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Buch über Fankultur in der DDR: Auf der anderen Seite der Mauer

Der Band Depeche Mode wurde auch in der DDR gehuldigt - obwohl, oder vielleicht gerade weil, westliche Musik offiziell verteufelt wurde. In einem Buch erinnern Sascha Lange und Dennis Burmeister an die fantasievollen Pfade der Fankultur in der DDR.

Mögen muss man ihn nicht, diesen wabernd-synthetischen Sound der britischen Band Depeche Mode, der mit einer Mischung aus beinahe sterilem musikalischen Weltschmerz die Ära der 70er-Jahre ablöste. Respekt hat er jedoch allemal verdient. Vorbei, dieser grelle Soundtrack der 70er-Jahre, der mit verzerrten Gitarren und einer aufwallenden Losgelöstheit den Hedonismus zelebrierte – was in den 80er-Jahren folgte, war die Ablösung von alldem. Das begann mit dem 77-er britischen Punk, der dem kollektiven Friedenstaumel kurzerhand „No Future“ entgegenschmetterte und sich an der Selbstzerstörung abarbeitete. Ebenfalls auf der britischen Insel – traditionelle Hochburg der neueren Musikgeschichte, spätestens seit den Beatles – entstand jedoch auch ein Genre, das sich als New Wave ins kollektive Gedächtnis brannte: mit Depeche Mode aus der britischen Kleinstadt Basildon bei London als Vorreiter.

In der DDR verteufelt - und gerade deswegen beliebt

Eine Epoche, die zwar jenseits des Eisernen Vorhangs begann, ihre Ausläufer aber auch gegen alle Widerstände bis in den Arbeiter- und Bauernstaat hineinbrachte. Denn auch in der DDR, in der jegliche westliche Musik vehement verteufelt wurde, fanden Bands wie Depeche Mode auch – oder vielleicht gerade deswegen – zahlreiche Anhänger, die den Oberen selbstverständlich ein Dorn im Auge waren; zu stoppen war die Bewegung jedoch nicht mehr. Sascha Lange und Dennis Burmeister haben darüber ein Buch verfasst, das die gesamte Fankultur akribisch und unterhaltend beleuchtet: „Behind the Wall“ über die Fankultur in der DDR wird heute Abend im Waschhaus vorgestellt, flankiert von der Doku „People are People“ aus dem Wendejahr 1989.

Das Buch selbst ist freilich nicht nur eine nüchterne Bestandsaufnahme der 80er-Jahre, sondern sammelt Zeitzeugenberichte, Bilder, Zeitungsausschnitte und sogar Stasi-Unterlagen, die in einen historischen Kontext gesetzt werden. Das hat beinahe literarisches Flair, dieser Blick hinter die Mauer auf eine Subkultur, die verzweifelt ihren Idolen huldigt, denen einfach nicht näherzukommen ist. Was jenseits der Mauer möglich ist – Konzerte, Schallplatten, Merchandising – ist auf der anderen Seite hermetisch abgeriegelt. Für Radiofrequenzen und Fernsehen gibt es jedoch keine Mauern, sodass trotz aller Verbote immer etwas durchsickert, was umso euphorischer gefeiert wird.

Für den herkömmlichen Ostler waren die Platten unerschwinglich

Und Not macht eben auch erfinderisch: Was unerreichbar im Westfernsehen flimmert, erzeugt einen gewissen Magnetismus; und es gibt eben auch Intershops oder die Westverwandtschaft des einen oder anderen, der es ab und an gelingt, einen Tonträger oder ein Bravo-Heft in die „Zone“ zu schmuggeln, wo alles wieder und wieder kopiert und durchgereicht wird. Oder den Ostblock: In Polen, Ungarn, Jugoslawien und der CSSR seien die Plattenfirmen nicht so knauserig gewesen, was das Auflegen von Lizenzplatten betrifft. 

Für den herkömmlichen Ostler waren die Scheiben allerdings fast unerschwinglich – was nicht bedeutet, dass sie nicht doch bitter vom Munde abgespart wurden. Und im Laufe der 80-er springen auch die Jugendsender auf den DeMo-Zug auf, und auch einige Diskotheken spielen hin und wieder einen Song. Das als FDJ-Event vermarktete Konzert im März 1987 in der Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle geriet schließlich zur Legende: Sämtliche Ersparnisse und sogar Mopeds wurden auf dem Schwarzmarkt für die viel zu wenigen Tickets getauscht oder es wurde sich fantasievoll hineingeschlichen, während die Band selbst mit einem unglaublich miesen Vertrag am meisten draufzahlte. 

Das Buch ist eine empfehlenswerte Lektüre, nicht nur für die, die sich in einem der ostdeutschen Fanclubs engagierten oder die Jugend der 80-er grundsätzlich in schwarzen Klamotten verbrachte. Das Buch ist nicht weniger als die sorgfältige Bestandsaufnahme einer Jugendbewegung in einem Land, das durch Gegenwind Identifikation stiftete; ein Lehrstück darüber, dass sich Jugend nicht formen lässt, sondern letztlich selbst formt. „Behind the Wall. Depeche-Mode-Fankultur in der DDR“, Lesung und Film und 80er-Party heute um 20 Uhr im Waschhaus. Die Lesung ist bereits ausverkauft.

Sascha Lange und Dennis Burmeister:„Behind the Wall. Depeche-Mode-Fankultur in der DDR“

Ventil Verlag Mainz 2018, Klappenbroschur, mit farbigen Abbildungen, 240 Seiten, 30 Euro

Oliver Dietrich

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