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Kindheitserinnerungen. Die Zeichnungen von Sabine Moritz im Kunsthaus „sans titre“.

©  Andreas Klaer

Kultur: Das Nashorn ist verschwunden

Das Kunsthaus „sans titre“ zeigt 78 Zeichnungen der Malerin Sabine Moritz

78 Zeichnungen von Sabine Moritz reihen sich im Kunsthaus „sans titre“ aneinander. Als sie angefangen hat, Bilder zutage zu fördern, die in ihrem Gedächtnis geschlummert haben, dauert es lange, bis sie den Stift wieder aus der Hand legt. Wohnblocks, Fensterreihen von Plattenbauten, leere Straßen, karge, in Beton gegossene Spielplatzarchitektur zeigt die Ausstellung. Zwei Wochen sind die Bilder zu sehen. Entstanden sind sie vor zwanzig Jahren an der Kunsthochschule in Offenbach.

Es sind Ansichten aus dem Stadtteil Lobeda bei Jena. Von 1973 bis 1981 hat Sabine Moritz in Lobeda gelebt. Auch Mikos Meininger, einer der Künstler aus dem Projekthaus „sans titre“, hat in Lobeda seine erste eigene Wohnung bezogen. „Ich wohnte ein paar Jahre später nur einige hundert Meter weiter als Sabine. Eine der Zeichnungen von ihr ist genau der Blick, den meine Mutter aus dem Büro ihrer Arbeitsstelle auf die Häuser hatte“, erinnert sich Meininger. Bei einem gemeinsamen Freund sah er den Bildband mit den gezeichneten Stadtansichten. Der Kölner Buchhändler Walther König hatte die Blätter der 42 Jahre alten Künstlerin bereits in einem Buch mit geringer Auflage, das vergriffen ist, verlegt. Meininger lud die Kölnerin nach Potsdam ein. Bei beiden evozieren die Bilder Erinnerungen an eine Vergangenheit, die es so nicht mehr gibt. „Als ich mit den Zeichnungen in Offenbach an der Kunsthochschule begonnen habe, lag das alles weit hinter mir. Aber als ich einmal angefangen hatte, fiel mir immer mehr ein“, beschreibt die Künstlerin den Schaffensprozess. Bei einem Besuch in ihrem Atelier entdeckten der Kurator Hans Ulbrich Obrist und der Verleger die Blätter, so entstand das Buch. Mitstudenten hätten das Sujet vor 20 Jahren eher skurril gefunden, erinnert sich Sabine Moritz. Heute haben die Erinnerung für sie einen „bittersüßen Beigeschmack“.

Auffällig ist der Detailreichtum der schwarz-weißen Blätter. Wäsche flattert im Wind, Gras auf den Mittelstreifen der Fahrbahn ist angedeutet, die Stöpsel eines Erlenmeyerkolbens sind ordentlich in die Glasflasche gestopft. Ein wenig muten die Bilder an wie Kinderzeichnungen. Das liegt vielleicht auch daran, dass sich die Künstlerin in eine Zeit zurück versetzt hat, als sie tatsächlich noch ein Kind war. Im Alter von elf Jahren zog sie mit ihren Eltern nach Jena. Ihr Vater war Chemiker. Noch vor dem Mauerfall 1985 verließ sie die DDR. Ab 1989 studierte Sabine Moritz an der Kunsthochschule, zunächst in Offenbach, dann in Düsseldorf. Dort begann sie ihr Studium in der Klasse von Markus Lüpertz. Sie wechselte dann zu Gerhard Richter, ihrem späteren Ehemann, mit dem sie mehrere Kinder hat.

Die Bilder im Kunsthaus sind nicht entsprechend ihrer chronologischen Entstehung gehängt, sondern zu thematischen Gruppen zusammen gestellt: Innenräume mit Möbeln, Stadtansichten, Gerätschaften im Chemielabor. Sie habe die Leichtigkeit und den Charakter der Flüchtigkeit der Erinnerung erhalten wollen, sagt Moritz, darum habe sie keine farbigen Stifte verwendet. „Die Bilder sind für mich wie Fotografien, die aus der Gegenwart in die Vergangenheit zurückreichen, wie ein Tagebuch“. Die meisten Bilder sind aus einer auffälligen Perspektive heraus gemalt, aus einer Aufsicht. Das erkläre sich vielleicht daraus, dass Lobeda von Bergen umgeben sei, in denen sie gewandert ist, sagt Sabine Moritz:„ Es war als ob ich mich im Kreis bewege und herab sehe“. Warum allerdings keine Menschen oder Tiere auf den Bildern zu sehen sind, kann sie nicht wirklich erklären, vielleicht liege es aber daran, dass mittlerweile viele der ehemaligen Bewohner weg gezogen seien. Nahe gelegen hätte es, ihren Dackel zu zeichnen, meint die Künstlerin, aber: „Dackel sind nicht besonders passend für Bilder“.

Als sich die Zeichnungsserie immer weiter entwickelte, suchte sie den Ort der Erinnerung Anfang der 90er Jahre noch einmal auf und machte dort Fotos. Nach denen malte sie Ölbilder der Häuserblocks, die zu der Zeit noch in dem Ortsteil standen. Bei einem erneuten Besuch stellte sie fest, dass die Stadtverwaltung mittlerweile damit begonnen hatte, Teile der Plattenbausiedlung abzureißen. „Das Haus in dem ich aufgewachsen bin, gibt es nicht mehr. Auch nicht das Nashorn, das auf einem der Bilder zu sehen ist und bei dem ich gespielt habe.“

In einem möglichen weiteren Buch sollen dann auch Menschen und Farben eine Rolle spielen. Dort interessieren sie Zwischenstadien, aus denen etwas neues entsteht, wie auch in ihrem letzten Bildband mit dem Titel „Limbo“, in dem Kriegsgerät und Häuserblocks zu sehen sind. Die Zeichnungen seien eine Ausnahme in ihrem Werk. Sie denke nicht wehmütig an ihre Kindheit, von der mit dem Abriss der Plattenbauten auch ein Stück verschwunden ist. „Das war wie ein Schlusspunkt“, sagt Sabine Moritz.

Noch bis zum 11. September im Kunsthaus „sans titre“, Französische Straße 18, donnerstags bis sonntags, 14 bis 18 Uhr

Richard Rabensaat

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