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Chorfestival „Vocalise“ in Potsdam: Die großen Fragen im Fortissimo

Dieses Wortspiel hat es in sich: „ffanfanatisch“ lautet die Überschrift des Potsdamer Musikfestivals „Vocalise“ in diesem Jahr. Das dreimalige f steht in der Notenschrift für fortissimo – lauthals dürfen die Stimmen der Potsdamer Kantorei gleich beim Eröffnungskonzert am Sonntag jubeln.

Dieses Wortspiel hat es in sich: „ffanfanatisch“ lautet die Überschrift des Potsdamer Musikfestivals „Vocalise“ in diesem Jahr. Das dreimalige f steht in der Notenschrift für fortissimo – lauthals dürfen die Stimmen der Potsdamer Kantorei gleich beim Eröffnungskonzert am Sonntag jubeln. Auf zwei großartige Chorwerke von Johann Sebastian Bach, die Kantate „Eine feste Burg ist unser Gott“ und die Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“ folgt die 5. Sinfonie von Felix Mendelssohn Bartholdy, bekannt als Reformationssinfonie. Dieses wuchtige Jugendwerk mit vielen Reminiszenzen an Bach und Luther entstand aus Anlass der Feier von 300 Jahren Protestantismus im Gedenken an das Augsburger Bekenntnis von 1530. Persönlich vertrat der protestantisch getaufte Komponist aus einer angesehenen jüdischen Familie einen eher zweifelnden Standpunkt in der Frage nach Gott, als er an seine Schwester Fanny schrieb: „Ob Gott ist? Was Gott sei? Das weiß ich nicht, allein ich weiß, dass es in mir und in dir und in allen Menschen einen ewigen Hang zu allem Guten, Wahren und Rechten und ein Gewissen gibt “

Erneut steht das zum 16. Mal stattfindende Festival unter der inspirierten künstlerischen Leitung von Ud Joffe. Neben den Chören der Erlöserkirche sind weitere Gesangskörper aus Kirchen der Stadt beteiligt. Als Potsdamer Premiere erklingt das pazifistische Oratorium „A Child of Our Time“ von Michael Tippett. Erschüttert von den Nachrichten über die sogenannte Reichskristallnacht schuf der englische Komponist gleich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ein emphatisches Denkmal gegen Diktatur und Unterdrückung. Pate stand das barocke Oratorium, allen voran Händels Messias, aber auch die großen Bach-Werke, doch anstelle von lutherischen Chorälen erklingen bekannte Spirituals. Die Junge Kantorei Hermannswerder und die Camerata Vocale Potsdam werden diesem Bekenntniswerk Ausdruck verleihen.

In der Nikolaikirche bringt Kantor Björn O. Wiede das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms zur Aufführung. Dieses nicht kirchlich gebundene Werk reflektiert die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens im Angesicht des Todes. Brahms, der sich selber norddeutsch-nüchtern als „nicht göttlich inspiriert“ bezeichnete, schuf damit ein ungeheuer tröstliches humanistisches Meisterwerk. Aus Norwegen reist das weltberühmte Vokalensemble Nordic Voices nach Potsdam, um in der Erlöserkirche das Thema „Krieg und Frieden“ in Werken von Henry Purcell bis Maurice Ravel, Knut Nystedt und anderen zu beleuchten. Beim Abschlusskonzert singen der Neue Kammerchor Potsdam und die Cappella Nuova Madrigale und Motetten von Johann Hermann Schein und Heinrich Schütz. Die höchst eindringlichen Kompositionen beider künden von Zuversicht, Hoffnung und Glauben an die Größe Gottes – angesichts von persönlichen Verlusten und den Verheerungen des Dreißigjährigen Kriegs. Dieses Vertrauen ist heute oft abhanden gekommen – oder es nimmt die gefährliche Form von Fanatismus an. Das Wort Fan stammt von dem lateinischen fanaticus ab, was „göttlich inspiriert“ bedeutete. Über den Genuss am schönen Klang der Stimmen und der Instrumente hinaus bieten die sieben Konzerte der „Vocalise“ anregenden Stoff zum Nachdenken über große Fragen der Menschheit.Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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