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Kultur: Das Ende der Kluften?

Die Stadt verteilt Bußgeldeinnahmen an die Kultur und eine neue Diskussion um Gerechtigkeit beginnt

Die Potsdamer Ordnung zahlt sich anscheinend aus. Wer bislang nicht wusste, wofür er unverhältnismäßig oft in dieser Stadt wegen Falschparkens Bußgelder abdrücken musste, wurde diese Woche durch die Stadtpolitik aufgeklärt: Es ist für das hohe Gut der Kultur. Ungewohnt einmütig beschlossen die Stadtverordneten am Mittwoch, dass zusätzlich zur bestehenden Förderung die freie Kulturszene dieses Jahr 240 000 Euro erhält, gegenfinanziert meist aus Geldern, die das Ordnungsamt bereits 2014 mehr einnahm als geplant. Die Extrasumme scheint auf den ersten Blick üppig – es ist so viel Geld, wie es Häuser wie fabrik, T-Werk, Waschhaus oder Kulturvereine und Festivalveranstalter in den vergangenen zehn Jahren nicht gesehen haben. Auf den zweiten Blick wird klar: Diese knappe Viertelmillion Euro war seit langem überfällig und ist bitter nötig.

Ein Blick in die Schiffbauergasse, wohin mehr als die Hälfte der Mittel fließt: Sowohl fabrik als auch T-Werk erhalten jeweils 50 000 Euro, das Waschhaus 35 000 Euro. Das Geld soll, so will es die Stadt explizit, in die Gehälter der Mitarbeiter fließen. Bislang, so erklärt Sabine Chwalisz, Geschäftsführerin der fabrik, hätten ihre zehn Angestellten etwa 50 bis 60 Prozent von dem verdient, was ein Mitarbeiter städtischer Einrichtungen bekommt. Eine Erhebung in Auftrag des Kulturausschusses hatte dieses Lohndilemma bei allen freien Träger deutlich gemacht. Allein die Anpassungen an den Mindestlohn stellten manch Haus vor erhebliche finanzielle Schwierigkeiten.

Nun wird diese Einkommenskluft natürlich keineswegs mit einer Viertelmillion Euro geschlossen. Allein angesichts der Sozialabgaben „müsste man an die 50 000 noch eine Null dranhängen“, sagt Chwalisz für die fabrik. Um vielleicht fünf Prozent nähere man sich an die städtischen Einrichtungen an, so kalkuliert sie. Immerhin bekommen ihre Mitarbeiter nun eine Lohnerhöhung von etwa 100 Euro im Monat. Eine erfreuliche Nachricht also, wie Chwalisz und auch ihr Kollege Jens-Uwe Sprengel vom T-Werk betonen. Es ist für beide aber auch nicht mehr als ein Auftakt, damit die Gehaltslücke nicht größer wird: Derzeit stehen für Mitarbeiter städtischer Einrichtungen erneut Tarifverhandlungen an.

Künftig wie im öffentlichen Dienst zu bezahlen, sei natürlich rein illusorisch, sagt Sprengel, „aber wenigstens ist es jetzt nicht mehr nur ein Bruchteil“. Es werde immer schwieriger, geeignetes hochqualifiziertes Personal etwa für die komplexe Arbeit eines internationalen Festivals wie Unidram zu finden. Schwer nachvollziehbar war für ihn auch die Diskrepanz zwischen der Professionalität, mit der etwa die Festivals der Schiffbauergasse nach außen strahlen – und die auf die Stadt schließlich zurückstrahlt – und den niedrigen Löhnen ihrer Mitarbeiter.

Mehr noch als ein rein kalkulatorischer Gewinn ist allerdings die Erhöhung der Gelder ein politisches Zeichen. Es ist das Bekenntnis der Stadt, dass Kultur, auch wenn sie als frei bezeichnet wird, nicht verzichtbar ist und viel kostet – im gleichen Maße wie auch das benachbarte Hans Otto Theater, der Nikolaisaal und die Musikfestspiele Sanssouci, die alle ihre Angestellten nach Tarif bezahlen müssen. Als einen „historischen Schritt“ und „deutlichen Paradigmenwechsel“ bezeichnet Sprengel denn auch den Beschluss der Stadtverordneten. Für Sabine Chwalisz ist es ebenfalls ein Quantensprung. Erstmals werde die Potsdamer Kulturlandschaft im Gesamten gesehen und nicht mehr zwischen städtischer und freier Kultur aufgespalten, sagt sie.

Dahingehend ist auch die zweite Änderung zu werten, die die Stadtpolitik nun öffentlich bekannt gab und ab nächstes Jahr erstmals umsetzen will: Der Zuwendungsbescheid für die einzelnen Häuser und Veranstalter von Festivals soll für zwei statt bislang nur ein Jahr gelten. Damit ist nach jahrelanger politischer Kleinarbeit eine bessere Finanzierungs- und Planungssicherheit auch für die freie Kultur gegeben. Die künftigen Auseinandersetzungen mit der Stadt könnten nun auf Augenhöhe stattfinden, sagt Jens-Uwe Sprengel vom T-Werk. Endlich begebe man sich nicht in eine Neiddebatte, sondern in eine Gerechtigkeitsdiskussion, sagt Chwalisz.

Das mit der Gerechtigkeit sieht Ud Joffe anders. Er ist sachkundiger Einwohner im Kulturausschuss und zugleich künstlerischer Leiter der Erlöserkirche. Die Verteilung der Zuschüsse ist für ihn alles andere als fair. Joffe leitet auch den Neuen Kammerchor sowie das Neue Kammerorchester und veranstaltet jährlich das Chorfestival „Vocalise“. Für den Verein Musik an der Erlöserkirche erhält er 5000 Euro zusätzlich aus dem Bußgeldtopf. Bei dem üblichen Spiel um Absprachen im Vorhinein zwischen Kultur und Politik habe er in seiner Doppelfunktion im Ausschuss nicht mitgemacht, sagt er. Nun sieht er als Vertreter der Musikszene „eine unproportionale Verteilung der Gelder zu Gunsten der Theaterlandschaft, insbesondere an der Schiffbauergasse“. Zumal sowohl T-Werk als auch fabrik jeweils zusätzlich 25 000 Euro für ihre Festivals, Unidram und Tanztage, erhalten.

Die Vocalise aber geht leer aus. Überhaupt sind Joffe für die politische Entscheidungsfindung keine transparenten Kriterien bekannt. Die fachliche Diskussion habe allein unter den politischen Vertretern im Kulturausschuss stattgefunden. Zudem ist unklar, ob und wann sich wieder solch ein Geldregen über die Kulturszene ergießt. „Wir sehnen uns aber nach inhaltlichen Kriterien und nicht nach dem Prinzip ,Wer schreit am lautesten’“, sagt Joffe. Diesen Wunsch nach Verlässlichkeit werden sicher auch Chwalisz und Sprengler mit ihm teilen. Grit Weirauch

Grit Weirauch

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