zum Hauptinhalt

Kultur: „Dafür ist meine Fantasie zu arm“

Das Andreas-Dresen-Filmteam zur Voraufführung von „Halt auf freier Strecke“ im Thalia

Schnell wird die Tür zugeschlagen, wenn der Tod gedanklich anklopft. Nicht so bei Andreas Dresen. Er geht auf die dunkle Gestalt zu, schiebt die Angst beiseite und schaut ihm bis zur letzten Konsequenz in die Augen. „Ich weiß, es ist nicht ganz einfach, diesen Film zu gucken. Es war auch nicht einfach, ihn zu drehen“, sagt der Regisseur am Dienstagabend nach der Voraufführung von „Halt auf freier Strecke“ im vollbesetzten Thalia-Kino. Doch der Stoff sei wie bei „Wolke 9“ auf ihn zugekommen und musste ganz schnell umgesetzt werden.

Immer öfter seien die Gespräche in der Dresen-Filmfamilie um das Thema Tod gekreist. „Auch wir kommen in die Jahre. Und einige von uns haben bereits ihre Eltern verloren.“ Dresen selbst musste eine Trennung verwinden, hatte ein schlechtes Jahr, wie der Potsdamer bekennt. „Verlust und Abschied – durch solche Phasen muss man durch“, sagt er und wollte sie nicht verdrängen. Die Dramaturgin Cooky Ziesche, die an der Stoffentwicklung maßgeblich beteiligt war, erzählt vom schnellen Tod ihres Vaters innerhalb vier Wochen. „Wir haben ihn Zuhause gepflegt und die Zeit hat grundsätzlich mein Leben verändert. Vor allem ist da die Frage, was ich vom Leben noch will.“

Sechs Mitglieder des Teams tauchen im Anschluss an den aufwühlenden Film, der nichts ausspart, was Sterben bedeuten kann, noch einmal in die Situationen am Drehort ein. Steffi Kühnert erinnert sich, wie sie sich aneinander festhielten: Sie und Milan Peschel, der den am Gehirntumor sterbenden Frank spielt und sie, die ihn auf seiner letzten Reise als Ehefrau und Mutter der beiden gemeinsamen Kinder begleitet. „Eine schwere Reise, die am Ende aber sehr ermutigend ist“, wie die locker und einfühlsam moderierende Julia Vismann von RadioEins befindet, aber wohl nicht jedem dabei aus dem Herzen spricht.

Allein der im Potsdamer Klinikum spielende Prolog schnürt einem über den Abend hinaus den Hals zu: Acht Minuten sitzen Steffi Kühnert und Milan Peschel im Behandlungszimmer und hören sich – wie aus der Welt gefallen – die messerscharfe Diagnose an. Zuvor saßen sie im Warteraum, wurden ganz normal aufgerufen und wussten nicht, was ihnen der Arzt gleich sagen würde. Denn es gab auch in diesem Dresen-Film kein Drehbuch. Mit Uwe Träger, dem Chefarzt der Neurochirurgie im Klinikum „Ernst von Bergmann“, bekommt diese Szene eine Wucht und Authentizität, die auch den Zuschauer benommen zurücklässt. „Eigentlich drehten wir diese Szene nur, um uns selbst zu vergewissern. Sie sollte überhaupt nicht im Film vorkommen.“ Dresen hatte keine Lust darauf, Röntgenbilder zu zeigen, die ohnehin keiner versteht. Doch dann diese Empathie, Sachlichkeit und zugleich Hilflosigkeit des Arztes. „Das fand ich so überwältigend, so etwas kann man sich gar nicht am Schreibtisch ausdenken. Dafür ist meine Fantasie zu arm.“ Selbst der Pieper, der beim Unterbreiten der Diagnose anging und den Arzt schon wieder auf eine andere „Baustelle“ rief, entsprang täglicher Realität. Wie in einem Dokumentarfilm ging die Crew bei den Dreharbeiten vor, folgte den verschiedensten Ärzten.

„Es wird nirgends so viel gestorben wie auf der Leinwand, doch höchst selten werden das Sterben und der Tod seriös behandelt“, sagt Andreas Dresen. Also ging er mit seinem kleinen Drehstab auf gründliche Recherche. Vor allem in einem Hospiz in Berlin-Neukölln wurden sie offen und warmherzig empfangen und bekamen Einblick in das Innerste der Sterbebegleiter.

Auch der Zufall spielte mit. Wie bei der 14-jährigen Lilly, deren Mutter vor vier Jahren an Krebs starb. Die Filmemacher hatten zuvor mit ihrem Vater gesprochen. Als sie dann auf der Suche nach einer Filmtochter waren, die Turmspringerin sein sollte, stießen sie ausgerechnet auf dieses Mädchen. Sie war die Begabteste in ihrer Disziplin. „Wir dachten anfangs, dass wir es ihr nicht zumuten könnten, diese Rolle zu spielen, sie zu dicht an die eigenen unangenehmen Erinnerungen dran sei“, so Dresen. Doch Vater und Tochter insistierten. Und auch ein Psychologe attestierte Lilly, dass sie die Dreharbeiten gut durchstehen werde. Am Ende des Films spricht sie dann sogar den Satz, den sie auch sagte, als ihre Mutter vom Tod erlöst wurde: „Ich muss jetzt zum Training.“ Ein radikaler Satz, der ins Leben zurückverweist.

Es schlugen aber auch unvermutet Türen zu. Zwei Tage vor Drehbeginn stand das Team vor dem Problem, dass es sein Hauptmotiv, ein Haus in einer neuen Teltower Eigenheimsiedlung, verlieren würde. Eine vom Makler zugesicherte Nutzung wurde plötzlich zurückgezogen. „Also kauften wir innerhalb von vier Stunden dieses Haus“, so der schwäbische Produzent Peter Rommel. „Es ist jetzt von der Backe. Vor einer Woche konnten wir es weiter verkaufen,“ sagt er sichtlich erleichtert.

Das Belastende des Anfangs lichtet sich allmählich, wird weicher und friedlicher: Wie die Schneeflocken, die vor dem Haus mit Blick in die Feldflur die Erde sanft bedecken. Doch die großen ungläubig-fragenden Augen Milan Peschels, die dem Sterbenden so viel Seele geben, verfolgen den Zuschauer weiter.

Zu sehen im Thalia Babelsberg, Rudolf-Breitscheid-Straße 50

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false