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Charlottenstraße mit Kaiser Wilhelm II. zu Pferde um 1910. Im Hintergrund die elektrische Straßenbahn.

© Atelier Eichgrün, Sammlung Potsdam Museum

Buchprojekt mit historischen Potsdam-Fotos: Wilhelm in der Charlottenstraße

2010 brachte der Förderverein des Potsdam Museums einen Schatz heraus: historische Fotos des Ateliers Eichgrün. Im Sommer soll die Fortsetzung folgen: neue, nie gesehene Ansichten.

Potsdam - Es ist eine bemerkenswerte Szene, offiziös und zugleich ungezwungen, fast privat. Kaiser Wilhelm II. und Entourage hoch zu Ross in der Potsdamer Charlottenstraße. Die blankgeputzten Stiefel glänzen, unter den Pickelhauben mit Adler oder Federschmuck sind die bärtigen Gesichter der Reiter kaum zu erkennen. 

Sehr wohl zu sehen aber sind die Zuschauer am Straßenrand: keine ehrfürchtigen Mienen, sondern fröhliche. Ein paar Jungen marschieren am Rande mit. Auch seine Majestät hat den Blick nach rechts zum heiteren Volk gewandt, scheint zu lächeln. Und von oben, aus den Fenstern, schauen die Frauen zu.

Seit 2008 im Besitz des Potsdam Museums

Auch Hoffotograf Ernst Eichgrün ist damals im Jahr 1910 in der Charlottenstraße dabei. Er hält den flüchtigen Moment fest. Seit 2008 befindet sich das Motiv zusammen mit vielen anderen im Besitz des Potsdam Museums. Damals hatte der Förderverein mithilfe von Günther Jauch den Nachlass der Potsdamer Fotografenfamilie Eichgrün erworben. Im Sommer soll es nun erstmals an die Öffentlichkeit. In Buchform. Der Titel: „Unterwegs in Potsdam und Umgebung. Fotografien aus dem Atelier Eichgrün 1890 bis 1952.“

Den Weg für das Projekt geebnet hat der Förderverein des Potsdam Museums: dank einer breit angelegten Spendenaktion über die Plattform Potsdam-Crowd. Mit einer Zielsumme von 12 000 Euro ging das Projekt Anfang April an den Start, bis 1. Mai gab man sich Zeit. Wenige Tage vor Ende der Frist ist nun bereits eine Spendensumme von 18 500 Euro zusammengekommen. „Sollten es bis 1. Mai 20 000 Euro werden, dann können wir eine Auflage von 3000 Stück umsetzen“, sagt Vereinsvorsitzender Markus Wicke. Geplant war nur die Hälfte.

Cover des geplanten Buches "Unterwegs in Potsdam und Umgebung - Fotografien aus dem Atelier Eichgrün zwischen 1890 und 1952".
Cover des geplanten Buches "Unterwegs in Potsdam und Umgebung - Fotografien aus dem Atelier Eichgrün zwischen 1890 und 1952".

© Potsdam Museum

Sichtbar bleiben, auch wenn das Museum geschlossen ist

Die Aktion kann also schon jetzt als voller Erfolg gelten – und ist für das Jahr 2021 erklärtermaßen Hauptprojekt des Fördervereins. „Wir haben uns gefragt: Wie können wir trotz geschlossener Museen sichtbar und aktiv bleiben?“, sagt Wicke. Die Idee für ein Buch lag nahe. Er erklärt sich den großen Zuspruch  unter anderem mit einer Sehnsucht nach dem Haptischen – in einer Zeit, da die meisten kulturellen Erlebnisse nur digital zu haben sind. Digitale Bildwelten gut und schön – aber ein Buch, das ist greifbar.

Mit der geplanten Publikation soll sich ein Erfolg von 2010 fortsetzen. Damals erschien, ebenfalls unter Autorschaft von  Peter Rogge, „Spaziergänge durch Potsdam“. Auch der neue Band wird dem Prinzip der Spaziergänge folgen – sich dabei aber auf neue Wege begeben, sagt Wicke. Und zwar jenseits des Zentrums, bis nach Babelsberg und in die Schlossparks hinein. Insgesamt umfasst der fotografische Nachlass des Archivs Eichgrün etwa 1700 Glasplatten-Negative. Da sind noch einige Schätze zu bergen. 

