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Keine Grenzen im Kopf. Der Dichter Alan Mills wandelt künstlerisch zwischen Guatemala und Berlin, seine Texte macht das noch dichter.

©  privat

CompArte- Festival der Uni Potsdam: Worte sammeln, bis es explodiert

Der aus Brasilien stammende Dichter Alan Mills liest am heutigen Samstag beim CompArte- Festival der Uni Twitter-Gedichte.

Von Sarah Kugler

Alan Mills schreibt immerzu. Selbst wenn gerade keine Zeit für richtige Notizen auf einem Blatt Papier oder dem Bildschirm ist, speichert er Informationen in seinem Kopf ab, die er später irgendwie textlich verarbeiten wird. Auch wenn er Interviews gibt, hört sein Gehirn nicht auf, Gedanken niederzuschreiben, gibt er zu – und grinst dabei. „Irgendwann explodiert es dann und muss aufgeschrieben werden“, sagt er. „Das heißt dann aber noch lange nicht, dass daraus gleich ein vorzeigbarer Text wird.“ Für den 36-Jährigen, der 1979 in Guatemala-Stadt geboren ist und der seit 2012 in Berlin lebt, gehört zum Schreiben auch immer die präzise Auswahl der Texte. „Fast jeder hat geniale Ideen, viele schreiben tolle Texte, aber die Kunst ist es, auch etwas rauszulassen.“ Am heutigen Samstagabend liest er aus einer solchen Auswahl beim compArte Festival, und zwar im Freiland. „Eine Subkultur der Träume“ heißt sein aktueller Lyrikband, für den er 700 kurze Gedichte zusammengetragen hat.

Es ist das erste Werk von Mills, das ins Deutsche übertragen wurde. Das Besondere dabei: Alle Gedichte sind auf Twitter entstanden und somit höchstens 140 Zeichen lang. „Als ich vor sechs Jahren angefangen habe zu twittern, habe ich das gar nicht so ernst genommen und kaum etwas gepostet“, so Mills, der derzeit an der Universität Potsdam an seiner Dissertation arbeitet. „Aber dann wurde das irgendwie ein Trend und ich habe mitgezogen.“ Bis zu 30 Minuten pro Tag schrieb er wild drauf los, nicht immer spricht dabei sein reales Ich.

Er liebe es, in Masken zu schlüpfen und auch fiktionale Welten zu erschaffen. So klingen manche seiner Gedichte eher wie Geschichtenanfänge, etwa wenn er schreibt „Als er erwachte, war der Dinosaurier dabei, über ihn herzufallen. Auf die animalische Tour.“ „Manchmal sind meine Freunde und die Familie sehr irritiert und fragen, was denn passiert sei“, sagt er und lacht. „Aber ich muss ja nicht immer die Person sein, die spricht.“

In seinem Buch formuliert er es poetischer: „Die Lyrik performt ihr Verschwinden. Der Dichter fiktionalisiert seine Identität. Es gibt nur ein weißes Blatt und Stille.“ Viele seiner Tweets basieren auf Träumen, die er gleich nach dem Aufwachen aufgeschrieben hat – daher auch der Name des Buches. Neben den kurzen Tweet-Gedichten schreibt Mills auch längere Sachen, Prosalyrik sowie Kurzgeschichten, die er in verschiedenen Magazinen, aber auch auf seinem Blog „Revólver“ veröffentlicht.

Eigentlich hat er ein abgeschlossenes Jurastudium, trotzdem entschied er sich mit 22 Jahren, Poet zu werden. Im Jahr 2002 veröffentlichte er seinen Lyrikband „Los nombres ocultos“, fünf Jahre später erschien der Mikroroman „Síncopes“. Und immer wieder zog es ihn ins Ausland: Zwei Jahre lebte er in Brasilien, ein Jahr in Frankreich. Nach Berlin kam er 2010 für das Festival „Los Superdemokraticos“ sowie die gleichzeitig stattfindende „Latinale“. Weil er ein paar Leute vor Ort kannte und die Stadt ihm gefiel, bewarb er sich für ein Stipendium und blieb. Bereut hat er es nicht. „Natürlich war keiner der Auslandsaufenthalte einfach“, sagt er. „Aber ich liebe die Stadt, ich finde es spannend, Teil dieser großen multikulturellen Dynamik und auch der herausfordernden Situation in Europa zu sein.“

Auch wenn der Dichter Französisch, Portugiesisch, Englisch und ein wenig Deutsch spricht, schreibt er fast ausschließlich in seiner Muttersprache Spanisch. Nicht nur, weil er die am besten beherrscht, sondern auch, weil er zu viel Respekt vor den anderen Sprachen hat. „In diesen Sprachen bin ich noch kein Schriftsteller, vielleicht in 15 Jahren, aber jetzt noch nicht.“ Trotzdem, sagt er, hat gerade die deutsche Grammatik Einfluss auf sein Schreiben: „Deutsch ist eine sehr strukturierte Sprache und deswegen nehme ich auch meine Sprache viel bewusster wahr. Ich achte auf ganz andere Dinge, Fälle oder so etwas.“ Auch die andere, die neue Kultur schlägt sich thematisch nieder, sagt er, aber weil er schon immer ganz alltägliche oder auch ganz verrückte Dinge aufgeschrieben habe, verliert er sich dabei nicht in Klischees. Zwischen den Welten sein, das passt natürlich genau zum Thema des compArte-Festivals, das sich mit Transkulturalität – also dem Konzept einer Gesellschaft, an der alle teilhaben, egal aus welcher nationalen Kultur sie ursprünglich kommen – beschäftigt.

Mills arbeitet schon am nächsten Gedichtband. Übersetzt ist er schon, nur der passende Verlag fehle noch. Das Twittern betreibt Mills inzwischen nur noch sporadisch. Seine besten Tweets, sagt er, habe er bereits vergeben.. Jetzt plant er etwas im Genre Prosa. Bis es soweit ist, füllt sich sein Notizbuch weiter mit Wörtern, Ideen, Sätzen – bis irgendwann die nächste innere Explosion kommt.Sarah Kugler

Alan Mills liest am heutigen Samstag um 20 Uhr im Freiland Café, Haus 2, Friedrich-Engels-Str. 22. Der Eintritt ist frei.

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