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Offene Münder, hängende Häupter. Die finnische Kompanie WHO eröffnete mit „Cutting Edge“ am Dienstag das diesjährige Unidram-Festival. „An Schärfe mangelt es nicht“, kündigte Festivalmitbegründer Thomas Pösl angesichts des Themas – Enthauptungen – an. Das Stück blieb aber unscharf, trotz reichlich rollender Köpfe.

© Kalle Nio

Kultur: Che will nicht mehr küssen

Unscharf, trotz vieler Klingen: Das 24. Unidram-Festival eröffnete mit „Cutting Edge“

Bevor es am Eröffnungsabend des 24. Unidram-Festivals um Kunst gehen konnte, ging es um Politik. Hier wie dort rollen beizeiten Köpfe, und Unidram-Mitbegründer Thomas Pösl bereitete es in seiner Begrüßung sichtliches Vergnügen, die Parallele auszukosten. Er begrüßte die neue Kulturbeigeordnete Noosha Aubel als „neuen Kopf auf dem städtischen Drachenkörper“, verbunden mit dem Wunsch, Aubel möge „ein so unsanftes Abtrennungsverfahren“ erspart bleiben, wie es ihrer Vorgängerin Iris Jana Magdowski beschieden gewesen war. Noosha Aubel entschied sich, das Ganze als Kompliment auszulegen und gelobte, ritterlich, mit flammendem Schwert sozusagen, für Potsdams freie Szene einzutreten.

So, als Stachel im Fleisch der Politik, gefällt sich Unidram. Das Festival hat sich die Jugend in den Namen geschrieben. Im letzten Jahr gehörte der Auftakt den zwei nicht mehr ganz so jugendlichen Performern des russischen Duos Akhe, in diesem Jahr sollten wieder Jüngere ran: die finnische Kompanie WHS, gegründet unter anderem von dem Zauberkünstler Kalle Nio, Jahrgang 1982. Er und seine Truppe stehen für den „Nouveau Cirque“, multimedialen Zirkus. Vor genau zehn Jahren waren sie schon mal hier zu Gast, mit „Keskusteluja“. Ein Stück, das althergebrachte Jonglage und zeitgenössische Videokunst mit einer gehörigen Portion David Copperfield verwebte. Können, Technik, Staunen: Das ist der Mix von WHS.

Copperfield scheint auch in „Cutting Edge“, dem diesjährigen Beitrag, Pate zu stehen. Nicht Jonglage steht hier im Mittelpunkt, sondern deren blutrünstige Schwesterkunst, das (scheinbare) Zersägen von Körperteilen. „Cutting Edge“, das kann man mit „scharfe Klinge“ übersetzen, und die waren auf der Bühne auch zu sehen: Messer, Schwert, Kettensäge. Doch zunächst wird nicht gesägt oder gesäbelt. Zunächst, ganz zu Beginn des Stückes, werden den Zuschauern Bilder von Enthauptungen um die Ohren gehauen. Klassische Motive: Holofernes, Johannes der Täufer, das Haupt der Medusa. Offene Münder, verdrehte Augen, blutende Rümpfe. Köpfe, die an den Haaren gehalten werden. Köpfe, die fallen oder schon gefallen sind, Köpfe, die baumeln, hängen, rollen. Die Kunstgeschichte, sagt dieser visuelle Prolog, ist voll davon. Die Kunstgeschichte kann als Geschichte der Grausamkeit gelesen werden. Oder als Geschichte der Lust des Menschen an der menschlichen Grausamkeit.

Dann fällt auf der Bühne ein Kopf zu Boden. Eine Büste aus Gips. Zerschellt in unzählige Einzelteile. Eben noch da und im nächsten Moment nicht viel mehr als Staub: Wie empörenswert zerbrechlich der Mensch doch ist, und sein Abbild erst! Dieses Bild, es sitzt, es könnte ein Anfang sein für eine kraftvolle, spielerische Auseinandersetzung mit dem Tod – denn nichts weniger will „Cutting Edge“ sein. Bald tänzelt der Tod selbst über die Bühne, ein Knochenmann, oder besser: eine Frau mit dem Kostüm eines Knochenmannes. Da ist „Cutting Edge“ schon keine Einladung mehr zum Nachdenken, sondern, was es bald wird: ein ziemlich zielloses Bilder-Fischen zum Thema Tod.

Und natürlich ist da einiges zu holen. Zumal, wenn man dazu noch zaubern kann. Da verschwindet ein Kopf in einer Kiste, ein Körper wird entzwei gesägt – und wieder zusammengesetzt. Da fragt sich eine Sterbende, was wohl danach kommt. Da befragt eine Lebende einen abgetrennten Kopf nach seiner Nachricht an uns Lebende. Sag was, bittet sie ihn, sag uns etwas Wichtiges. Dann fleht sie. Am Ende brüllt sie. Der Kopf schweigt, natürlich – und schließlich, eines der vielen Zauberstücke in diesem Stück, antwortet er. Ein Grunzen, ein Schmerzenslaut. Mehr hat der Tote nicht zu sagen.

Auch von anderen Toten ist, so scheint es in „Cutting Edge“, nicht mehr viel zu erwarten. In einer Szene tänzeln drei Masken über die Bühne: der Knochenmann, ein Smiley – und Che Guevara. Che und Mister Smiley umkreisen einander, dann küssen sie sich, warum auch nicht. Dann fällt Mister Smiley – Deus ex Machina – eine Kettensäge in die Hände. Er metzelt Mister Tod dahin, es gibt ordentlich Bühnenblut. Che hat danach keine Lust mehr aufs Küssen.

Es gibt weniger plakative Momente. Es gibt den Moment, da drei Performer auf dem Schafott stehen und Hinrichtungsberichte verlesen. Aus dem 16. Jahrhundert, von 1800 – und von 2002. Hier erfährt man auch: Im Mai des Jahres 2004 waren die am meisten gegoogelten Suchbegriffe „Nick“ und „Berg“ und „Enthauptung“. Nick Berg, das war der US-amerikanische Geschäftsmann, der 2004 im Irak entführt und dann von einer Al-Qaida-nahen Terrorgruppe geköpft wurde. Der Film davon kursierte im Internet, Millionen wollten ihn sehen. Warum nur?

Von „Cutting Edge“ eine Antwort zu erwarten, wäre wohl vermessen. Trotzdem, dieser mit kniehohem Soundteppich unterlegte Bilderreigen ist ein bisschen wenig. „An Schärfe mangelt es nicht“, hatte Thomas Pösl eingangs gesagt. Leider doch: Genau daran mangelte es.

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