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Der Potsdamer Autor und Wortregisseur Sven Stricker. 

© Magdalena Höfner/promo

Buchrezension | "Bin noch da" von Sven Stricker: Was von der Kindheit übrig bleibt

Der Potsdamer Autor Sven Stricker erzählt in seinem neuen Roman "Bin noch da" von einer schwierigen Vater-Sohn-Beziehung und von Vergangenem, das nie ganz vergessen werden kann.

Von Sarah Kugler

Potsdam - Sprechende Namen haben in der Literatur Tradition: der schleimige Präsidentensekretär Wurm in Schillers „Kabale und Liebe“, der brave Biedermann in Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ oder der vom Tod stehlende Superbösewicht Voldemort in Rowlings Harry-Potter-Buchreihe – all diese Figuren tragen ihre Charakterzüge bereits im Namen. Davon ausgehend müsste Karlheinz Liebig ein Herzensmensch sein. Doch die Figur aus dem neuesten Roman des Potsdamer Autors Sven Stricker, „Bin noch da“, der heute, am 18. August bei Rowohlt erscheint, ist alles andere als das.

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Karlheinz ist dauerschlechtgelaunt, beschwert sich über alles und ist so gut wie nie freundlich – auch nicht zu seinen Kindern. Als seine Frau stirbt, besucht er nach 20 Jahren Funkstille das erste Mal seinen Sohn Moritz, um ihn darüber zu informieren.  Man muss es informieren nennen, denn nachdem er die Nachricht überbracht hat, würde sich Karlheinz Liebig gerne einfach wieder in sein Grummeldasein vergraben. Und eigentlich würde Moritz ihn auch gerne wieder dorthin ziehen lassen, schon allein um unangenehme Kindheitserinnerungen nicht wieder hochsteigen zu lassen. Doch so richtig gelingt ihm das nicht, schon gar nicht als ihm sein Vater eröffnet, dass er nach dem Tod der Mutter ebenfalls aus dem Leben scheiden möchte.

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Vater und Sohn versuchen sich wieder anzunähern

Was dann beginnt, ist keine rührselige Familienzusammenführung, keine kitschige Vergeben-und-Vergessen-Mission, sondern ein vorsichtiges Annähern von Vater und Sohn. Eigentlich eher ein Anrumpeln,  denn Moritz seelische Wunden sitzen tief und Karlheinz kann eben nicht aus seiner Haut.

In Rückblenden werden Szenen aus Moritz Kindheit und Jugend erzählt: Von einem Luxusbaumhaus etwa, das der Vater nur aus Repräsentationszwecken gebaut hat, um den Nachbarn zu übertrumpfen, dabei aber einen kindgerechten Kletterzugang vergessen hat. Von zahlreichen Verboten, null emotionaler Anteilnahme und heftigen Streitereien zwischen den Eltern, für die oft die Kinder die Schuld bekamen. „Mama war immer auf seiner Seite. Immer“, sagt Moritz‘ Schwester Nina später im Buch dazu. „[…] Sie war feige. Und die Dinge sind eskaliert. Sehr langsam. Sehr lange.“ Bedrückende Sätze, die nachhallen und verdeutlichen, wie lange eine trostlose, von psychischer Gewalt geprägte Kindheit Betroffene begleitet.

Ein durch und durch gedrücktes Buch ist „Bin noch da“ trotzdem nicht geworden. Weil Sven Stricker es versteht, das Leben so zu zeichnen, wie es nun mal passiert: Mit schweren und leichten, mit erschütternden und skurrilen Momenten die nicht selten viel zu dicht nebeneinander liegen. Bereits in seinem Roman „Mensch, Rüdiger!“ (2017) – dessen Hauptfigur übrigens einen Miniauftritt im neuen Buch hat – gelingt ihm diese Balance. Und auch seine Krimireihe um den Kriminalhauptkommissar Sörensen, deren erster Band von und mit Bjarne Mädel für den NDR verfilmt wurde, ist durchzogen von diesem leichten bis amüsanten Ton, der seine Geschichten dennoch immer ernst nimmt. 

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Besonders gelungen sind auch die authentisch geschriebenen Dialoge, die in „Bin noch da“ von bedrückend ernst bis skurril verlaufen. Etwa wenn Moritz und sein Vater nach dem ersten Zusammentreffen gemeinsam essen gehen und Moritz verzweifelt versucht, ein Gespräch entstehen zu lassen. „Wie habt ihr denn so gelebt? Die letzten zwanzig Jahre?“, fragt er den Vater. „Wie sollen wir schon gelebt haben? Gut“, ist alles, was er zurückbekommt. Das ist bitter und komisch zugleich.

Witzige Namensspielereien und ein bisschen Hoffnung

Komisch ist auch Strickers Vorliebe für Namensspielereien. Eine ältere Nachbarin nennt er beispielsweise Frau Weishaupt, einen Arzt Brinkmann – nach dem Fernseharzt aus der Serie „Die Schwarzwaldklinik“.

Und dann ist da noch der Familienname Liebig, der zwar nicht so recht auf Karlheinz‘ Charakterzüge passen mag, aber doch ein wenig auf die seines Sohnes und vielleicht am meisten auf die des kleinen Elias, Karlheinz‘ Enkel. Denn wenn „Bin noch da“ auch kein Vergebungsroman geworden ist, so doch einer, der zeigt, dass es nicht die Vergangenheit allein ist, die uns prägt. „Dein Sohn ist wieder ein neuer Planet“, heißt es dazu hoffnungsvoll im Buch. „Gemacht aus der Erde von alten Planeten, aber dennoch: Was darauf wächst, ist nicht planbar. Die Karten werden neu gemischt, jedes Mal.“

Sven Stricker: "Bin noch da", Rowohlt 2020. 448 Seiten, 18 Euro.

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