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Kultur: Crescendo an der Torlinie

DFB-Pokalfinale live vertont im Nikolaisaal

Stadionstimmung im Nikolaisaal: „Flaschen dürfense hier mit reinnehmen!“ – „Aber Gläser nich?“ – „Nee, die müssense austrinken. Ne Flasche Wein hättense mit reinnehmen können!“ Verkehrte Welt, denn die größte Leinwand der Stadt war am Samstagabend im Nikolaisaal: Dort wurde das DFB-Pokalfinale übertragen, euphorische Stimmung, Menschen in Trikots, das hat man ja dort eher selten. Aber der Nikolaisaal wäre ja nicht der Nikolaisaal, wenn es dort keine kulturelle Verknüpfung gäbe: Stefan Graf von Bothmer, Deutschlands bekanntester Stummfilmpianist, begleitete an diesem Abend die Partie am Flügel – mit allen dazugehörigen Emotionen.

Und emotional war das Spiel von Borussia Dortmund gegen Eintracht Frankfurt, keine Frage. Die schwarzgelbe Übermacht gegen den Underdog vom Main – der letztlich unglücklich unterging, so viel darf verraten werden. Aber eben auch furioser als üblich: mit Crescendo an der Torlinie.

Eine große Symphonie musste Graf von Bothmer gar nicht vorbereiten, viel zu überfordernd: Hier waren Hackentricks gefragt, kurze Pässe, pianistische Konter. So eben beim Führungstreffer für Dortmund in der 8. Minute: Dembélé trifft direkt unter die Latte, Bothmer schaltet schnell, Zwischenapplaus – versenkt. Der Flügel wühlt sich in der Folge durch die Musikgeschichte, „Für Elise“ zum Einwurf, ein paar Musicals werden zitiert, Zwischenapplaus unterstreicht die Einfälle mit hohem Wiedererkennungswert. „Take Five“ von Dave Brubeck schwurbelt sich durch die spannungsärmere Zeit und wird zum Foul-Soundtrack, kurz darauf der „Donauwalzer“ von Strauss, und war das gerade Deep Purple?

In der 29. Minute dann der Ausgleich, Rebic drückt den Ball ins Tor, die Hände des Pianisten sind ganz rechts auf der Tastatur, Jubel brandet auf. Alles ist wieder offen, „Killing me softly“, während Marco Reus schmerzverzerrt am Spielfeldrand steht. In der 39. noch ein Pfostenschuss von Frankfurt, Bothmer gewiss schon am Schwitzen, die Pause erlöst ihn. Und die Zuschauer gleich mit.

Es ist aber nur eine kurze Pause, gerade genug zum Bierkaufen. In der 50. Minute der zweiten Halbzeit lässt Bothmer den Flügel aus – und greift zur Maultrommel. Der Saal johlt, der BVB verschießt ganz knapp, herrje! Als der Flügel wieder spielt, hört man „Mein kleiner grüner Kaktus“, dann der hundertste Pfostenschuss – und schließlich der Elfer für Dortmund in der 67. Minute, Aubameyang trifft zum 1:2-Endstand, das letzte Frankfurter Aufbäumen bleibt vergeblich.

Was bleibt, ist eine Komik, die den Fußballwahnsinn ganz wunderbar karikiert – und sogar eine emotionale Verbindung zu Stummfilmen aufzeigt. Die Stadionatmosphäre ist nach der Führung zwar deutlich weniger: Die musikalische Euphorie lässt den Abend jedoch unsterblich werden. Oliver Dietrich

Oliver Dietrich

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