zum Hauptinhalt

Kultur: Das hohe Gut des Lokalen

Welche Lücken das Potsdam Museum bis 2023 schließen will – und woran es noch hakt

Der Alte Markt wirkt an diesem grauen Vormittag recht verlassen. Die wenigen Menschen, die ihn kreuzen, gehen zielgerichtet ins Museum Barberini: zu Max Beckmann. Der Expressionist Fritz Ascher, der wiederentdeckte großartige Unbekannte im Potsdam Museum, bleibt im Abseits. Das Museum wirkt wenig einladend. Wer sich nicht auskennt, könnte meinen, es sei geschlossen. Jutta Götzmann, die Museumschefin, weiß natürlich um diese Misere. Und um den Vergleich mit dem Barberini. Spielt hier Weltliga gegen Regionalliga?

Gerade nimmt die Stadt Geld in die Hand, um eine neue Dauerausstellung vorzubereiten. 2023 soll sie stehen. Und bis dahin soll sich auch die Fassade öffnen, die Aufenthaltsqualität verbessern, das Herz des Museums, die Ausstellung, an Ausstrahlung und Tiefe gewinnen. Denn ja, das Barberini punkte mit Beckmann, Richter und bald auch mit Picasso. „Aber Picasso kann man auch in anderen Städten sehen. Was aber ist mit den Künstlern unserer Region? Das Lokale ist ein hohes Gut. Im Kleinen lassen sich gut größere Entwicklungen aufzeigen. Das ist ein großes Pfund“, sagt Jutta Götzmann. Dennoch lasse sie es nicht kalt, was nebenan passiert.

Im Mai startet die Stadt ein dreimonatiges Pilotprojekt: freier Eintritt zur Dauerausstellung. Sollten die Besucherzahlen dadurch deutlich steigen, könnte ab 2019 ganz auf Eintritt verzichtet werden. Im Gespräch zu der neuen Dauerausstellung berichten Götzmann und der Leiter der Historischen Sammlung, Hannes Wittenberg, von ihrem neuen Konzept, von Lücken und der Hoffnung, irgendwann einen Anbau für eine ständige Kunstausstellung zu bekommen. Und sie betonen den Wert von Objekten aus dem Privatbesitz Potsdamer Bürger für die Sammlung: ob Fotos, Briefe, Flugblätter oder Textilien aus den Schubladen der familiären Vergangenheit. „Denn Geschichte lebt von den persönlichen Biografien, von Brüchen unter bestimmten Zwängen“, so Wittenberg.

Das soll sich auch im Antlitz der neuen Schau spiegeln. 40 000 Euro stehen in diesem Jahr für eine vertiefende Recherche zur Verfügung, ab kommendem Jahr 50 000 Euro für die Vermittlungs- und Medienplanung. So steht es im gerade beschlossenen städtischen Haushalt. Was aber muss sich ändern, was soll verbessert werden? Wie kann auf 800 Quadratmetern die Geschichte und Kunst dieser 1025-jährigen Stadt so gefasst werden, dass sie möglichst viele Generationen anspricht und in die Tiefe geht?

Kritik gab es vor allem an der Darstellung der Zeit des Nationalsozialismus und der DDR. Doch um in die NS-Zeit tiefer einzudringen, müsse erst einmal die vorgelagerte, vielfarbige Zeit in der Weimarer Republik näher beleuchtet werden, meint Götzmann. Wie kam es dazu, dass 1933 braune Horden die Zeit der lebendigen Demokratie niedertrampelten, wie kam es zum „Tag von Potsdam“? Und in diesen Recherchen steckt das Museum mittendrin: für die zweiteilige Ausstellung „Umkämpfte Wege der Moderne“, die als Extrakt dann auch in die Dauerausstellung einfließen soll. Für dieses ambitionierte Projekt wirbt das Museum derzeit auf der Tourismusmesse ITB.

Im ersten Teil des Doppelprojekts geht es vom 28. September bis 27. Januar um die Avantgarde nach dem Ersten Weltkrieg und die künstlerische Vielfalt. Der Fokus richtet sich auf den vergessenen Wilhelm Schmid und die November gruppe. Schmid, Architekt und Maler aus der Schweiz, wählte Potsdam zeitweise zum Lebensmittelpunkt. Hier lernte er die Sängerin Maria Metz kennen, seine spätere Frau. Schmid baute für Marias Eltern die „Metz-Villa“ und danach für sich und seine Frau das Etappenhaus in der Böcklinstraße. Als das politische Klima mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten umschlug, galt Schmid als „entartet“ und kehrte 1937 mit seiner jüdischen Frau zurück in die Schweiz.

