zum Hauptinhalt
John von Düffel, Autor von "Die Wütenden und die Schuldigen".

© Sebastian Rost

Corona-Roman von John von Düffel: Jugend ohne Ambivalenz

Eine Ärztin in Quarantäne, ein sterbender Greis in der Uckermark und klischeedurchtränkte Jugend in Stadt und Land: John von Düffels Corona-Roman „Die Wütenden und die Schuldigen“.

John von Düffel war schnell. Knapp anderthalb Jahre nach dem Beginn des ersten Lockdowns brachte der Potsdamer Autor im Juli ein Buch heraus, das die Pandemie literarisch verarbeiten will. „Die Wütenden und die Schuldigen“ heißt der Roman, der nicht nur die Pandemie verarbeiten will, sondern noch viel mehr: Psychogramm einer Familie sein, drei Generationen in die Seele schauen, Reiz und Fluch der brandenburgischen Prärie beschreiben, die Frage nach würdevollem Sterben stellen - und einen großen Bogen in die deutsche Geschichte schlagen. In der Verdrängung bekanntlich eine Hauptrolle spielt.

„Die Wütenden und die Schuldigen“ hat drei Teile, die einzelnen Kapitel sind mit den Namen der Protagonist:innen überschrieben. Von der jungen Berlinerin Selma springt die Erzählung zu deren sterbenskrankem Großvater Richard, einem ehemaligen Pfarrer in der Uckermark, und zu Maria, Anästhesistin an der Berliner Charité. 

„Kenn' ich“ ist der Vorteil schneller Literatur

Maria ist Selmas Mutter, Richards Tochter. Sie ist die erste, die direkt von der Pandemie betroffen wird: Sie soll sich in Quarantäne begeben, umgehend. Nur hat sich Sohn Jakob auch bei ihr angesagt, „vierzehn Tage auf sechzig Quadratmetern - die Vorstellung war sie genauso grauenhaft wie für ihn.“

Solche Passagen haben Wiedererkennungswert, klar. Auch die Hamsterkäufe (oder die Entscheidung dagegen) gehören dazu - dieses anheimelnde „Kenn' ich“, ist der Vorteil schneller Literatur. Nur bestätigt „Die Wütenden und die Schuldigen“ das Vorurteil, dass sie auch erhebliche Nachteile hat. 

Ein Gefühl des allzu Bekannten haftet dem Roman nicht nur in den Pandemiepassagen an. Als Selma, eine wütende Wirtschaftsstudentin, zu ihrem Großvater in die Uckermark fährt, bekräftigt die dörfliche Jugend alle Klischees: Leute mit Zahnlücken, zu deren Füßen Billigwein im Tetrapak liegt und die finden, „dass in Berlin alle schwul sind“. Der Zahnlose stellt sich vorübergehend als nett heraus, bleibt aber ein Brutalo vom Dorf.

Vielschichtigkeit gehört dem Sterbenden 

Ähnlich holzschnittartig ist die Figur des Jakob angelegt. Typ „Kunststudent“: nachlässig, selbstbezogen, infantil. Während seine Schwester Selma sich dem sterbenden Großvater zuwendet, pendelt Jakob in Berlin zwischen seiner Ex-Freundin Ilvy und feuchten Träumen von seiner Professorin. 

Für die Professorin war er Nacktmodel, das Resultat, ein überlebensgroßes Popart-Bild seines Penis, führt bei Jakob zu Erektionsstörungen, aber in Ilvys Bett. John von Düffel ist auch Theaterautor: Seine Jakob-Kapitel wären auf der Bühne in etwa das, was man Klamotte nennt. Gerade bei einem „Corona-Roman“ hätte die Jugend mehr Ambivalenz verdient.

Das Wichtigste wird nie erzählt

Vielschichtigkeit ist aber fast allein Richard vorbehalten, dem greisen Mann in der Uckermark. Der strebt dem Tod entgegen, in seine Wahrnehmung mischen sich Halluziniertes und Vergangenes, er ist Ex-Pfarrer, aber nicht gläubig: Ausgerechnet der Sterbende, ist die lebendigste Gestalt hier. Die Lebenden dagegen: seltsam abgestanden. 

„Das Wichtigste wird nie erzählt“, sagt Maria an einer Stelle. „Es steht zwischen den Zeilen, wie man so sagt, aber vielleicht steht es auch nirgends, und die Zeilen dienen nur dazu, es zum Verschwinden zu bringen.“ Das ist auf etwas altkluge Weise gut gesagt. Und ein wenig klingt es auch so, als beschreibe der Roman sich hier selbst. Er lässt einen sehr hungrig zurück. 

John von Düffel: Die Wütenden und die Schuldigen. Roman. Dumont Verlag, Köln 2021. 320 Seiten, 22 €.

Zur Startseite