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Uwe Tellkamp (l.) und Moderator Carsten Wist bei der Buchpremiere von "Der Schlaf in den Uhren" in der Villa Quandt.

© Erna Schielden

Buchpremiere des neuen Romans von Uwe Tellkamp: „Ich bin ja schon oft rasiert worden“

Uwe Tellkamps neuer Roman „Der Schlaf in den Uhren“ kommt in den Kritiken nicht gut weg. Bei der Buchpremiere in der Villa Quandt wollte er ein paar Missverständnisse geraderücken.

Potsdam - Der Autor ist noch nicht da, seine labyrinthische Gedankenwelt schon. Uwe Tellkamp hat mit „Der Schlaf in den Uhren“ den lange erwarteten Folge-Roman zu seinem Bestseller „Der Turm“ vorgelegt und am Dienstagabend in der Potsdamer Villa Quandt soll er ihn erstmals vorstellen. 

Der Verlag hat Brezeln und Sekt gestiftet, auf dem Podium wartet ein Schachspiel, auf den Sitzen im Publikum: kaum leserliche Skizzen. Dem Buch entnommene Karten von Tellkamps Welt. Gestrichelte Linien in Schneckenform, winzige Schrift. Der Rhein fließt hier parallel zum „Elbischen Fluss“. Es gibt die Stadt Treva mit den Teilen Brenta und Argo. Und es gibt eine „Tausendundeinenacht-Abteilung.“

Stoff für Märchen

Stoff für Märchen also, Tellkamp selbst hat seinen Roman als „Märchen, das Wahrheit hervorbringt“ beschrieben. Als Tellkamp und Moderator Carsten Wist den voll besetzten Raum betreten, wird ein Seemannslied eingespielt – Wists Prinzip (Einzugslieder wie beim Boxen), aber Tellkamps Wahl. Er summt ein bisschen mit. Hier soll es nicht allzu ernst zugehen, das ist eindeutig die Ansage. Sie werden Schach spielen, über Fußball und Eishockey reden, Tellkamp wird von Monty-Python-haftem Humor im Roman sprechen und am Ende einen Rasierpinsel zücken. Alles Spaß und Spiel? Vor der Tür steht ein Streifenwagen. Und Fragen bitte nur beim Signieren.

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Schon, dass Buchhändler Wist eingangs betonen muss, hier finde ein „ganz normaler Abend“ statt, zeigt natürlich: ganz so normal war das hier nicht. Hier präsentierte nicht einfach ein Autor sein neues Buch – das die meisten Kritiken als verfehlt bezeichnet haben. Nach dem Erfolg des „Turm“ war Tellkamp vor allem als Vertreter bizarrer politischer Theorien hervorgetreten – sein Ausspruch, 95 Prozent aller Flüchtlinge kämen nur nach Deutschland, um in die Sozialsysteme einzuwandern, hängt ihm bis heute an.

Autor im Rechtfertigungsmodus

Je länger man Wist und Tellkamp an diesem Abend zuhört, desto mehr gewinnt man den Eindruck, einem Autor beim Ringen zuzusehen: mit dem, was Tellkamp selbst Rechtfertigungsmodus nennt. Für ihn ist er das Ergebnis von „Methodiken der Erkenntnisgewinnung“, wie sie auch die Stasi benutzte – heute diagnostiziert er sie etwa den sozialen Medien. „Wie kann ich jemandes Ruf zerstören? Indem ich jemanden so lange lanciere, bis der erste auf Twitter darauf anspringt, dann springt der nächste drauf an. Das habe ich ja nun erlebt.“

Mit dem Missverständnis, im Roman beschreibe er Machenschaften der Stasi, die bis ins Heute wirken, will Tellkamp aufräumen. „Der Schlaf in den Uhren“ erzählt in verworrener Chronologie die Geschichte von Fabian Hoffmann, einem ehemaligen Dissidenten, der im fiktiven Treva für „die Sicherheit“ arbeitet – jene Organisation mit dem Namen „Tausendundeinenacht-Abteilung“. Er fängt den Job 2015 an, zu Beginn dessen, was später als Flüchtlingskrise beschrieben wurde. Fabian sei getrieben von einem Gefühl, dass „nichts mehr feststehe“, von „einer Unsicherheit, die tief geht“. Fabians Auftrag ist es, eine Chronik über die Geschichte von Treva zu erstellen – wobei ihm das Objekt seiner Chronik (Treva, also Deutschland) immer fremder werde.

Eine „metaphysische Behörde“ und ein rasierter Autor

Auch wenn er Worte aus dem Stasi-Slang verwendet („Operative Vorgänge“), will Tellkamp die „Sicherheit“ als „metaphysische Behörde“ verstanden wissen. Das eigentliche Thema des 900-Seiten-Romans ist, sagt Tellkamp, leicht zu benennen: Ordnung. Was ist das, wie stellt sie sich wieder her? Darum gehe es. „Wir sind in einer Zeit, die balanciert zwischen Freiheit und Sicherheit“, sagt Tellkamp. „Wie gewinnen wir das eine, ohne das andere zu verlieren?“ Darum gehe es „gerade in heutiger Zeit“ ganz elementar. „Nach meinem Dafürhalten besteht eine tiefe Sehnsucht nach der Gewinnung alter Sicherheiten, das hat mit Stasi nichts zu tun.“

Auch Kollege Proust habe ja im Grunde operative Vorgänge beschrieben – jedem Detail analysierende Aufmerksamkeit geschenkt. Das nimmt auch Tellkamp für sich in Anspruch. Ob es nun um Rasiermesser gehe, um Politik oder um Journalismus. Auch Dantes Gang durch die Hölle nennt er als Bezugspunkt, und macht keinen Hehl daraus, dass sein Fabian im Höllenfeuer durchaus Ähnlichkeiten mit ihm selbst hat. Am Ende greift Uwe Tellkamp in einen gelben Beutel und holt Rasierspiegel, Pinsel und ein paar Klingen raus, setzt an und sagt den Satz, der lustig klingen soll, aber vor allem bitter wirkt: „Auch ich bin ja schon oft rasiert worden, von der Kritik.“

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