulturstandort Potsdam insgesamt zwar auf, doch die Kosten dafür werde den Einzelnen in Rechnung gestellt. Einige rückten enger zusammen, doch die Kombinat-Künstler verweigern sich mit ihrem Auszug diesem Ansinnen und der überall herrschenden „Immobilienlogik“. Beide erinnern sich noch gut an die Zeit, als Kreative leerstehende Häuser besetzten und diese mit neuem Leben erfüllten. So sind auch die fabrik – Paula E. Paul gehörte von Anfang an dazu – und das heutige Kulturquartier in den 1990er Jahren in der Schiffbauergasse entstanden. Heutzutage sei so etwas nicht mehr möglich und die, die es tun, werden kriminalisiert, sagt die Tänzerin und Choreografin auch im Hinblick auf die 2018 versuchte Besetzung der inzwischen abgerissenen Fachhochschule am Alten Markt.

Kunst ist ein Dialog

Kunst ist für beide ein Angebot für einen (nicht-kommerziellen) Dialog. Sie brauche die Förderung ihres kreativen Entstehungsprozesses und neben den inneren auch äußere Freiräume. Die Kombinat-Künstler haben in den vergangenen zehn Jahren über 20 solcher künstlerischen Dialog-Angebote gemacht. Da waren von 2006 bis 2009 ihre „Choreografischen Bilder im Feld“, 2014 ihr „Grand Jeté“ und vor zwei Jahren das Doppelprojekt „Druck“ und „ÜBER_DRUCK“. Bis vor kurzem war auch im Foyer des Hans Otto Theaters die Installation „kurz davor“ zu erleben. Darüber hinaus entstanden mehr als 13 Produktionen mit Kindern und Jugendlichen im Kombinat eigenen „Tanzlabor“. Allen gemeinsam ist, dass sie Themen behandeln, die die beiden Künstler – die auch privat ein Paar sind – umtreiben.

Wie auch ihr aktuelles Vorhaben, das den Arbeitstitel „Lost in formation“ trägt und vom Brandenburger Kulturministerium gefördert wird. Die Premiere ist am 4. Oktober 2019 geplant. Diese neue Produktion untersucht Muster im Verhalten, in der Wahrnehmung und im Lauf der Dinge. Sie verbindet drei verschiedene Tempi zu einem Bühnenstück: menschliche Bewegung, filmisch erzählte Zeit und die extreme Langsamkeit schleichender Prozesse.

Alles ist noch in der Schwebe

Paula E. Paul und Sirko Knüpfer stellen mit dieser formalen Grundidee Bezüge zu aktuellen Themen her: Überall tauchen – scheinbar aus dem Nichts – Tendenzen und Strömungen auf, die überwunden geglaubt waren. Extrem langsame Entwicklungsgeschwindigkeiten rücken wesentliche Veränderungen aus dem Fokus. Analog dazu überblenden Muster – beispielsweise im kollektiven Verhalten – subjektive Haltungen und Motive. Im prägnanten Bild der Formation geht der Einzelne unter: Lost in formation. Dieses Phänomen gehöre mit dem Blick auf Big Data, den Hochgeschwindigkeitshandel, Data-Mining und gezielter Manipulation zu den gegenwärtigen Themen einer immer komplexer werdenden Gegenwart, so die Künstler.

Kombinat will dies ohne Text, nur mit den Mitteln zeitgenössischen Tanzes, mit filmischen Bildern und der Magie des Theaters erzählen. Noch sind Paula E. Paul und Sirko Knüpfer jedoch damit beschäftigt, weitere Förderanträge zu stellen. Denn das Brandenburger Kulturministerium bewilligte zwar ihr crossmediales Projekt, jedoch nur in Höhe von 60 Prozent der beantragten Summe. Das Ganze befindet sich also, genauso wie ihre räumliche Arbeitssituation, noch in der Schwebe. Doch wenn man diesen Schwebe-Zustand als einen produktiven versteht, weiß man, dass die beiden Künstler auch hier jede Menge Kreativität und subtilen Humor entfalten werden.

Astrid Priebs-Tröger

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