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Kultur: Darüber spricht man nicht

Themenabend des Theaters Havarie zu „Was ist Armut“ im T-Werk

Auf den riesigen Fotos im Foyer ist es bereits deutlich zu sehen. Jugendliche Akteure, die sich darauf als „arm“ oder „obdachlos“ outen, haben ihr Gesicht verdeckt: mit Brillen, Kapuzen und Tüchern. Denn es ist äußerst uncool, kein Geld zu haben und dann auch noch Farbe zu bekennen. Ein Zuschauer des Themenabends „Was ist Armut?“, der am Donnerstag im T-Werk stattfand, formulierte es so: „Arme Leute machen sich klein und versuchen sich nach der Decke zu strecken, wie wir alle eigentlich.“

Der Themenabend des Theaters Havarie war Teil eines größer angelegten Projektes, das sich seit Dezember mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln der brisanten Problematik nähert. Theaterpädagogin Yasmina Ouakidi hat mit Potsdamer Schülern der verschiedensten Schulformen dazu Theaterworkshops veranstaltet und andere Jugendliche animiert, sich dem Thema fotografisch oder filmisch zu nähern. Parallel dazu entwickeln Günter Jankowiak und Ingrid Ollrogge ein Theaterstück für Zuschauer ab 13, das am 8. Februar zur Premiere kommen wird.

„Guten Tag Schönes Leben“, so dessen Titel, bringt die Situation gar nicht so weniger Jugendlicher auf den Punkt. Rico geht auf“s Gymnasium und hat sich bereit erklärt, eine dänische Austauschschülerin bei sich zu Hause aufzunehmen. Doch kurz vor dem Termin verliert seine Mutter zum wiederholten Mal ihre Arbeit und Rico muss sein Zimmer räumen. Um die Mietkosten zu senken, soll es abgeschlossen werden. Diesen Sachverhalt kann er natürlich niemandem erklären, weder seinem Lehrer noch den besser gestellten Mitschülern. Also erfindet er eine Tante aus Amerika und verstrickt sich im Laufe der Handlung in ein immer dichteres Lügennetz. Während das Stück eine sehr konkrete Situation beleuchtet, versuchten sieben Teilnehmer der vergangenen Theaterworkshops sich mit der Problematik allgemeiner auseinander zu setzen. In der ebenfalls gezeigten Schauspielcollage kreisten sie die Themen Geld, Arbeit und Sinn des Lebens ein. Eine Tochter schreit die eigene Ausweglosigkeit verzweifelt heraus. Sie will von ihrem Vater wissen, „was ihre Zukunft und wo ein Platz für sie ist.“ Ohne sich mit Allgemeinplätzen abspeisen zu lassen. Der präsentierte Kurzfilm, ebenfalls von Jugendlichen produziert, spiegelte in wenigen Interviews auf der Brandenburger Straße wirkungsvoll, wie sehr „Nichtbetroffene“ ein Problem mit dem Armsein haben, wie viele Berührungsängste und Verdrängungen bei fast allen von uns bestehen.

In der sich anschließenden Zuschauerdiskussion wurde ebenfalls deutlich, dass das Thema in unserer modernen Leistungsgesellschaft tabuisiert ist. Gleichzeitig berichtete Yasmina Ouakidi von ihren Erfahrungen mit Potsdamer Jugendlichen, von denen nicht wenige „immense Angst haben, sozial abzurutschen“, aber gleichzeitig „das Thema Armut nach Berlin verschieben.“ Dass diese Auseinandersetzung viel Fingerspitzengefühl erfordert, merkte sie nicht nur in ihren Gesprächen mit Förderschülern sondern vor allem auch mit denen von Privatschulen, die sich in einem starken hierarchischen Gefüge ganz oben und als etwas Besseres verorten.

Das Projekt „Armut“ ist die Aufforderung an uns alle, uns wieder mehr in unsere Verhältnisse und Angelegenheiten einzumischen, ist im Flyer des Theaters Havarie zu lesen. Denn sie „ist ein Feind des Friedens und der Freiheit ... und man muss was gegen sie tun.“ Ohne Ausgrenzung darüber sprechen zu können, wäre ein wichtiger Anfang. Und ein Schritt auf dem Weg zu einer solidarischen Gesellschaft. Astrid Priebs-Tröger

Premiere am 8. Februar 2008, um 20 Uhr im T-Werk, mit anschließendem Publikumsgespräch

Astrid Priebs-Tröger

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