Der zweite Teil der „Umkämpften Wege der Moderne“ richtet dann ab Februar 2019 seinen Blick auf das kaum erforschte Babelsberg, auf die Geschichten, die sich dort von 1914 bis 1945 zutrugen. Während sich Potsdam als Residenz altehrwürdig und konservativ zeigte, hatten im roten Nowawes und späteren Babelsberg die Arbeiter das Sagen. Nicht immer sei die Nachbarschaft harmonisch gewesen. Auch davon soll erzählt werden. „Wir haben Babelsberg betreffend große Sammlungslücken und hoffen, dass wir sie durch unsere Sonderausstellungen schließen können. Sonderschauen spülen uns oft neue Objekte ins Haus“, sagt Hannes Wittenberg. „Wir setzen die Themen der Sonderausstellungen so, dass wir sie mehrfach nutzen können“, so Jutta Götzmann, die mit ihrem Etat und Mitarbeiterstab gut rechnen muss. Sie fühlten sich manchmal geradezu gehetzt durch die Vielzahl der Sonderausstellungen. „Aber sie sind wichtig, um die Konstante Dauerausstellung attraktiver aufzuarbeiten.“

Nach den „Umkämpften Wegen der Moderne“ geht es nahtlos weiter in die Forschung zur Besatzungszeit nach 1945, die in der Sonderausstellung „Potsdam unter dem Roten Stern“ münden wird. 2019 wird es 25 Jahre her sein, dass das Militär aus der Stadt verschwand und die Kasernen zivil genutzt wurden. „Jubiläen halten uns an, tiefer in bestimmte Bereiche vorzudringen. Bislang ist auch dieses Thema in der Dauerausstellung nur angerissen.“

Wittenberg hat bereits intensiv an der Zeit nach 1945 gearbeitet und herausgefunden, dass das Oberkommando der Sowjetunion nicht wie bislang geglaubt bis 1946, sondern bis 1952 in Potsdam gewesen ist. „Die gesamte Villenkolonie Neu Babelsberg war in sowjetischem Bestand. Alle mussten raus aus ihren Häusern, die komplette Karl-Marx-Straße war in der Hand der Besatzer. Die Avantgarde in Babelsberg verschwand und kam nicht wieder, auch nicht die Ufa-Stars.“

Immer wieder stoßen die Museumswissenschaftler auf neue Erkenntisse, neue Namen, auf die in Ausstellungen reagiert werden muss. „Solche Bausteine wie Wilhelm Schmid oder Fritz Ascher, der sich als Jude vor den Nazis an mehreren Orten in Potsdam, Babelsberg und Berlin versteckte, müssen wir erstmal zusammenfügen. Wichtig ist uns aber bei jedem historischen Thema der Gegenwartsbezug, den wir künftig noch stärker herausarbeiten wollen“, betont Götzmann. Während der Doppelaustellung zur Moderne sollen in Gesprächsreihen Vielfalt und Krisen der Weimarer Zeit näher unter die Lupe genommen werden, „gerade weil heute wieder die Werte der Demokratie angesichts des anwachsenden Populismus auf dem Prüfstand stehen. Wir wollen unser Museum nicht als Insel sehen, sondern als Bindeglied zur Stadt.“ Und deshalb wird es, so Götzmann, auch Spaziergänge hinaus geben: so zu den Häusern, die Schmid einst in Potsdam baute.

Innerhalb der eigenen Wände hofft die Chefin mit der neuen Dauerausstellung auch auf mehr Freiräume mit Laborcharakter. „Wir schreiben noch kein 1:1-Raumkonzept, werden uns aber die Etagen nochmal komplett vornehmen. Wir müssen unsere Räume optimieren, so auch einen Vertiefungsraum schaffen, in dem wir mit Gruppen arbeiten können, ohne den Einzelbesucher zu stören.“ Der Shopbereich müsse dringend verändert werden und sich nicht hinter Glas verstecken. „Wir denken vieles neu. Auch in Nachbarschaft und in Kooperation mit dem Barberini.“

Jutta Götzmann hat sich in anderen Stadtmuseen umgeschaut, zum Beispiel in Kassel, das sich gerade neu aufstellt. Dort gibt es einen starken Medieneinsatz, den sie als Anregung mitnahm. „Erster Zugang ist immer der visuelle Reiz des Objektes, das Entertainment, der Genuss am Rundgang. Und hinter diesen Objekten sollte man immer auch den Menschen sehen, egal, ob es sich um Alltagskultur oder ein Kunstwerk handelt. Mit den Medien kann man weiter in die Tiefe gehen.“

„Ein Stadtmuseum hat den engsten Bezug zu den Bürgern“. An diesen eigenen Worten wird sich Jutta Götzmann und ihr Team messen lassen müssen. Zunächst freut sich Jutta Götzmann auf die Reaktionen auf die nächste Sonderausstellung ab 13. April. Gezeigt werden Stadt-Fotografien des Potsdamers Max Baur aus den 1930er und 1940er Jahren. „Das wird ein Genuss.“

Zur Startseite