Die Straße Brauhausberg mit neugestalteter Promenade und Straßenbahnlinie zum Schützenhaus 1935/1936.
Die Straße Brauhausberg mit neugestalteter Promenade und Straßenbahnlinie zum Schützenhaus 1935/1936.

© Atelier Eichgrün, Sammlung Potsdam Museum

Die Qualität der Bilder: Alltagsnähe

Was Wicke zufolge die Qualität dieses Archivs ausmacht, ist der beschriebene Wilhelm-Moment: Alltagsnähe. Anders als bei Eichgrüns berühmtem Kollegen Max Baur etwa, der für seine fein komponierte Architekturfotografie bekannt wurde. Beim Atelier Eichgrün ist der Blick auf die Stadt nie nur ein Blick auf Form, Licht und Schatten, sondern wirkt dokumentarischer, lebendiger. 

Wer waren diese Eichgrüns? Ernst Eichgrün (1858-1925) zieht 1886 mit seine Familie nach Potsdam, in die Friedrichstraße 7. Bis 1899 lernt und arbeitet er als Fotograf im Atelier „Hermann Selle“ in der Yorckstraße. Dann öffnet er in der Nauener Straße 27 sein eigenes Atelier, ab 1907 sind Atelier und Wohnung in der Brandenburger Straße 63 angesiedelt. Ernst Eichgrün führt es bis zu seinem Tod 1925. Danach übernimmt zunächst seine Frau, dann Sohn Walter. 

Blick vom Turm der Garnisonkirche in Richtung Brauhausberg und Speicherstadt (Südosten), um 1930.
Blick vom Turm der Garnisonkirche in Richtung Brauhausberg und Speicherstadt (Südosten), um 1930.

© Atelier Eichgrün, Sammlung Potsdam Museum

Prinzenporträts und Stadtansichten

Walter Eichgrün (1887-1957) zeigt als Fotograf zunächst, was sein Vater zeigte: Porträtaufnahmen Potsdamer Bürger, private und öffentliche Feierlichkeiten. 1934 zieht er mit Familie und Atelier in die Charlottenstraße 93 um. Neben dem Atelierbetrieb arbeitet Walter Eichgrün jedoch als Bildberichterstatter für die „Potsdamer Tageszeitung“. 

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Das Kronprinzenpaar fotografiert er, auch den Kronprinzen in Gesellschaft von Nazi-Größen. Und Stadtansichten. 1952 entsteht unter Assistenz von Hilla Becher, die sich später einen Namen als prägende Industriefotografien macht, eine Serie der Schlösser und des Parks Sanssouci.

Blick vom Turm der Garnisonkirche in Richtung Nikolaikirche, Stadtschloss, Lustgarten, um 1930.
Blick vom Turm der Garnisonkirche in Richtung Nikolaikirche, Stadtschloss, Lustgarten, um 1930.

© Atelier Eichgrün, Sammlung Potsdam Museum

Alte Bilder, aktuelle Debatten

Der neue Band wird nun einmal mehr zeigen, wie das vom Krieg noch unversehrte Potsdam einst aussah. Auch für Kenner:innen Potsdamer Stadtgeschichte dürfte das Überraschungen bergen, sagt Wicke. Dass 1935/1936 eine Straßenbahnlinie am Brauhausberg vorbei bis zum Schützenhaus führte etwa. Was Wicke zufolge offenlegt: „Das Phänomen von Potsdam als Stadt im Wachstum ist beileibe kein neues.“

Auch an anderer Stelle wird das Buch an aktuellen Debatten anknüpfen. Das Archiv Eichgrün versammelt zahlreiche Panorama-Blicke vom Turm der Garnisonkirche aus den 1930er Jahren. Über Brauhausberg und Speicherstadt, Nikolaikirche und Schloss. 

Die Meinungen über den Wiederaufbau von Turm und Kirche sind im Förderverein ebenso gespalten wie auch sonst in der Stadt – „und das ist gut so“, sagt Wicke. Die einen werden die alten Bilder mit gewisser Vorfreude sehen, die anderen eher mit Vorbehalten. Aber sehen werden sie vermutlich alle wollen.

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